Orthosprache als Modellsprache

Wie kann man GPT – Redeerzeugnisse der KI kritisieren?

GPT  oder „ Generative Pretrained Transformer“  (Generativer Vortrainierter Transformer) wird als ein Sprachmodell bezeichnet. Man spricht sogar  wegen des riesigen Umfangs von einem  „Large Language Model“ (LLM) und tut so, als hätte es in den Sprachwissenschaften einen Strukturalismus  nicht gegeben. Im Strukturalismus  unterscheidet  man seit Ferdinand de Saussure  (1857- 1913) den Begriff „Sprache“ (franz. langue) vom Begriff „Rede“ (franz. parole), engl. „speech“. De Saussure gilt als einer   der Begründer der modernen Linguistik, der modernen Sprachwissenschaft.

Sprache (langue) hat Struktur, die man festlegen muss, und das  ist ganz etwas anderes als der faktische Sprachgebrauch, den wir „Rede“ nennen. Mit einem faktischen Sprachgebrauch beschäftigt sich ein GPT der KI, mit einer Sprachstruktur beschäftigt man sich aber nicht. Man tut dies in statistischer Absicht und untersucht Wahrscheinlichkeiten der Wortfolgen, was von Stephen Wolfram (*1959) in seinem Büchlein „What is ChatGPT doing and why does it work“ ausgezeichnet dargestellt wird.  Im Weglassen von Sprachstrukturen  liegt der Ansatzpunkt einer vorzutragenden Kritik.

Eine methodisch, schrittweise eingeführte Sprache nennt man seit Paul Lorenzen (1915- 1994)  Orthosprache  . In seinem Aufsatz „Logik und Grammatik“(1965) in seinem Sammelband „Methodisches Denken“ (1968)  zeigt Lorenzen uns seine  methodische Vorgehensweise an vier Strukturen: Einführung von Elementaraussagen, Termini, Begriffe und logische Partikeln. Elementaraussagen kommen ohne logische Verknüpfungen aus. Termini sind durch Regeln festgelegte Bedeutungen von Eigenschaftswörtern, sog. Prädikatoren. In einer Prädikation werden Prädikatoren einem Eigennamen oder einer  Kennzeichnung zugesprochen. Begriffe sind durch Abstraktion erzeugte Wörter wie z.B. der Begriff „rot“ aus dem Prädikator „rot“.  Von den Logische Partikeln sind vor allen Dingen von Bedeutung: Das Und (∧), das Oder(∨), das Wenn… dann (→) und das Nicht (¬). Eine so entstandene Orthosprache ist für Erweiterungen offen.

In seinem Aufsatz „ Semantisch normierte Orthosprachen“ (1972) in .F. Kambartel / J. Mittelstraß: „Zum normativen Fundament der Wissenschaft“ (1973)  gibt uns Paul Lorenzen einen Hinweis, wie wir kritisch mit einem GPT umgehen können:

„ Mit diesen (orthosprachlichen) Überlegungen sind wir immer noch weltentfernt von einer Syntax des Deutschen  –  sie können nur paradigmatisch zeigen, wie man den Aufbau von Orthosprachen  rechtfertigen kann, derart dass sich diese Rechtfertigung nicht auf Fakten des Sprachgebrauchs beruft, dass vielmehr die Orthosprachen als Modellsprachen zur Kritik des faktischen Sprachgebrauchs dienen können.  Jede logische Kritik am Deutschen liefert hierfür schon Beispiele, wir haben jetzt aber erste Schritte über die Logik hinaus in die syntaktischen Untersuchungen des Deutschen hineingetan.“

Deutsch als eine orthosprachlich gegründete Modellsprache, um Produkte eines  GPT  mit seinen riesigen faktischen Sprachgebräuchen kritisieren zu können, ist eine Herkulesaufgabe und kein Kinderspiel. Es handelt sich um ein größeres Sprachprojekt (kein Redeprojekt), das sich aber lohnen könnte, weil eine logische Überprüfung von GPT-Produkten stattfindet. Das GIGO-Prinzip (garbage in garbage out) bleibt uns aber erhalten.  Wenn man z.B.  politischen Irrsinn in ein GPT hineinstopft, bekommt man leider auch politischen Irrsinn wieder heraus. Daran kann auch  eine modellsprachliche Überprüfung nichts ändern. Irrsinn beseitigen, das  müssen schon die Menschen machen, am besten die, die den Irrsinn angerichtet haben.

3 Kommentare zu „Orthosprache als Modellsprache

  1. Sehr geehrter Herr Wedekind,

    Kuno Lorenz (2009) ergänzt das methodische Prinzip mit einem dialogischen Prinzip, durch das die methodisch hervorgebrachten Konstruktionen in einer Lehr-Lern-Situation gemeinsam verfügbar gemacht werden. Diese Verfügbarkeit wird erzielt in einem Dialog zwischen „Ich und Du“.
    Meine Frage ist nun, wie man diesen beiden Prinzipien umfassend gerecht werden kann, bei dem Versuch, „das Deutsche“ auf kritisch überprüften Boden zu stellen. Wäre es denkbar, eine K.I. so zu trainieren, dass ein Dialog im Sinne des Konstruktivismus stattfinden kann?

    Mit besten Grüßen
    Stefan Jelonnek

    1. Lieber Herr Jelonnek,

      Das von Ihnen zitierte Buch von Kuno Lorenz : „Dialogischer Konstruktivismus“, de Gruyter 2009, 183 Seiten, habe ich mir gerade aus meinem Regal geholt, von mir damals völlig zerlesen. Bevor ich Ihnen antworte, muss ich es aber wieder lesen.

      Viele Grüße
      Ihr H.Wedekind

      1. Ich studiere jetzt wieder Kuno Lorenz (2009).
        Das ist natürlich eine tiefe, zusammenfassende Erkenntnistheorie (Epistemologie). Ob die für unsere praktischen Zwecke genutzt werden kann, das ist Ihre Frage und meine nunmehr auch. Ich glaube aber nicht. Es wird sich zeigen.

        H.Wedekind

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