Was passiert gerade in Polen?

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.
Quelle: pixabay.com

Massiver Rückschlag für Frauenrechte in Polen.

Polen hatte bis zum vergangenen Donnerstag eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Laut einem Gesetz von 1993 sind Schwangerschaftsabbrüche nur legal, wenn eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren, Hinweise auf eine Missbildung oder schwere unheilbare Erkrankung des Fötus besteht oder in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest.

Am Donnerstag (22.10.2020) kam es nun durch Urteil des Verfassungsgerichts in Polen zur Verschärfung dieses Gesetzes. Laut einem Antrag von rechtskonservativen Abgeordneten der Regierungspartei für Recht und Gerechtigkeit (PiS), verstoße das bisherige Abtreibungsrecht gegen das Recht auf Leben. Vorsitzende Verfassungsrichterin Julia Przylebska erklärte daraufhin das bestehende Gesetz für verfassungswidrig. Nun sind in Polen auch Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer Missbildung oder schweren Erkrankung des Fötus gesetzeswidrig. Dies betrifft etwa 95 % !  der bisher legal durchgeführten Abtreibungen in Polen. Die PiS setzt sich schon seit Jahren für eine Verschärfung des Gesetzes ein, die katholische Kirche unterstützt sogar ein vollständiges Abtreibungsverbot. 

Kritik aus Opposition und von Menschenrechtsaktivist*innen.

Heftige Kritik an dem verschärften Gesetz kommt vor allem von Seiten der Opposition und Menschenrechtsaktivist*innen. Die Entscheidung sei gleichbedeutend mit einem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und stelle damit eine Verletzung der Menschenrechte dar. Für viele Frauen bedeute das Urteil „noch größeres Leiden“, erklärte Dunja Mijatovic, Menschenrechtskommissarin des Europarats.

Doch auch vor der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes waren die Rechte von Frauen auf Abtreibung sehr restriktiv. So weigerten sich viele tausend Frauenärzte in Polen aus “Gewissensgründen”, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, die Pille oder gar die Pille danach – beide rezeptpflichtig – zu verschreiben. Um einen Termin beim Frauenarzt zu bekommen, kann mit durchschnittlichen Wartezeiten von 8 Wochen bis zu einigen Monaten gerechnet werden.

Auch in Deutschland ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht selbstverständlich.

Schwangerschaftsabbrüche werden auch hierzulande weiterhin kriminalisiert, es existiert sogar ein Werbeverbot. Abtreibungen sind in Deutschland im Strafgesetzbuch (§218, §219) geregelt und nur nach Beratung, kriminologischer oder medizinischer Indikation nicht strafbar. Nach §219a ist es Ärzt*innen beispielsweise verboten auf ihrer Website darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Darüber hinaus herrscht ein Versorgungsnotstand im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche, welche den größten Anteil an gynäkologischen Eingriffen ausmachen, aber von vielen öffentlich finanzierten Kliniken nicht durchgeführt werden. Das Wissen über Schwangerschaftsabbrüche muss in medizinische Lehre und Praxis sowie Gesundheitsforschung integriert werden und darf nicht weiter tabuisiert werden. 

Wir fordern deswegen:

Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung! Egal wo. Egal wer. Egal warum.

Medizin & Menschenrechte Erlangen e.V.

Weitere Informationen und Aufklärungsangebote zum Thema:

https://doctorsforchoice.de/unsere-arbeit/aufklaerung/schwangerschaftsabbruch/

https://reproductiverights.org/worldabortionlaws

Quellen:

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/polen?nid=104251

https://doctorsforchoice.de/2020/07/stellungnahme-einstellungskriterien/

https://www.sueddeutsche.de/politik/polen-abtreibung-verfassunsgericht-1.5090972

https://www.tagesschau.de/ausland/polen-abtreibungen-101.html