Fangen wir mit der Kirche an.
Auf das Thema „Grenzenlosigkeit“ hat mich der Theologe Johannes Fischer 2016 aufmerksam gemacht. Die Frage, die erstellte, lautete„ Sind alle Notleidenden unsere Nächsten“? Wir zitieren Johannes Fischer wörtlich:
„Aus meiner Sicht hat die Grenzenlosigkeit im kirchenoffiziellen ethischen Denken ihre Ursache darin, dass über dem moralischen Eifer dieser Zeiten etwas in Vergessenheit geraten ist, das der theologischen Tradition immer präsent war, nämlich dass die heute vielbeschworene christliche Liebe ein Charisma ist, d.h. etwas, wozu kein Mensch sich aus eigenem Vermögen bestimmen kann, weshalb die Liebe in der Bibel als Frucht von Gottes Geist begriffen wird. Dass jemand die Not eines anderen wahrnimmt und davon so berührt wird, dass sie zum Grund und Motiv seines eigenen Tuns wird – das ist etwas, das einem Menschen widerfährt und das er nicht selbst macht und machen kann. Dies ist der Grund, warum Nächstenliebe nicht moralisch eingefordert werden kann, wie dies in der Flüchtlingsdebatte allenthalben geschehen ist bis hinauf zu kirchlichen Repräsentanten, etwa nach dem Motto: „Wir müssen die Flüchtlinge aus Nächstenliebe aufnehmen!“ Wer mit der Nächstenliebe moralischen Druck aufbaut, hat von ihr nichts begriffen. Im Widerfahrnischarakter des Nächsten liegt eine heilsame Begrenzung: Nicht alle Menschen sind Nächste“.
Da haben wir es. Wer grenzenlos Fluchtlinge aufnehmen will, auch mit den Worten „Wir schaffen das“, handelt nach einem Prinzip, das da lautet „Bist du Flüchtling, komm herein“. Man folgt dabei einem allbekannten Trick. „Grenzenlosigkeit“ ist ein böses Wort, es klingt kakophonisch. „Prinzip“ ist ein gutes Wort, es klingt euphonisch. Dieses klangliche Umfirmieren begegnen wir häufig in Kirche und Politik. Es ist so bequem.
Wir fragen mal bei Immanuel Kant nach und zwar in seinem Essay „ Was heißt sich im Denken orientieren“ von 1786, da steht: „Drittens bedeutet auch Freiheit im Denken die Unterwerfung der Vernunft unter keine anderen Gesetze als: die sie sich selbst gibt. Und ihr Gegenteil ist die Maxime eines gesetzlosen Gebrauchs der Vernunft (um dadurch, wie das Genie wähnt, weiter zu sehen, als unter der Einschränkung durch Gesetze).“ Und der gesetzlose Gebrauch der Vernunft führt, wenn wir Kant im Text weiter verfolgen, in die „Schwärmerei, die jene Günstlinge der gütigen Natur aber Erleuchtung nennen“. Wie Kant Gesetz- und Grenzenlose Erleuchtete zu nennen, das ist Hohn und Spott. Und Kant war in seinem Gesamtwerk im Austeilen nicht zimperlich. In Kirche und Staat sitzen die Erleuchteten.
Das Umfirmieren von Schlechtem in etwas Gutes ist von Johann Wolfgang von Goethe literarisch wunderbar in seinem Faust 2 abgefasst worden. Bei Wikipedia lesen wir unter Goethes Faust 2:
„Mephisto wird neuer Narr des Kaisers. Der hört sich, bereits in Karnevalslaune, die Sorgen und Nöte von Kanzler, Heermeister, Schatzmeister und Marschall an: Es fehlt überall an Geld. Mephisto schöpft Geld, indem er alle ungehobenen Bodenschätze und Schatzfunde dem Kaiser zuspricht und damit die Deckung des Papiergelds begründet. Nach diesem „Mummenschanz“ wird deutlich, dass dies die Golddeckung abgelöst hat.“ In einer Pleitesituation wird einfach Geld geschöpft.
Heute macht man einfach aus Sonderschulden ein Sondervermögen. Und dann: Die verfassungsmäßig vorgesehene Schuldenbremse, in der eine Schuldenaufnahme des Staates in Abhängigkeit vom Bruttosozialprodukt gesehen wird, wird als Begrenzung abgeschafft. Ein Billionen – Finanzpaket für Sicherheit und Investitionen, erklärtermaßen nicht für den Konsum, wird auf den Weg gebracht. Wie sollen die jährlich anfallenden Annuitäten finanziert werden? Durch Papiergeld wie im Faust ? Nein, sagt man heute, durch Wachstum des Bruttosozialproduktes und die damit verbundenen höheren Steuereinnahmen. Das sind die modernen noch nicht gehobenen Bodenschätze eines Mephistopheles.
10 0 = 1, 10 1 = 10 , 10 2 = 100, 10 3 = 1000, 10 6 = 1 000 000 (Millionen)
10 9 = 1 000 000 000 (Milliarden), 10 12 = 1 000 000 000 000 (Billionen)
Willkommen im Zeitalter der Billionen.
Die Billiarden 10 15 warten auf uns. Mit KI schaffen wir das spielend, wir, die Erleuchtende nach Kant.
Was Goethe in seinem Gedicht „Natur und Kunst“ sagt, das weiß eigentlich jeder: „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, nur das Gesetz kann uns Freiheit geben“