1) Sprachbindung der Künstlichen Intelligenz (KI)
Meines Wissens nach hat noch niemand behauptet, KI hätte mit Sprachen nichts zu tun. Das ist gut so. Denn Sprache und Intelligenz jedweder Art sind eng miteinander verbunden. Schauen wir zunächst auf die Zeichenlehre (Semiotik) der Sprachen. Und da steht das Semiotische Dreieck von Bild 1 am Anfang.
Bild 1: Semiotisches Dreieck
Zu den Gegenständen gehören Dinge wie auch Geschehnisse. Wir sprechen mit Wörtern über Gegenstände. Es wird bekanntlich schwierig, wenn wir in die Höhen der Abstraktion steigen und |Begriff| nicht als Wort, sondern als Abstractum einführen.“ Haus“ ist sicherlich ein Wort, kann aber auch in einer Rede als Begriff benutzt werden. Man sagt dann genauer z.B. „ |Haus| steht als Begriff zur Debatte nicht als Wort“. Man deutet bei |Haus| durch Striche an, um zu zeigen, dass das Wort in die abstrakte Höhe eines Begriffs gehoben wurde. Man kann über abstrakte Dinge genauso reden, wie über konkrete. Man muss es bloß anzeigen, wenn man exakt sein will. Seit Frege (1848-1925) braucht man zum Abstrahieren aber eine Gleichheit im Konkreten, eine Äquivalenz, worauf später noch eingegangen wird.
Paul Lorenzen hat in seinem Aufsatz „Rationale Grammatik“ von 1980 das semiotische Dreieck um eine Komponente „Vorstellung“ erweitert, und wir kommen so zu einem dreidimensionalen Gebilde, das Lorenzen „Begriffstetraeder“ der Begriffstheorie nennt (siehe Bild 2).
Bild 2: Begriffstetraeder nach Lorenzen
Mit dem Punkt „Vorstellung“ kommt in Bild 2 eine dritte Dimension ins Spiel. Aus einem Dreieck wird so ein Tetraeder. Ich schaue z. B. auf einen Baum in meinem Garten und spreche auch über ihn und benutze das Wort „Baum“. Ich habe einen Baum in meiner Vorstellung, auch wenn ich nicht draufschaue. In meiner Erinnerung habe ich als Baum auch noch einen der Riesensequoien (zum Teil 4000 Jahre alt) in Kalifornien in meinen Vorstellungen, weil ich vor langer Zeit mal dort war. Tiere haben auch eine Vorstellung von einem Baum, aber ihr Erinnerungsvermögen ist wesentlich schwächer, weil sie keine Sprache haben. Ihre Vorstellung von einem Baum schwindet. Sprache füttert die Vorstellung. Das kennt man in der Erinnerungspsychologie. Aber immerhin ist festzuhalten: Abstraktion ist ein logischer Prozess, Vorstellung ein psychologischer.
Die gestrichelte Linie als unsichtbare Kante des Tetraeders in Bild 2 kann in der KI eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Wir erinnern an Wittgenstein (1889-1951) mit seinen Philosophischen Untersuchungen in § 395: „Es besteht Unklarheit darüber, welche Rolle Vorstellbarkeit in unserer Untersuchung spielt. Inwiefern sie nämlich den Sinn eines Satzes sicherstellt.“ Es ist eben bildlich gesprochen eine „unsichtbare Kante“, wenn wir aus unserer Vorstellung auf einen Satz als Wortfolge, die KI- zugänglich ist, übergehen. Eine Vorstellung in mir muss in Wort und Schrift externalisiert werden, um KI-zugänglich zu werden.
Wir suchen über Sprache das Bewusstsein. Und die Suche soll über unsere Vorstellungen gehen. Und das ist schwer. Schaut man in Philosophische Lexika nach dem Begriff „Bewusstsein“, so schlägt einem ein wildes Durcheinander entgegen. Einig ist man sich nur, dass der Aufklärungsphilosoph Christian Wolf (1679-1754) das Wort durch eine eigenwillige Übersetzung aus dem Lateinischen „conscientia“ (wörtlich: das Mitwissen) in die Philosophie eingeführt hat. Das Wort gehört heute schon zur Alltagssprache. Vielleicht wäre der Ausdruck „Mitwissen“ besser gewesen und ein Durcheinander wäre uns erspart geblieben. Das englische Wort „consciousness“ (von lat. conscire = mitwissen) für Bewusstsein kommt dem ursprünglich Lateinischen wortgeschichtlich viel näher.
