1) Einleitung
Zu diesem Beitrag wurde ich durch ein Reclam-Büchlein von Holm Tetens angeregt. Es trägt den Titel „ Gott denken – Ein Versuch über rationale Theologie“ (2015). Meine Absicht ist es, die Grundgedanken des Werks von Tetens zu erweitern. Wer befürchtet, innerhalb einer rationalen Theologie würde das Thema „Gottesbeweise“ wieder aufgenommen, der irrt. Das Thema „Gottesbeweise“, also der Versuch mit Hilfe der Vernunft die Existenz eines Gottes nachzuweisen, gilt zumindest seit Immanuel Kant (1724-1804) als gescheitert. Kant, der Aufklärer, wird in der Literatur als „Zermalmer der Gottesbeweise“ bezeichnet. Ein Beweis müsste mit logischen Mitteln geführt werden, nicht nur zum Schein, sondern auch mit inhaltlicher Überprüfung. Und das geht eben nicht. Die Existenz eines Gottes zu beweisen, ist mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich. Letztendlich ist ein „Gottbeweisen-Wollen“ ein Ausfluss menschlicher Arroganz und gehört in die Schublade einer „Gesinnungstheologie“.
Wesentlich bescheidener ist die Aufgabe, in Bedingungen über Gott rational zu reden. Eine rationale Theologie bedarf nicht des Rückgriffs auf Heilige Schriften, sie ist systematisch und nicht historisch interessiert, und äußerst kritische gegenüber Wundern eingestellt. Holm Tetens zitiert in dieser Angelegenheit David Hume (1711- 1776), wonach „Wunder als Ausnahme von Naturgesetzen innerhalb der Erfahrungswelt anzusehen sind. Dabei kann ein Wunderereignis auch fehlerhaft oder unvollständig beobachtet worden sein.“ Zwei Wunder haben christlich gesehen auch rational theologisch eine Bedeutung, weil Gott sie an sich selber vollzieht und offenbart. Es handelt sich, der Unableitbarkeit wegen, um die Jungfrauengeburt Jesus Christi und seine Auferstehung von den Toten. Es sind „miraculi sui generis“ wegen ihrer konstitutiven Bedeutung und verdienen eine theologische Sonderbehandlung. Es handelt sich um Singularitäten (siehe später).
Rationalität ist auch ein Aufruf zur Bescheidenheit, in der man erkennt, wie gering das eigene Vermögen ist. Glauben ist kein Vermögen, sondern ein Bedürfnis, wie Kant schon hervorhob.
Bedingungen und Bedürfnisse können wir erkennen und verstehen. Wichtiges Merkmal einer Rationalität ist die Unterscheidung. Wichtig in unserer Darstellung ist die Unterscheidung zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen, auch mit Bezug auf Gott. Es heißt bei Wikipedia sinngemäß „Aussagenlogisch betrachtet ist eine notwendige (necessary) Bedingung B für eine Aussage G eine Aussage, die zwingend wahr (erfüllt) sein muss, wenn G wahr ist. Es kommt also nicht vor, dass G erfüllt ist, ohne dass auch B erfüllt ist“. Der Übergang von G nach B ist risikolos.
Bin ich bildlich besprochen in G, so kann ich risikolos die Brücke nach B benutzen. Jetzt bin ich in B. Frage: Kann ich wieder zurück nach G? Das ist so ohne weiteres nicht der Fall. Die Brücke kann ja auch eine Einbahnstraße sein. Um zurück nach G zu finden, brauche ich im Falle einer Einbahnstraße eine zweite Brücke. Ich muss aber einen Ortswechsel vornehmen. Nenne ich den Ort B1, in dem ich mich notwendigerweise von G kommend aufhalte, so soll für den Rückgang eine Brücke von B2 aus erfolgen. Von B2 komme ich risikolos nach G zurück. B2 nennt man eine hinreichend (sufficient) Bedingung. Man schreibt: „G → B1“ für eine notwendige und „B2 → G“ für eine hinreichende Bedingung.
Es kann natürlich auch sein, dass B1 und B2 wieder zu B zusammenfallen und dass ich auf meiner „Hin-Brücke“ auch wieder zurückkomme (keine Einbahnstraße). Dann spricht man von einer notwendigen und hinreichenden Bedingung (necessary and sufficient condition). In der Mathematik sind solche zusammenfallende Bedingungen gang und gäbe. In der Theologie sind mir nur getrennte, notwendige Bedingungen oder hinreichende Bedingungen aufgefallen.
Bild 1: Notwendige und hinreichende Bedingungen als Brücken
2) Notwendige Bedingungen: Unbegrenztheit und Vernunft
Mit der Begrenztheit seines Lebens hat der Mensch in jeder Hinsicht seine Erfahrung. Er wird geboren, versucht sein Leben zu verstehen und weiterzugeben, freut sich und leidet und stirbt. Bei den vorsokratischen Griechen wurde der Göttervater als Patriarch noch geboren. Seine Geburtshöhle ist heute noch auf Kreta zu besichtigen. Es war erst Platon (im Timaios), der die Figur eines Demiurgen ersann, eines Schöpfergottes des sinnlich wahrnehmbaren Kosmos. Platon zeigt schon die Stufe für einen für uns heute nur unbegrenzten vorstellbaren Gott. „Es kann nur ein einziges unendliches Ich-Subjekt geben. Nennen wir es Gott“, heißt es bei Holm Tetens (S.33). Er, Gott, wird nicht beschränkt oder begrenzt durch etwas, was er selber nicht ist.
