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PRNU: Der Fingerabdruck einer Kamera

von Patrick Mullan und Christian Riess

Photo-Response Non-Uniformity: Mithilfe des Kamerafingerabdrucks kann man eindeutig das Aufnahmegerät eines Bildes identifizieren.

 

„Mit welcher Kamera wurde dieses Bild aufgenommen?“ ist eine Kernfrage der Multimediaforensik. Diese Frage kann bei der Ermittlung eines Täters eine Rolle spielen, beispielsweise in Fällen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Grundsätzlich unterscheiden sich die Bilder aus unterschiedlichen Kameras in vielen Merkmalen. Am augenscheinlichsten ist vermutlich die Bildauflösung. Besonders schwierig wird die Zuordnung eines Bildes zu einer Kamera jedoch, wenn mehrere Geräte des selben Modells in Frage kommen. Die in diesem Artikel vorgestellte Methode stellt zielsicher fest, welche Kamera ein Bild aufgenommen hat. Dies wird durch einen speziellen Kamera-Fingerabdruck erreicht. Der menschliche Fingerabdruck ist eindeutig, und unterscheidet sich selbst bei eineiigen Zwillingen. In unserem Fall stellen wir einen digitalen Fingerabdruck vor, der selbst baugleiche Kameras zuverlässig unterscheidet.

Beispiel: Ein fiktiver Kriminalfall

Nehmen wir folgenden fiktiven Fall an: Die Polizei hat bei einem Tatverdächtigen eine Festplatte sichergestellt und darauf Bilder eines Verbrechens gefunden. Ebenso hat die Polizei eine Kamera des Verdächtigen beschlagnahmt. Eine erste, schnelle Prüfung zeigt, dass die Bilder aus der beschlagnahmten Kamera stammen könnten: Die Auflösung der Bilder stimmt mit der technischen Spezifikation der Kamera überein, und die Metadaten der Bilder enthalten den Namen des Kameraherstellers und -modells. Der Verdächtige wird also dem Richter vorgeführt und die Polizei erläutert die Indizien, die darauf hindeuten, dass die relevanten Bilder aus der beschlagnahmten Kamera des Verdächtigen kommen. Der Verdächtige bestätigt auch, dass die beschlagnahmte Kamera ihm gehöre. Doch nun der Wendepunkt: Der Verdächtigte sagt aus, eine Bekannte besitze ebenfalls ein Exemplar des selben Kameramodells – und sie habe die Bilder mit ihrer Kamera aufgenommen, nicht er. Die Polizei kann bestätigen, dass eine weitere, modellgleiche Kamera, bei der zweiten verdächtigen Person gefunden wurde. Die Justiz steht vor einem Problem: Ohne eindeutigen Beweis, welche Kamera die Bilder aufgenommen hat, können die Bilder keinem Verdächtigen zugeordnet werden.

Kamera-Identifikation durch Photo-Response Non-Uniformity (PRNU)

Glücklicherweise enthalten digitale Fotos ein Merkmal, mit dem das Bild einem Aufnahmegerät zugeordnet werden kann. Dieses Merkmal beruht auf kleinen Unterschieden in der Fertigung eines jeden Kamerasensors. Hieraus kann ein einzigartiger Fingerabdruck für einen Kamerasensor bestimmt werden. Das Merkmal wird auf Englisch als Photo-Response Non-Uniformity (PRNU) bezeichnet.

Der Kamerasensor – Herzstück der Kamera

Das Herzstück einer Digitalkamera ist ihr Kamerasensor. Der Kamerasensor wandelt einfallendes Licht in ein messbares elektrisches Signal um. Ein digitales Foto ist aus vielen einzelnen Bildpunkten zusammengesetzt, den sogenannten Pixeln. Jeder Pixel entspricht einer Zelle auf dem Kamerasensor. Die Anzahl der Pixel beziehungsweise Zellen wird typischerweise in Millionen Pixel (Megapixel) angegeben. In jeder dieser Zellen wird über die Spannung die Menge des dort auftreffenden Lichts gemessen. Das funktioniert, weil die einfallenden Photonen proportional zur resultierenden Spannung sind.

