Nachlese zum Praxisforum ‚Big Spatial Data‘

Glaubwürdige Schätzungen gehen davon aus, dass zu Beginn der 1990er Jahre nur 3% aller Informationen digital verfügbar waren – bis Ende der 2000er Jahre waren es bereits deutlich mehr als 90%. Ein großer und wachsender Anteil dieser Informationen sind georeferenziert, d. h. sie beziehen Sachinformationen auf eine räumliche Information. Nicht zuletzt durch die Verbreitung von Positionierungs- und Navigationssystemen sowie der mobilen Verfügbarkeit des Internets entstehen in den letzten Jahren zahlreiche neue Dienstleistungen, welche die wachsende Quantität und Qualität von Geodaten nutzen. Da ist es nur konsequent, dass sich das Praxisforum am geographischen Institut der Universität Erlangen im Sommersemester 2015 dem Thema ‚Big Spatial Data‘ widmet – schließlich eröffnen sich hier auch zahlreiche neue Arbeitsfelder für Geographen.

Als DVAG-Regionalforum Erlangen-Nürnberg ist es uns gelungen, erneut drei Geographen einzuladen, bei einer kurzweiligen Podiumsdiskussion über ihre Arbeit mit ‚big spatial data‘ zu berichten – und die Gäste hatten in der Tat viel zu erzählen …

Konstantin Böhm, Ende 40, Gründer und Geschäftsführer der Ancud IT-Beratung GmbH, hat tatsächlich vor Jahren einmal Geographie studiert – und das merkt man ihm auch heute noch an. Leidenschaftlich erzählt er davon, was heutzutage alles möglich ist und welche Wettbewerbsvorteile die Geographen mitbringen beim Umgang mit den ungeheuren Datenmengen: räumliches Denken, vernetztes Denken – und über den Tellerrand blickendes Denken. „Das können die Informatiker nicht so gut wie wir Geographen“, weiß Böhm, selbst Chef von mehr als 50 Mitarbeitern, zu berichten. Zur Zeit seines Studiums habe es gerade die ersten Rechner an der Universität gegeben, Satellitenbilder waren kaum erschwinglich. Heutzutage gibt es nicht nur eine bessere Hard- und Software, sondern auch besseren Zugang zu Daten – auch zu ‚Big Data‘. Das macht es spannend und eröffnet viele neue Möglichkeiten. Böhm ist gut vernetzt, hat gerade ein ‚Big Data Lab‘ ins Leben gerufen – und spontan Geschäftspartner aus Belgien mitgebracht, die ein Smart-City-Projekt aus Gent vorstellen: anhand von Tweets werden Verkehrsbehinderungen in der Stadt erfasst, ausgewertet und visualisiert. Das ist Big Spatial Data in Reinform.

Thomas Großmann, Product Specialist Location Analytics bei Esri Deutschland in Wiesbaden, weiß zu berichten, dass Big Data gerade sehr en vogue ist. Allerdings stecke die Entwicklung diesbezüglich bei Esri derzeit noch in den Kinderschuhen. „Wir richten uns natürlich nach der Nachfrage unserer Kunden – und die wächst derzeit.“ Großmann selbst hat schon lange ein Fable für große Datenmengen, hat nach seinem Geographie-Studium noch einen GIS-Master aufgesattelt und war schließlich bei einem Landesamt für Geodaten tätig. Der öffentliche Dienst in dieser Form sei aber auf Dauer nichts für ihn gewesen. „In der freien Wirtschaft merke ich, dass Dinge auch einfach mal verworfen werden, wenn man die Sackgassen abgelaufen ist. In der Verwaltung hingegen hält man oft krampfhaft an den etablierten Abläufen fest.“

Der dritte Podiumsgast, Dr. Hendrik Wagenseil von der GfK Geomarketing GmbH, bringt ein paar Karten aus einem aktuellen Projekt mit: Hier werden die Nutzer von Mobiltelefonen lokalisiert und anschließend auf einer Karte verortet. „Da muss man mit dem Datenschutz freilich aufpassen“, betont Wagenseil, „aber wenn die Nutzer einverstanden sind und die Daten anonymisiert werden, ist das in der Regel kein Problem.“ Bei einem Nutzer ist noch ein deutliches Bewegungsprofil erkennbar; dieses verschwindet, als die Daten ‚big‘ werden – gleichzeitig werden deutliche räumliche Muster sichtbar. Wagenseil ist Teamleiter Geostatistics und hat nach seiner Promotion in der physischen Geographie nahtlos den Einstieg ins Berufsleben geschafft. Im Bereich des Geomarketings verknüpft er nun Fragen von Big Spatial Data mit der klassischen Marktforschung. Statistik-Kenntnisse sind da zweifelsohne sehr gefragt: „Eine gute Ausbildung im Bereich der quantitativen Methoden ist bei uns zwingend – qualitative Marktforschung gibt es nicht …“

Hier sind sich die Referenten – übrigens alle drei ausgebildete physische Geographen – einig: Eine Affinität zu Zahlen und zur IT bzw. GIS sind von Vorteil, wenn man mit Big Spatial Data unterwegs ist. Und an dieser Stelle wird auch die Diskussion im Plenum lebhaft. Warum liegt in der Kulturgeographie der Schwerpunkt häufig so sehr auf den qualitativen Methoden? Ändert sich das (wieder)? Wäre nicht grundsätzlich eine breite und fundierte Methodenausbildung wichtig und richtig?

Big Spatial Data – nicht überall, wo Big Data draufsteht, ist auch Big Data drin. Aber die wachsenden Datenmengen und die häufige Verknüpfung räumlicher Information mit diesen Daten lassen Big Spatial Data zu einem spannenden Berufsfeld für Geographen werden. Und auch hier sind sich die Experten sicher: dieses Thema hat Zukunft!

Nach dem Praxisforum bot sich bei Gegrilltem und Getränken noch die Möglichkeit zum Kennenlernen der Referenten, wovon insbesondere die zahlreichen Studenten unter den rund 80 Besuchern Gebrauch machten. Vielen Dank an die Fachschaftsinitiative Geographie für die Bewirtung!

 

Stimmen zum Praxisforum ‚Big Spatial Data‘

 

„Ich fand das Praxisforum wie immer sehr informativ … es lohnt sich offensichtlich, wenn Geographen fundierte Kenntnisse in Statistik haben!“

Jana Regenfuß, Nürnberg

 

„Ich promoviere zum Thema „Web 2.0-Kartographie in Israel/Palästina.“ Dabei liegt ein Schwerpunkt meiner Forschungen auf der Analyse sehr großer Geodatenbanken. Das Praxisforum war für mich sehr motivierend, denn es wurde deutlich, wie gefragt diese Methoden auch außerhalb der Wissenschaft mittlerweile geworden sind.“

Christian Bittner, Erlangen

 


Praxisforum ‚Geographie‘

Das Praxisforum findet jedes Semester mit wechselnden thematischen Schwerpunkten am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) statt. Organisiert wird es vom DVAG-Regionalforum Erlangen-Nürnberg in Kooperation mit der Alumniarbeit der Fränkischen Geographischen Gesellschaft mit freundlicher Unterstützung der Fachschaftsinitiative Geographie. Die Podiumsdiskussion mit berufstätigen Geographen dient der Berufsorientierung von Geographie-Studenten und gewährt dabei Einblicke in Berufseinstieg, Karriereplanung und Praxisalltag.