Kognitive (De-)Aktivierung?
– Wie Studenten die 30. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik erleben
„Sportwissenschaft in pädagogischem Interesse“ lautet der Titel der 30. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft Sektion Sportpädagogik, welche vom 15.-17. Juni 2017 in Hannover – genauer beim Landessportbund Niedersachsen – stattfand. Mittendrin statt nur dabei: 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, u. a. Prof. Dr. Ralf Sygusch, Julia Hapke, Raphael Ptack und zuletzt auch meine Wenigkeit. Als studentische Hilfskraft im AB Bildung im Sport ließ ich mir die Chance nicht nehmen, an dieser alljährlich stattfindenden Tagung teilzunehmen, an der so ziemlich alle großen und kleinen sportpädagogischen Köpfe vertreten sind, die man ansonsten nur aus Sammelwerksbeiträgen oder Zeitschriftenartikeln kennt und – mehr oder weniger willkürlich und reflektiert – auswählt, um das Literaturverzeichnis einer sportpädagogischen Seminararbeit ein wenig in die Länge zu ziehen, um so den Eindruck einer gewissen Belesenheit zu erwecken: Eckart Balz, Peter Neumann, Detlef Kuhlmann, Michael Bräutigam, André Gogoll …
Dass man auf einer Pädagogik-Tagung (und nicht auf einem wissenschaftlichen Kongress von Betriebswirtschaftlern, Ingenieuren, Ethikern oder Juristen) gelandet ist, merkt man bereits beim ersten Blick in das Programm der Tagung. Veranstaltungsformate gibt es – zumindest gefühlt – mehr als man Sozial- und Organisationsformen in seinen Unterrichtsentwurf packen kann: „Hauptvorträge“, „Arbeitskreise“, „Foren“, „Einzelbeiträge“, „Diskursimpulse“, „Postersession“ und „Einblicke“ – methodisch schon einmal ganz großes Kino!
„Pädagogisch wertvoll“ war die Tagung darüber hinaus auch aufgrund des durchwegs wertschätzenden Umgangs, den jeder mit jedem pflegte. So wurde beispielsweise die die Tagung abschließende kritische Reflexion mit der Bezeichnung „critical friends“ tituliert.
Ein kurzer Abriss des Verlaufes: Nach einer Begrüßung des Vorsitzenden des LSB Niedersachsen, Reinhard Rawe, wurde die Tagung von Herrn Sygusch – der in mehreren Rollen und Funktionen als einer der Hauptakteure dieser Veranstaltung galt – eröffnet. Die drei Hauptvorträge – angefangen bei einem politikwissenschaftlichen Vortrag über „Politische Verantwortung und politische Bürger“ über „Beziehungsweise… Empathie als sportpädagogische Kategorie“ bis hin zu Herrn Syguschs Performance zum Thema „Gesundheit im sportpädagogischen Interesse – Forschung, Lehre, Praxis“ – zeigen recht deutlich, dass Sportpädagogik mehr ist als sechs pädagogische Perspektiven, der Doppelauftrag und ein dreidimensionales Kompetenzmodell.
Neben den Hauptvorträgen gab es ein Angebot von 70 Einzelbeiträgen (um einmal die oben aufgeführten methodischen Kategorien auf eine greifbare zu reduzieren), zwischen denen man sich entscheiden musste – im Modell der Aufgabenkultur von Sygusch würde man die Gestaltungsprinzipien „Offenheit“ und „Individualisierung“ mit Bestnoten auszeichnen.
Eine Entscheidung zu treffen, die den Kriterien „Oh! Das ist spannend – das interessiert mich!“, „Was? Das ist Sportpädagogik?“ und „Ach, das wäre ganz hilfreich für’s Examen“ genügt, war gar nicht so einfach.
