Energiewende: Top-down versus Bottom-up

1) Top-Down oder von oben nach unten

Die moderne Energiewende begann 2015 mit dem Pariser Abkommen . Über 150 Staaten haben sich verpflichtet, der Bedrohung durch den Klimawandel entgegenzutreten und nationale Klimaziele aufzustellen. Mit der Ratifizierung sind die Staaten völkerrechtlich verpflichtet, Maßnahmen zur Erreichung der Ziele zu ergreifen. Ein Höhepunkt der umfangreichen deutschen Bemühungen war 2020 die Verabschiedung des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes  (KVBG), mit dem ein schrittweiser  Ausstieg   aus  der Kohleverstromung  bis 2038 festgelegt wird. Im Koalitionsvertrag der neuen Ampelkoalition ist  eine Verschärfung  des Ausstiegs bis 2030 vorgesehen, d.h., es verbleiben uns noch 8 Jahre. KVBG ist ein typisch deutsches langes  Unwort, und der plötzlich (warum nicht schon 2011 beim Atomausstieg)) an den Tag gelegte Ehrgeiz hat etwas Metaphysisches an sich. Deshalb auch der Zusatz „idealerweise“. Philosophisch kennt man das Gegensatzpaar „ideal/real“. Wer „idealerweise“ sagt, meint, dass das Vorhaben nur mehr oder weniger unvollkommen realisierbar ist. Der „Idealist“ ist aber auch auf seinem hohen Thron verpflichtet, trotz aller Unvollkommenheit Konstruktionsvorschläge zu einer möglichen Erreichbarkeit, zu einer möglichen Realisierung zu machen. Und das fehlt, wie wir gleich sehen werden. Und das kann tödlich sein. Zwar gibt es das Sprichwort „Kinder brauchen Märchen, Erwachsene brauchen  Ideale“, aber bitte, wo bleibt das Verfahren, das „Wie“ zum unvollkommenen Erreichen des Ideals, das Erwachsene brauchen. Auch ein  „Top-down – Mensch“ muss darüber Auskunft geben, sonst gilt er als Spinner. Wenn ich Minister wäre, und, in Anlehnung an die Oper von Adolphe Adam, sagt man auch: „si  j ‘ étais roi“,  so  könnte ich nachts nicht mehr schlafen. Ein Minister braucht, um schlafen zu können, eine Glaubensgewissheit wie ein Bischof.

Bild 1: Strommix Deutschland 2021 als Kreisdiagramm

Mit Kohle und Kernenergie liegt  zur Energiewende ein Ausstiegsvolumen von rund 36,6 % vor. Der riesige Berg soll bis 2030 aus Top-down Sicht bestiegen sein. Natürlich gibt es ein Modell, d.h. eine Beschreibung zum Erklimmen  des Berges. Es heißt Substitutionsmodell. Erneuerbare, CO2-freie Energieformen wie Windkraftanlagen (WKA) und Solarenergie sollen die konventionellen Formen schrittweise ersetzen. Mit jedem Abschalten springt eine erneuerbare Energieform  als Substitut ein, vornehmlich natürlich als WKA. Das Modell sagt, dass jährlich 1500 WKA’s zur Substitution zugebaut  werden müssen. 2% der Landesfläche sind insgesamt zu bestücken. Das sind rund 7000 qkm oder  85 km im Quadrat oder flächenmäßig,  rund der Odenwald vor meiner Tür. Das ist halt so, wenn  Energie nicht punktuell, sondern in der Fläche zusammengesucht werden muss. Versorgungssicherheit soll  auf jeden Fall gewährleistet werden.

Neben dem Modell gibt es in Planungssystemen aber immer noch Gott sei Dank  die Ad-hoc-Maßnahmen. Man spricht auch von situativen Maßnahmen. Deutschland ist Bestandteil eines  europäischen, riesigen Netzes. Ad-hoc kann importiert werden, auch Kohle- und Kernenergiestrom, der im Netz als einem großen See  von Erneuerbaren nicht mehr unterschieden werden  kann. Wie man Ad-hoc-Maßnahmen in einen Planungsablauf modelliert, wird sehr schön im Planungssystem BPMN (Business Process Management and Notation) gezeigt.

Langt der Top-down-Ansatz? Oder muss man nicht auch einen „Bottom-up-Approach“ versuchen, um  an Klarheit zu gewinnen?