In einer modernen rationalen Theologie wird aus meiner Sicht viel zu wenig die Urknalltheorie der heutigen Kosmologie berücksichtigt. Der Urknall (Big Bang) geschah vor 13,8 Milliarden Jahren. Er bezeichnet keine Explosion in einen bestehenden Raum, sondern die gemeinsame Entstehung von Materie, Raum und Zeit aus einer ursprünglichen Singularität.
Sehr schön ist das künstlerische Bild aus Wikipedia anzuschauen, das die Entwicklung nach dem Urknall, nach der Singularität zeigt.
Bild 2: Entstehung des Universums aus dem Urknall (Singularität) nach Wikipedia
Die zentrale Frage ist: Was ist eine Singularität in der Kosmologie? Wir kennen den Ausdruck aus der Mathematik, und in der Kosmologie wird er nicht viel anders verwendet. Es heißt bei Wikipedia: „Als Singularität bezeichnet man in Physik und Astronomie Zustände, bei denen die betrachteten Raumzeiten (u. a. deren Metrik) in einem einzigen Punkt oder einer komplizierteren Mannigfaltigkeit nicht mehr definiert werden können.“ Da haben wir es. Auch wenn wir 13, 8 Milliarden Jahre zurückschauen, bleibt das unbegrenzte Wesen, das wir Gott nennen, mit menschlichen Mitteln undefiniert. Wir rennen gegen eine Wand. Das heißt aber nicht, dass wir rational hoffnungslos sein müssen. Wir fragen, wer hat denn die Singularität produziert. Die rational theologische Antwort lautet: Das war der unbeschränkte, unendliche Schöpfergott (Demiurg), der hatte die naturwissenschaftlichen Gesetze verfügbar, um ein Singularitäts-Szenario ablaufen zu lassen. Das ist natürlich eine theistische Einstellung, die von Atheisten geleugnet wird. Atheisten leugnen überhaupt notwendige Bedingungen mit Bezug auf Gott.
Nicht nur der Anfang eines Universums in einer Singularität, auch das Ende unserer Welt ist mit dem Verglühen der Sonne absehbar und ziemlich genau bestimmbar. Ewig währet unsere Welt nicht.
Ein unvernünftiger Gott ist aus theistischer Sicht nicht vorstellbar. Wie soll das gehen, ein Gott der unlogisch ist, den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht respektiert und fundamentale Prinzipien vernünftig- menschlichen Denkens beiseiteschiebt? Außer den Atheisten sind rationale Theologen, alle geoffenbarten Religionen und Glaubensrichtungen auf einen vernünftigen Gott festgelegt. Stellvertretend kann hier die berühmte Papstrede in Regensburg 2006 über „Glaube und Vernunft“ zitiert werden.
3) Hinreichende Bedingungen: Bedürfnisse nach Gott
Gott als Bedürfnis des Menschen herauszustellen, ist auf Immanuel Kant zurückzuführen. Das Bedürfnis geht vom Menschen aus, ist also als eine hinreichende Bedingung einzuordnen. Deutlich wird der Zusammenhang, wenn wir den Begriff „Bedürfnis“ in einer bestimmten Nuancierung ins Englische übertragen, um dann den Weg zurückzufinden. Bedürfnis heißt Englisch „ need“, und das bedeutet auch auf Deutsch „Not“. In einer Notlage kommt das menschliche Bedürfnis nach Gott besonders deutlich zum Ausdruck. In seiner Not sitzt ein Mensch in einer Enge, in einer solchen physischen oder psychischen Bedrängnis, dass er sich eine Erlösung herbeisehnt. Diese Sehnsucht nach Erlösung bekommt auch kein diktatorisches Staatswesen weg, das „Religion ist Opium für das Volk“ predigt. Man schaue z.B. nach Russland und in die übervollen Kirchen mit vielen Menschen, viele in Not nach Kleidung und Aussehen. Gospel-Lieder vom Typ „ we shall overcome“ und eine Erlösungstheologie sprechen eine deutliche, hinreichende Sprache.
Es gibt nun viele Bedürfnisse nach Gott als eine hinreichende Bedingung. Man schaue auf die vielen Kunstwerke in Wort, Ton und Bild, und dann auf das Verehrungsbedürfnis bei Prozessionen und vielen Anlässen.
4) Zusammenfassung
Wir haben zwei notwendige Bedingungen in Bezug auf Gott (G) aufgezeigt:
G → Unbegrenztheit,
G → Vernunft.
Dafür darf man wegen des gemeinsamen Vordersatzes G auch zusammengefasst schreiben:
G → Unbegrenztheit ∧ Vernunft (1).
Als hinreichende Bedingungen in Bezug auf Gott (G) haben wir herausgestellt:
Not → G,
Kunst → G,
Verehrung → G.
Dafür darf man wegen des gemeinsamen Nachsatzes G auch schreiben:
Not ∨ Kunst ∨ Verehrung → G (2).
Formel (1) und Formel (2) zusammengefasst lauten:
Not ∨ Kunst ∨ Verehrung → G → Unbegrenztheit ∧ Vernunft
Man erkennt hier Ockhams Rasiermesser, das Prinzip der Sparsamkeit. Wilhelm von Ockham (1288-1347), der Scholastiker würde vielleicht seine Freude haben, seine Nachfolger wohl weniger.
Sehr geehrter Hartmut Wedekind,
danke schön für interessante Bemerkungen an unvergängliches Thema. Zweifellos, es ist unmöglich, einseitig dieses Thema zu beschreiben und genau in dieser wissenschaftlichen Leitung soll jedes Wort bestätigt sein. Dies ist das Markenzeichen Ihres Berichts.
Um ehrlich zu sein, habe ich davor keine genauere Theologiebeschreibung gesehen.