(Erschütterungen einer Rationalen Theologie ?)
1.) „Kurze Antworten auf große Fragen“ (2018), Hawkins letztes Buch
Nach Albert Einstein (1879-1955) ist Stephen Hawking wohl der berühmteste Kosmologe der Neuzeit. Kosmologie ist die Lehre vom Entstehen und Vergehen des Weltalls. Von seinen 10 großen Fragen in seinem letzten Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“ wollen wir uns nur mit seiner ersten Frage „Gibt es einen Gott?“ befassen, gemeint ist ein Schöpfergott mit einer zeitlich unbegrenzten Existenz.
Hawking schreibt am Ende des 1.Kapitels „ Gibt es einen Gott?“ (S.62):
„Bin ich ein gläubiger Mensch? Es steht uns frei zu glauben, was wir wollen. Meiner Ansicht nach lautet die einfachste Erklärung, dass es keinen Gott gibt. Niemand hat das Universum geschaffen und niemand lenkt unsere Geschicke. Das führt zu einer weitreichenden Erkenntnis: Es gibt wahrscheinlich keinen Himmel und kein Leben nach dem Tode. Ich nehme an, der Glaube an ein Jenseits ist lediglich Wunschdenken. Es gibt keine verlässlichen Belege dafür, und die Annahme widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen…..Wir haben nur dieses Leben, und den großen Plan des Universums zu würdigen und dafür bin ich außerordentlich dankbar.“
Hawking drückt sich besonders vorsichtig aus, gar nicht zwingend. Aber er beruft sich auch wissenschaftstheoretisch auf Gesetze der Physik, die im Sinne Poppers (1902-1994) nicht zu beweisen, sondern nur zu widerlegen bzw. zu falsifizieren sind. Wer Lust verspürt, Hawking zu widerlegen, muss sich an die Allgemeine Relativitätstheorie eines Albert Einsteins und an die Quantentheorie, begründet durch Max Planck (1858-1947), heranmachen. Denn hier liegen die Grundsteine, die Hawking benutzt hat für seine kosmologischen Aussagen über einen Schöpfergott. Hawking weist darauf hin, dass Einstein, der als gläubig galt, einen unpersönlichen Gott meinte, der Naturgesetze erlassen hatte. Der Gott der Bibel ist aber ein persönlicher Gott, sagt Hawking zu Recht. Jedoch “Gott würfelt nicht“, ist ein bekannter Ausspruch Einsteins. In wissenschaftstheoretischen Kreisen weiß man, dass Einstein das tatsächlich ernst gemeint hat. Ein Gesetzes-Erlasser im Sinne Einsteins ist kein Würfelspieler. „Wer die Naturgesetze kennt, kennt die Gedanken Gottes“, meint Hawking etwas spöttisch über Einsteins Frömmigkeit. „Die Gesetze mögen von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen, um die Gesetze zu brechen, andernfalls wären es keine Gesetze“ (S.53). Ein Gott als eine Zusammenstellung von naturwissenschaftlichen Gesetzen ist schwer vorstellbar, und schon gar nicht zu vermitteln, zumal das Verständnis der Gesetze ein langes intensives Studium verlangt. „Das ist etwas für eine ganz kleine Superelite“ meint Hawking (S.234). Hawking war sehr volkstümlich und wir sind ihm als Nicht-Physiker dafür sehr dankbar.