 

2) Bottom-up oder von unten nach oben, betrachtet am Großkraftwerk Mannheim

Ich habe in meinem Leben mehrfach das Steinkohlen- Großkraftwerk Mannheim  (GKM) besucht und hier einen gewissen Teil meines Erfahrungshorizontes gelegt. Mannheim ist mein „Unten“. Das GKM gehört zu den bedeutendsten Kraftwerken Süddeutschlands und versorgt den nordbadischen Raum mit Strom und Wärme. Das GKM ist systemrelevant, eine Auszeichnung der Bundesnetzagentur. Nennleistung 2146 MW (106) oder 2,146 GW (109 Watt).  Die Leistungen von Großkraftwerken werden im Allgemeinen in Gigawatt und nicht in Megawatt angegeben. National im Großen spricht man von Terawatt (1012 Watt). Von der gesamten Nennleistung des GKM   von 2,146 GW gehen 1.5 GW (thermisch)  über eine Kraft-Wärme Kopplung (KWK) in das  800 km lange Fernwärmenetz. Das ist das größte Fernwärmenetz Europas.  0.3 GW wird als einphasiger Bahnstrom geliefert. Das sind 15% des gesamten Bahnstroms. Das GKM produziert also disponierbare  Kuppelprodukte , das sind Verbundprodukte, die zusammen entstehen. Das gibt es bei den Erneuerbaren nicht.

Wie soll die Substitution des GKM durch Erneuerbare vor sich gehen?

Dabei macht mir der Ersatz der Fernwärme, also der thermischen, nicht der elektrischen Energie, die größten Sorgen. Die KWK ist ein hocheffizientes Wärmegewinnungsverfahren. An gewissen wohldefinierten Stellen der Dampfturbinen wird der benötigte, nicht mehr so hoch gespannte  Dampf abgezapft und ins Netz geleitet. Der zu verstromende Dampf expandiert weiter in einen Kondensator  hinein als Vakuum, um dort zu kondensieren, damit der Wasser- Kreislauf von neuem beginnen kann. Mit KWK-Wärme kann Wärme aus den Erneuerbaren ökonomisch wohl kaum konkurrieren.

Bild 2. Dampfturbine, unangezapft, schematisch

Wie kann man in Mannheim die Steinkohle hinaus schmeißen und durch Gas ersetzen? Denn Gas produziert nur rund 60% des CO2-Ausstoßes. Das wäre schon mal was,  und vom Gasausstieg hat  in Deutschland noch niemand gesprochen.

Und in der Tat. Eine bedeutende Kraftwerks-Ingenieurleistung der letzten Jahre ist die Entwicklung von Gas-und -Dampfkombikraftwerken , abgekürzt GuD-Kraftwerke. International berühmt wurde das GuD- Kraftwerk in Irsching (Bayern) mit 0,6 GW. In Sachen Wirkungsgrad wurde ein Weltrekord aufgestellt. Während normale Dampfkraftwerke höchstens 40% Wirkungsgrad erreichen (bei intensiver Carnotisierung), gelang es  in Irsching, einen Wirkungsgrad von über 60% zu erzielen. Das  war  2015  Weltrekord. Irsching gilt heute als systemrelevant.

 

Bild 3 : Prinzip eines Gas-und Dampfkraftwerks (GuD)

Eigentlich nur der kohlebefeuerte Dampferzeuger (auch Dampfkessel genannt) verschwindet. Die Abwärme der Gasturbine dient zum Aufheizen des Wasserdampfes. Der  Verbrennungsprozess als Gas-Luftgemisch findet wie beim Flugzeug  nur in der Gasturbine statt und  es wird  deutlich weniger CO2 produziert als bei einer Kohleverbrennung. Die Abgase im Abhitzekessel erzeugen Heißdampf für die Dampfturbine. Die Dampfturbine ist in der Regel mit Anzapfung als KWK-Turbine ausgebildet und kann somit Wärme produzieren, für Haushalte und Prozesswärme für die Industrie.

Das wäre doch ein idealer Ersatz für das jetzige Steinkohlekraftwerk. Wie wir aus einer  Schrift von Wolfgang Geuer (Uni Fulda) erfahren, sind die Kosten für eine Umrüstung von Steinkohle auf GuD  mit ¾ eines Neubaus anzusetzen.  Gasturbinen sind gut regelbar und können schnell einspringen, wenn Not am Mann ist. Eine Umrüstung  wird aber teuer und kann in die Milliarden Euro gehen, was aber in Berlin geklärt werden muss.