In dem schönen Buch von Ralf Otte „ Künstliche Intelligenz. Illusion und Wirklichkeit“ (2024) spielt der Begriff „Bewusstsein“ eine zentrale Rolle, worauf wir noch genauer zu sprechen kommen. Von Ralf Otte wird Bewusstsein als ein emergentes Phänomen oder übersetzt als eine auftauchtende Erscheinung bezeichnet (S.23). Sicherlich, das Bild, das Phänomen einer Riesensequoie als Mammutbaum taucht dann und wann in mir auf, weil ich auf das Wort „Sequoia“ fixiert bin.
Der Tetraeder in Bild 2 wurde von Ortner in seinen Knoten in Bild 3 noch erweitert. Auch wurde die abstrakte Welt von der Konkreten abgegrenzt.
Bild 3. Begriffstetraeder, erweitert
2) Die Stufung der Intelligenz
Im Buch „ Künstliche Intelligenz- Illusion und Wirklichkeit“ von Ralf Otte führt uns der Autor eine Stufung der menschlichen Intelligenz vor Augen, die grundlegenden Charakter hat.
- Die Deduktive Intelligenz.
Diese Stufe steht auch in historischer Sicht an erster Stelle. Man wollte Deduktion programmtechnisch behandeln. Wenn A irgendeine Aussage ist und irgendwo wird gültig behauptet „ wenn A dann auch B“ dann darf B deduziert (gefolgert) werden. Mit der deduktiven Intelligenz und ihrem Programmieren begann die moderne KI so um 1970. Man nannte KI damals auch noch „ Mechanical Reasoning“. Die bekannteste Programmiersprache war PROLOG.
- Induktive Intelligenz.
Jetzt begann das Nachdenken über eine Lernende Intelligenz. Wenn eine Schraube sich linksherum nicht lösen lässt, weil sie ein Rechtsgewinde hat, dann versucht der Lernende es halt rechtsherum. Wenn es geht, dann hat er etwas gelernt. Der Lernende sucht induktiv aus einer speziellen Situation über Versuch und Irrtum einen Weg durch ein Netzwerk von Möglichkeiten, um zur Lösung zu gelangen,
- Die abstraktive Intelligenz (Kognitive Intelligenz nach Otte).
Ein Kind, das z.B. einen Apfel von einem Baum fallen sieht, wird schnell erkennen, das auch Birnen von Bäumen fallen. Das Kind sieht, der Schwerkraft ausgesetzt, verhalten sich Äpfel und Birnen gleich. Da ist kein Unterschied mehr, trotz unterschiedlichen Aussehens im Konkreten. Das Kind abstrahiert. Trotz diverser Nachfragen bei Neurologen konnte mir niemand beantworten, wo im menschlichen Gehirn das Zentrum der Abstraktionsfähigkeit sitzt. Wo bildet der Mensch die erforderliche Äquivalenzrelation?
- Die bewusste Intelligenz.
Wenn wir Otte folgen, haben wir jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Bis Stufe 3 nennt er das die „schwache KI“. Von Stufe 4 aufwärts, in der Welt des Bewusstseins, nennt er das eine starke KI. Und laut Otte: Starke KI gibt es nur in Hollywood, d.h., sie ist aus heutiger Sicht noch illusionär. Warum ist das so? Mit Blick auf den Begriffstetraeder in Bild 2 und Bild 3 müssten wir unsere Vorstellungen externalisieren. Ich müsste dem Rechensystem mitteilen, wie Riesensequoien in Kalifornien aussehen. Ich müsste die gestrichelte Linie entlang meine Riesensequoien in den Knoten „ Wort, Bild“ transportieren. Oder noch umfangreicher: Meinen Weg mit dem Auto in die Stadt habe ich genauestens in meinen Vorstellungen gespeichert. In meinem hohen Alter mit einem abnehmenden Wahrnehmungsvermögen ist es auch erforderlich, jede Ecke und jede Situation genau zu kennen. Ein autonomes Auto mit mir als bloßer Zuschauer muss das alles noch lernen, was ich weiß. Wir werden das nicht erleben, meint Ralf Otte.