Ein fundamental wichtiges Ereignis für die Kosmologie war die Entdeckung der sog. Hubble-Expansion (1929) des Weltalls, benannt nach dem amerikanischen Astronomen Edwin Hubble (1898-1953). Das Weltall ist nicht statisch, sondern breitet sich unentwegt aus. Vor Hubble hatte 1927 das Phänomen aber schon der belgische Jesuit Georges Lemaitre (1894-1966) entdeckt, weshalb man korrekter von der Lemaitre-Hubble-Expansion sprechen müsste. Fundamental ist die Entdeckung, weil es die Grundlage war für die Big Bang- oder Urknalltheorie, die bis heute noch bis ins Detail ausgearbeitet wird. Wenn das Weltall sich ausdehnt, dann muss man es in Gedanken auch schrumpfen lassen können bis zu einem Anfangspunkt, den man den Urknall nennt. „Urknall“ bezeichnet keine Explosion in einem bestehenden Raum, sondern die gemeinsame Entstehung von Materie, Raum und Zeit aus einer ursprünglichen Singularität, heißt es kurz und knapp in Wikipedia. Man könnte auch Unbestimmtheit sagen, die natürlich die kosmologische Forschung reizt. Unbestimmtheiten sind in der Kosmologie ein bekanntes Phänomen, insbesondere auch, weil Hawking mit seinen „Schwarzen Löchern“ auf dem Gebiete gearbeitet hat. Schwarze Löcher sind riesige Massenkonzentrationen mit einer ungeheuren Dichte und Gravitationskraft, so dass sogar Licht nicht mehr entweichen kann. Deshalb schwarze Löcher. Hawkings hat herausgefunden, dass schwarze Löcher strahlen, die sog. Hawking-Strahlen. Das sind thermische Schwarzkörperstrahlen, die uns seit Max Planck bekannt sind. Die Formel für Hawking-Strahlen steht auf seinem Grabstein in Westminster Abbey (siehe auch das Ende unseres Berichts)
Wenn wir das Weltall gedanklich schrumpfen lassen, kommen wir an den Ursprung, mit dem alles begann. Es ist eine ungeheure Massenkonzentration, in der die Zeit stillsteht. Wir wissen seit Einstein, dass zwischen Masse und Energie eine Äquivalenzrelation besteht, das berühmte E = m c2. Wenn das Ur-Universum in einer Nussschale mit dieser Masse explodiert, kann man sich vorstellen, was dann los ist. Das war der Beginn der Welt, und der Zeit, und des Raumes, über die wir reden. Eine Zeit davor, ein Raum davor gab es nicht. Die Explosion, der Big Bang oder Urknall geschah ohne äußeres Zutun, was man quantentheoretisch belegen kann. Man versucht am Large Hadron Collider am CERN in Genf darzustellen, wie die quantenmechanische Situation kurz nach dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren aussah.
Einem Urknall und einem Aufblähen des Universums wird ein Zusammenstürzen der Materie folgen. Auf den Big Bang folgt dann der Theorie gemäß der Big Crunch. „And we are just living in between“.
Beim Betrachten der Urknalltheorie werden wir an Johann Wolfgang von Goethe erinnert, der einmal den folgenden Ausspruch von sich gab:
„Willst du am Ganzen dich erquicken, so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken.“
Goethe konnte etwas, wie so häufig, richtig sehen, obwohl er ein mäßiger Naturwissenschaftler war.
2) Hawking als Person, Idealist und „Singularist“
Hawking war nicht nur ein großer Physiker, er war auch ein Idealist im Sinne des menschlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten. Nicht nur die physikalische Welt interessierte ihn, sondern auch die Frage, was ist der Mensch, über seine Physik hinaus. War er doch seit seinem 20. Lebensjahr, als man beim ihm einen chronisch unheilbaren Muskelschwund, eine Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) festgestellt wurde, auf intensive menschliche Zuwendung angewiesen. Sein Leib versagte vollständig, aber davon unbeeindruckt blühte sein Geist auf. Mit einem ungeheurer Willen, die Schwächen seines Leibes zu überwinden, und einer großen Tapferkeit schuf er Profundes in der Kosmologie. Hawking lebte als Geist, der ihn unaufhaltsam vorantrieb, bis es nicht mehr ging. Das war so beeindruckend; und nicht nur die wissenschaftliche Welt nahm von ihm im März 2018 tief erschüttert Abschied. Hawking war ein menschenzugewandter Familienmensch, berichtete seine Tochter Lucy im Buche, mit der er auch gemeinsam publiziert hat. Er besaß einen trockenen, britischen Humor, so eine Art „ black humor“, was einem Forscher über schwarze Löcher auch ansteht.