Wenn ich den Geschäftsbericht 2020 des GKM lese, wird es rätselhaft, weil der Weg über ein GUD- Kraftwerk verworfen wird. Es heißt in dem  2020-Bericht: „Alternative Erzeugungsmodelle standen zur Debatte, so auch der Bau von Gas-und Dampfturbinenkraftwerken. Diese Planungen wurden 2020 eingestellt“.

Was bleibt uns? Eigentlich nur noch das Prinzip Hoffnung. Mehr nicht.

2 Kommentare zu „Energiewende: Top-down versus Bottom-up

  1. Eine Hoffnung in weiter Zukunft ist der Großeinsatz von grünem Wasserstoff (GW). Wasser H2O gibt es genug. Mit erneuerbarer Energie spaltet man in einer Elektrolyse das Wasserstoffatom (H) ab. Wasserstoff ist das leichteste Element, verursacht beachtliche Abdichtungsprobleme und ist hochgefährlich. In Verbindung mit Sauerstoff (O) kann es unkontrolliert zu einer Knallgasexplosion kommen, weil die Reaktion extrem exotherm ist. Wir sind in einer Wasserstoffturbine an einer kontrollierten Knallgasreaktion interessiert. Wenn in einem Gas – und Dampfkraftwerk (GuD – Kraftwerk ) das fossile Gas durch grünen Wasserstoff (GW) ersetzt wird, bekommen wir ein GWuD- Kraftwerk und sind dann vollkommen CO2-frei, das Ziel unserer Träume. Reines Wasser ist der Abfall. Der Weg dahin ist aber sehr gefährlich, wegen einer möglichen unkontrollierten Reaktion. Enorme Ingenieurleistungen werden verlangt. Wenn ich nochmals studieren müsste, wüsste ich, was ich zu studieren habe. Ob CO2-Freiheit im Wasserstoff erneuerbar oder nuklear hergestellt wird, ist klima-äquivalent oder gleichgültig..Es liegt eine Abstraktion vor, die Nachhaltigkeit genannt wird.

    Hartmut Wedekind

  2. Lieber Hartmut,
    zunächst als Vorbemerkung : auch ich denke immer wieder an Prof. Jaroscheck, unserem gemeinsamen „Diplomarbeitgeber“.
    Nun zu Deinem Artikel:
    Der ist für mich sehr lehrreich und vollkommen verständlich; ich halte den Bottem-Up Ansatz , d.h. von Kraftwerk zu Kraftwerk bzw. von Energiemacher zu Energiemacher (wie WKA’n) zu gehen für mühsam aber sehr wichtig.
    Nur wird dies irgendwo in unserem Land gemacht ?

    Für mich liegt die neue Bundesregierung auf einem falschen Weg und die Aufnahme der Kernenergie in die EU-Taxonomie für ganz richtig.
    Frankreich macht es richtig. Und in Berlin sitzen zu viele Idioten (wie in Deinem Buch-Hinweis).

    Meine Meinung:
    Was mich aber bei den derzeitigen politischen Denkdogmen, insbesondere der Grünen, nach unseren gemeinsam erlebten Jaroschek-Vorlesungen umtreibt, ist die von vielen Politikern ohne vorhandens Fachwissen nachgeplapperte Verdammung der Kerenergie-Gewinnung.

    Ein Verfechter der Kernenergiegewinnung ist Jochen Michels mit seinem Internetforum „gaufrei.de“. Er setzt sich dort insbesondere für den Kugelhaufen-Hochtemperatur-Reaktor ein. Ich habe ihm dort auch schon mehrere Argumentations-Tips wie z.B. den „negativen Temparaturkoeffizienten“ gegeben.
    Er gibt auch einen guten Überblick , was in andeen Ländern auf diesem Gebiet geschieht unter Verwendung des zuerst in der BRD entwickelten BBC-Krupp-Reaktos in Jülich, z.B. in China und USA.
    Ich werde ihn mit Kopie an Dich auf Deinen Artikel hinweisen . Du solltest ihn auch in Deinen Blog-Verteiler aufnehmen und Dich in seinen News-Verteiler aufnehmen lassen

    Meine 2. und grundsätzliche Meinung:
    Die Welt und deren wichtigste Industrienationen werden „in the long run“ , d.h. spätestens in Jahrzehnten bis in Jahrhunderten (wenn die Menschheit dann noch existiert) bei dem stätig steigenden Energiebedarf nicht um die Kernenergie umhin
    kommen. Es sei denn , neue wirtschaftliche Energie-Quellen bzw. -Gewinnungsverfahren werden erfunden und eentwickelt.

    Liebe Grüße
    Klaus

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