»Diese Sache mit den Ängsten« von Lisa Klein

Wir dürften mittlerweile alle Experten darin sein, was es bedeutet allein zu hause zu hocken. Der Protagonist in meiner Kurzgeschichte hat sich mit seinem einsamen Leben sehr gut abgefunden. Er zieht es vor das Haus nicht zu verlassen. Nicht weil es draußen gefährlich ist, sondern aus Angst negativ aufzufallen oder mit anderen Menschen interagieren zu müssen. Nun bricht aber eine Hitzewelle heran, die ihm das gemütliche Leben als Einsiedler deutlich erschwert.

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In Japan bezeichnet man Menschen, die sich selbst sozial isolieren, in dem sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein minimum reduzieren, als Hikikomori. Hikikomori… das klingt schon fast niedlich. Wenn man jeden Tag allein in seiner Wohnung hockt und aufhört sich um sein eigenes Wohlbefinden zu kümmern, aufgrund von Selbstzweifeln und Ängsten, ist das gar nicht mehr so niedlich. Würde ich keine Selbstgespräche führen, wäre ich wahrscheinlich die meiste Zeit des Tages stumm. Geplagt von der Angst merkwürdig zu sein, zu versagen und ausgegrenzt zu werden, grenzte ich mich selbst aus und wurde zu einem Eremit in meiner kleinen Höhle mitten im lauten Großstadtjungle. Das was sozialen Kontakten noch am nächsten kommt ist die Beziehung, die ich zu meinen Nachbarn pflege. Ich höre jeden seiner Schritte durch die Papierdünnen Wände und manchmal schlage ich nachts gegen die Wand, wenn er sich wieder dazu entschieden hat mitten in der Nacht ein Workout auf seinem Hometrainer zu machen, dessen Pedale kaputt zu sein scheint und deswegen rhythmisch zu den Bewegungen laut knackt. 

Jetzt liege ich hier halb nackt auf meinem Bett, daneben der Ventilator. Das Handy in der einen Hand und die restlichen Gliedmaßen von mir gestreckt, damit sich so wenig Haut wie möglich berührt. Wir hätten dieses Jahr einen Rekordsommer heißt es. Meine kleine Einraumwohnung entwickelt sich langsam zu einer 28m^2 Sauna mit Balkon. Während andere ins Freibad oder in die Kühlabteilung des Rewes gehen um sich abzukühlen, liege ich also da und setze semi lustige Tweets über das Wetter ab, wie „Das ist keine Hitzewelle mehr. Das ist ein Tsuwarmi“. Obwohl es deutlich angenehmer wäre raus zu gehen, hielten mich Panikattaken davon ab. Die Menschen könnten über mich reden, mich merkwürdig ansehen. Was ist wenn mir draußen was peinliches passiert und alle mich aus lachen. Oder wenn ich an der Kasse des Supermarktes stehe und plötzlich merke, dass ich mein Portmonee vergessen habe und alle anderen in der Schlange sauer auf mich sind, weil ich erst Zeit damit vertrödel panisch in meiner Tasche zu kramen und dann viel zu leise der Kassiererin gestehe, dass ich mein Geld vergessen habe, die dann genervt entgegnen würde, dass ich nicht so nuscheln soll.

Also verbrachte ich den Tag in meiner kleinen Hölle. Die Hitze in der Wohnung war unerträglich. Es wundert mich, dass hier noch nichts spontan in Flammen aufgegangen ist. Draußen wurde es auch nicht wesentlich kühler. Ein Eis würde jetzt gut tun, dachte ich mir, während der Ventilator mir die lauwarme Luft entgegen pustete. Ich überlegte hin und her. Wägte ab wie wahrscheinlich es ist im Hochsommer, am späten Nachmittag, bei der Eisdiele um die Ecke, auf Menschen zu treffen. Ziemlich hoch. Aber es war so unerträglich warm, dass es schon fast zu anstrengend war, mir Gedanken darüber zu machen was alles auf dem 3min Fußweg passieren könnte. Es ist kein weiter Weg. Ich wäre ja eigentlich fast gar nicht draußen, dachte ich. 

Also erhob ich meinen Engelsgleichen Körper und hinterließ eine Kuhle in der Matratze und einen Schweißfleck auf dem Laken. Das Ergebnis der letzten Tage. Ein Wunder das ich mich nicht überarbeitet habe. Als ich mich anzog und dann fertig vor der Tür stand, die rechte Hand auf der Türklinge, lief mir der kalte Angstschweiß den Nacken runter. Mir war etwas schwindelig und ich spürte meinen Herzschlag bis in den Hals. Vielleicht lag es aber auch an den 36 Grad in der Wohnung oder daran, dass mein Körper so langes aufrecht stehen gar nicht mehr gewohnt war. „Komm schon“ sagte ich mir. Es war ein innerlicher Kampf. Ziemlich schweißtreibend. Aber am Ende schritt ich hinaus in den Flur und dann hinaus in die Großstadt. Es war unfassbar laut und so viele Menschen waren in meinem Viertel unterwegs. Alle starrten auf ihr Handy, niemand schaute wo er hingeht und trotzdem schafften es alle irgendwie ohne Kollisionen voran zu kommen. Ich spürte wie die Panik in mir aufkam. Als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Also schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. 

Auch wenn ich dachte, dass es unfassbar merkwürdig sein muss, dass da jemand mit geschlossenen Augen mitten im Weg stand und laut atmete, interessierte es keine Sau. Niemand würdigt dich eines Blickes wenn es nicht sein muss. Alle sind mehr daran interessiert sich selbst durch ihre Handykamera zu sehen. Niemand hat auch nur entfernt daran Interesse, sich mit dir auseinander zu setzen. 

Wie beruhigend. 

Ein Gedanke zu „»Diese Sache mit den Ängsten« von Lisa Klein“

  1. Hallo Frau Klein,

    Ich finde es unglaublich mutig, was Sie, ich meine was das lyrische ich hier durchleben muss und am Ende irgendwie einfach damit zufrieden ist, in etwas Insignifikanz zu versinken. Dieses Gefühl haben sicherlich Abertausende, dennoch ist es das wert, in Worte gefasst zu werden, damit man auch mal sieht, dass es anderen Leuten genau so geht.
    Hut ab und alles Gute,

    Ihr Karl-Friedrich

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