Eine Auswahl an Veranstaltungen, für welche ich mich letztendlich entschieden habe und – mit zugegeben unterschiedlicher Zufriedenstellung – im Nachhinein meist mit einem aktuell in Köln und einer ehemals in Mainz Sportwissenschaft Studierenden reflektiert habe:
- „Kognitive Aktivierung als Qualitätsmerkmal im Sportunterricht – Adaptation von inter- und intradisziplinären Erkenntnissen für eine theoretische Definition“
- „Unterrichtsqualität im Fach Sport – Dimensionen, Merkmale und Evaluationen“
- „Die Wagnisperspektive in schulinternen Lehrplänen“
- „’Und los!’ – Bewegungszeiten und Bewegungsintensitäten im Sportunterricht mit Schwerpunkt Basketball, Fußball und Völkerball“
- „Revisited: ‚Neoliberale Vereinnahmung des Schulsports? – Aktuelle internationale Diskussionslinien“
- „’5, 6, 7, 8: Weich wie Pudding – hart wie Stein’ – Zur Präferenz unterschiedlicher Tanzvermittlungsmethoden zum Erwerb von Bewegungssicherheit beim Erlernen einer Bewegungsgestaltung“
Die Auseinandersetzung mit dem reichhaltigen inhaltlichen Input mündete für uns – aufgrund des im Rahmen der Diskussion über Unterrichtsmerkmale und -qualität hochaktuellen und kontrovers diskutierten Stichpunktes der „kognitiven Aktivierung“ einerseits und des sich gegen Ende jeden Tages einstellenden „mentalen Overloads“ andererseits – in der Frage: Gibt es eigentlich auch eine kognitive De-Aktivierung?
Eine wichtige Funktion solcher Tagungen ist das Knüpfen von Kontakten zu anderen Universitäten oder, wie ich es oben genannt habe, „sportpädagogischen Köpfen“, neudeutsch „Socializing“ oder „Networking“. Möglichkeiten dazu haben sich vor allem in den Pausen resp. „meet and greets“ zwischen den einzelnen Veranstaltungen und bei den Abendprogrammen ergeben, wobei letztere einmal aus einem Abendessen beim anliegenden Verein „Hannover 78“ und einmal aus der Verleihung des Ars-legendi-Fakultätenpreises Sportwissenschaft 2017 im Rahmen eines Empfangs im Hannoveraner Rathaus bestand – gegeben. Das Highlight war wohl ein Gespräch mit dem Sportpädagogen überhaupt: Dietrich Kurz, Vater und Begründer der uns allen präsenten Mehrperspektivität. Auch mit 74 Jahren hängt sein Herz noch an der Sportpädagogik und der dvs-Sektion. Eine persönliche Einschätzung bzw. Empfehlung seinerseits, mit welchem Thema sich eine sportpädagogische Zulassungsarbeit beschäftigen könnte, nehme ich als besonderen Denkanstoß aus Hannover mit.
Was nehme ich aus den vielen Eindrücken der hervorragend organisierten Tage in Hannover sonst noch mit?
Zum einen und zu allererst, dass Sportpädagogik mehr ist als das, was uns Studenten – nicht nur in Erlangen, sondern auch an den anderen Hochschulen in Deutschland – in Vorlesungen und Seminaren vermittelt wird und aufgrund des begrenzten Umfanges der einzelnen Veranstaltungen auch nur vermittelt werden kann.
Zum anderen, dass sich die Erlanger Sportpädagogik hervorragend präsentiert hat – allen voran mit ihren inhaltlichen und vortragstechnischen Kompetenzen – und aus dem „großen Ganzen“ nicht wegzudenken ist.
Und zuletzt, dass die Sportpädagogik – so merkwürdig das vielleicht klingt – eine große Familie ist, deren fürsorgliches Oberhaupt Dietrich Kurz ist. Dies ist v. a. zum Abschluss der Tagung deutlich geworden, als er ein, genauer sein Buch überreicht bekommen hat: „Pädagogische Fragen zum Sport“, ausgewählte Beiträge von ihm, welche zu dessen Ehre, seinem anstehenden 75. Geburtstag, von Balz & Kuhlmann zusammengestellt wurden und auch jeder Teilnehmer der Tagung als Geschenk erhalten hat – und bestimmt auch demnächst in der Bibliothek zu finden sein wird.
Sophie Engelhardt
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