Variationen der Sensorzellen sind die Grundlage des Kamera-„Fingerabdrucks“

Unter idealen Bedingungen erzeugt jede Sensorzelle bei der gleichen einfallenden Lichtmenge das gleiche Signal. In der Praxis ist das jedoch nicht der Fall: Das lichtempfindliche Material des Sensors kann zum Beispiel Unreinheiten enthalten, wodurch in dem betroffenen Pixel ein geringerer Teil des Lichts umgewandelt wird. Ein anderer Faktor sind fertigungsbedingte Größenunterschiede der einzelnen Sensorzellen. Schwankungen im Nanometer-Bereich führen bei einzelnen Sensorzellen bereits zu Unterschieden in der Helligkeit der Pixel. Größere Zellen empfangen mehr Licht, und erzeugen daher hellere Pixel, und umgekehrt erzeugen kleinere Zellen dunklere Pixel.

Diese Ungenauigkeiten überlagern sich, und erzeugen so ein festes Muster an winzigen Helligkeitsabweichungen, die im Bild auftreten. Dieses Muster wird in der Sensorfertigung eingefügt und ändert sich auch nach jahrelangem Betrieb der Kamera kaum. Auch nach Jahren hat also jedes neue Bild, das die Kamera produziert, dieses Muster im Bildinhalt eingebettet. Beide Faktoren sind besonders interessant, weil sie zufällig entstehen während der Fertigung. Selbst wenn zwei Sensoren direkt hintereinander in der Fabrik gefertigt werden haben sie nicht das selbe Muster: Ein Sensor hat ein jeweils einzigartiges Muster. Das Muster wird oft als Fingerabdruck bezeichnet, da es genauso wie der menschliche Fingerabdruck zeitlich unveränderlich ist und so spezifisch, dass es zur Identifikation eines Geräts verwendet werden kann. Damit kann also beispielsweise die Polizei diese Technik einsetzen, um ein Bild eindeutig einer Kamera zuzuweisen.

Beispielhafte Vergrößerung eines PRNU Fingerabdrucks einer Kamera. Entsprechend der Farbkodierung wird ein Pixel im Bild im Mittel Heller oder Dunkler dargestellt

Berechnung des Kamera-Fingerabdrucks

Das Muster von Helligkeitsunterschieden ist sehr schwach. Das Muster zeigt sich als leichte Unterschiede in benachbarten Bildpunkten, die jedoch mit bloßem Auge unsichtbar sind. Mit Hilfe der digitalen Signalverarbeitung kann das Muster jedoch ermittelt werden. Da das Muster so schwach ist, werden einige Bilder benötigt um das Muster zuverlässig zu extrahieren. Vereinfacht dargestellt wird der Durchschnittswert eines Pixels über viele Bilder betrachtet. Ist über viele Bilder hinweg ein Pixel etwas heller oder dunkler als der Durchschnitt aller Pixel, kann dies auf die oben beschriebenen Fertigungsunterschiede zurückgeführt werden. Da die Helligkeitsunterschiede nur sehr niedrig sind, kann ein einzelner Pixel in einem einzelnen Bild von dem tatsächlichen Muster abweichen. Durch die Mittelung über viele Bilder ergibt sich aber dennoch ein stabiler Fingerabdruck.

Abgleich eines Bildes mit einem Kamera-Fingerabdruck

Der Fingerabdruck kann nun mit einem Bild aus einer unbekannten Quelle abgeglichen werden. Für diesen Abgleich wird eine Korrelation berechnet zwischen dem Fingerabdruck und dem Bild. Je höher der Wert der Korrelation ist, desto besser passen Testbild und Fingerabdruck zusammen. Damit kann eine Aussage getroffen werden, ob das Bild aus der Kamera des Fingerabdrucks stammt oder nicht.

In dem obigen Beispielsfall sagte der Verdächtige aus, dass die Bilder mit der baugleichen Kamera seiner Bekannten aufgenommen worden. Da die Polizei die beiden Kameras beschlagnahmt hat, kann sie mit den Kameras eine ausreichend große Anzahl an Bildern aufnehmen, um daraus zwei Referenzfingerabdrücke zu berechnen. Anschließend können dann die auf der Festplatte gefundenen Bilder mit den Referenzmustern der beiden Kameras korreliert werden. Damit können die Bilder auch den jeweiligen Kameras zugeordnet werden mit denen sie aufgenommen wurden.

Zusätzliche technische Details

Die folgenden Absätze enthalten einige zusätzliche technische Informationen, die nicht in dem Hauptartikel diskutiert werden.