Der Ausdruck „Singularist“ bedarf der Erklärung. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zeigt Singularitäten für Schwarze Löcher und den Urknall auf. Das war der Beginn der Hawkingschen Forschung. Wir kennen den Ausdruck „Singularität“ aus dem Mathematik-Unterricht in der Schule. Man zeigt bei mathematischen Funktionen auf einen Punkt der x-Achse, an dem die Ordinate, die y-Achse im sog. Unendlichen verschwindet. Problematisch ist der Ausdruck „unendlich“, weil man nie weiß, ob ein Aktual-Unendliches, also ein fertiges Unendliche, oder nur ein Potentiell-Unendliches, nur ein etwas Möglich-Unendliches vorliegt. Aristoteles war der Erste, der das Potentiell-Unendliche vom Aktual-Unendlichen unterschied. Das Aktual-Unendliche wurde von ihm aus der Philosophie verbannt. In der Mathematik eines Georg Cantors (1845-1918) kam das Aktual-Unendliche aber wieder hoch, so dass man ohne Erläuterung nicht weiß, was gemeint ist. Das Aktual- Unendliche gibt es also nicht nur in der Theologie, dort kommt der Begriff her. Die klassische Theologie kann den Befund eines Stephen Hawkings, der potentiell-unendlich denkt, nicht umgehen. Auch eine rationale Theologie ist neu zu schreiben. Kinder brauchen Märchen, Erwachsene Ideale.
Die mythologischen Aspekte der Bibel sind neu zu überdenken.
Der verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking ist in der Londoner Krönungskirche Westminster Abbey beigesetzt worden (siehe Bilder unten). Auf seinem Grabstein ist seine berühmteste Gleichung zu seiner Theorie über schwarze Löcher zu lesen. „Hier liegen die sterblichen Überreste von Stephen Hawking“, heißt es außerdem auf dem Stein. Hawking liegt neben Isaak Newton, der die Aufklärung eingeleitet hat, und Charles Darwin. Hawking will uns sagen „The Enlightment must go on“, oder: Wenn uns die Vernunft verlässt, sind wir verlassen.
Einstein äussert sich klar in einem seiner ganz späten Briefe (1954 an den jüdischen, deutsch-amerikanischen Religionsphilosophen Eric(h) Gutkind), in dem er sich ein Jahr vor seinem Tod explizit vom Begriff „Gott“ und der Bibel distanzierte:
„Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran ändern.“
Auch das Judentum kommt in dem Brief nicht gut weg:
„Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gerne gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Originalität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppen wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Somit kann ich nichts ‘Auserwähltes‘ an ihm wahrnehmen.“
Schönen Dank. Der späte Sinneswandel eines Albert Einstein war mir nicht bekannt.
Wenig überrascht hat mich im Wikipedia-Beitrag für Georges Lemaitre, Jesuit und einer der Entdecker des Urknalls, die folgende Bemerkung:
„Auf einer Tagung im November 1951 akzeptierte die Päpstliche Akademie der Wissenschaften Lemaîtres Theorie.[8] Papst Pius XII. führte in einem abschließenden Vortrag aus, der mit dem Urknall zeitlich festlegbare Anfang der Welt sei einem göttlichen Schöpfungsakt entsprungen.“
Bei Hawking können wir nachlesen, dass diese Auffasung nicht haltbar ist.
Wie so oft scheint die Kirche sich in kosmologischen Fragen wieder einmal zu irren. Vielleicht dauert es wie im Falle Galilei wieder 300 Jahre, bis man aus einem mythologischen Traum erwacht. „Schuster bleib bei deinen Leisten“, ist ein bekanntes deutsches Sprichwort.
H.Wedekind
Viele Wissenschaftler wehren sich dagegen, wenn man sie als Atheisten bezeichnet.
Damit unterstelle man ihnen, etwas zu wissen, was sie nicht wissen können. Sie bevorzugen die Bezeichnung Agnostiker. Andere wiederum bezeichnen dies als eine nicht akzeptable Ausrede. Man kann sich doch nicht ein Leben lang dumm stellen, um sich ja nicht zu einer Entscheidung durchringen zu müssen. Blaise Pascal (1623-1662) meinte, es sei die bessere Wette an Gott zu glauben. Der zu erwartende Gewinn sei dann größer als der zu erwartende Verlust.