Bildvorverarbeitung und Abgleich des Fingerabdrucks

In der algorithmischen Umsetzung wird der Helligkeitswert nicht direkt durch Mittelung des Pixels über mehrere Bilder hinweg bestimmt. Stattdessen wird zuerst der Bildinhalt unterdrückt. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass von jedem Bild eine tiefpass-gefilterte Kopie subtrahiert wird.

Bei dem Abgleich des Fingerabdrucks hat es sich als vorteilhaft herausgestellt, die Korrelation des Fingerabdrucks mit dem Bild in ein Verhältnis zu setzen zu Korrelationen, bei denen Fingerabdruck und Bild jeweils einen Pixel zueinander verschoben wurden. Dies wird die Peak-to-Correlation Energy genannt. Der Hauptvorteil liegt darin, dass die Ergebniswerte der Peak-to-Correlation Energy besser interpretierbar sind.

Anzahl und Auswahl der Bilder zur Berechnung des Fingerabdrucks

In der wissenschaftlichen Literatur wird berichtet, dass ein Fingerabdruck aus 20 bis 100 Bildern zuverlässig berechnet werden kann. Die genauen Zahlen variieren, aber allgemein gilt: je mehr Bilder zur Verfügung stehen, desto besser. Die Qualität der Bilder ist ebenso wichtig. Dunkle sowie überbelichtete Bilder sind nicht für die Berechnung des Fingerabdrucks geeignet, da hier zusätzlich viele andere Bildstörungen auftreten. Besonders gut eignen sich Bilder mit großen, gleichmäßigen Flächen. Viele kleine Objekte und Details in den Bildern erschweren  die Extraktion des Fingerabdrucks, da diese kleinen Strukturen oftmals mit Helligkeitsunterschieden verwechselt werden. Optimal sind zum Beispiel Bilder von blauem oder bewölktem Himmel, oder eine glatte Wand. Das sind homogene Flächen, die zwar hell, aber nicht gesättigt sind. Wenn die Polizei also eine Kamera beschlagnahmt hat, können solche Bilder problemlos erstellt werden, was eine gute Ausgangssituation für eine derartige Untersuchung schafft. Es ist jedoch auch möglich einen Fingerabdruck aus beliebigen (nicht unter- oder überbelichteten) Fotos zu erstellen, solange man eine ausreichend große Anzahl zur Verfügung hat.

Bilder aus Smartphones

Die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema ist etwa ein Jahrzehnt alt. Die damals untersuchten Bilder stammten vor allem aus Digitalkameras wie Kompaktkameras oder Spiegelreflexkameras. Moderne Smartphones, mit denen heute der überwiegende Anteil aller Fotos aufgenommen wird, wurden in den ersten Arbeiten nicht thematisiert. In Folgearbeiten konnte gezeigt werden, dass Kameras in Smartphones prinzipiell die gleichen Effekte aufweisen, wenn sie mit nur einer Linse arbeiten. Allerdings haben Smartphones weit mehr Funktionen als traditionelle Kameras. Zum Beispiel werden Bilder häufig mittels Farbanpassungen, Filterungen, Zuschneiden oder digitaler Bildstabilisierung in Apps nachbearbeitet. Manche Fotoapps nehmen auch direkt Korrekturen und Nachbearbeitungen vor um ein schöneres Ergebnis zu erzeugen, ohne dass dies dem Fotografen bewusst ist. Des Weiteren verschicken viele Nutzer ihre Bilder über Messenger-Apps. Um Bandbreite und Speicherplatz zu sparen, verkleinern und komprimieren die gängigen Messenger das Bild. Diese Umstände erschweren die Extraktion des Fingerabdrucks sehr. Es konnten jedoch gezeigt werden, dass es mit entsprechend höherem Aufwand dennoch möglich sein kann, einen solchen Fingerabdruck zu extrahieren, und Bilder damit zu vergleichen.

Weiterführende Quellen

Eine der ersten Arbeiten zu diesem Thema kann man hier finden. Dies ist eine wissenschaftliche Publikation, und daher wird entsprechendes Vorwissen vorausgesetzt.

Eine Matlab-Implementierung des Verfahrens von der gleichen Forschergruppe findet sich hier. Für Matlab wird eine (kostenpflichtige) Lizenz benötigt.

Eine wissenschaftliche Arbeit, die den Einfluss von Sozialen Netzen wie Facebook oder WhatsApp auf die Qualität der Fingerabdrücke diskutiert, findet sich hier.