Um die Arbeit des Bundesverfassungsgerichtes besser verstehen zu lernen, ist die Lektüre des kürzlich erschienen Buches von Susanne Baer „Rote Linien. Wie das Bundesverfassungsgericht die Demokratie schützt“ (2025), 384 Seiten, von großem Wert, auch weil das Buch viele biographische Elemente enthält und die Lektüre zu einem Vergnügen machen. Das Außergewöhnliche am Verfassungsrecht ist, dass es für alle gilt. Man sagt auch gelehrt „erga omnes“ (für alle) und meint laut Wikipedia ein absolutes Recht.
Das Verfassungsgericht lebt von Myriaden von Fällen, die an das Gericht zur Bearbeitung und Entscheidung herangetragen werden. Ein Fall, das ist zunächst mal eine Aussage, meist in deutscher Sprache. Das Verfassungsgesetz als Text, der dem Gericht vorgegeben wird, ist ebenfalls in deutscher Sprache abgefasst. Jetzt kommt das Problem: Wie bekomme ich den Fall unter das Gesetz. Das Problem nennt man Subsumtion und ist ein Kerngeschäft des Gerichtes. „Alle Entscheidungen müssen juristisch begründet werden, präzise und sauber subsumiert“ heißt es bei Susanne Baer auf Seite 135.
Jetzt kommt mein Dissens mit der Juristerei. Mit meinem Faible für Logik hätte ich niemals Jurist werden können, auch weil Logik in der juristischen Ausbildung nicht vorkommt. Aber, wegen logischer Fehler wird jedes Gerichtsurteil verworfen. Die Inkonsistenz im System der Juristerei ist evident. Auch Logik ist erga omnes (für alle):
Auf Seite 169 im Buch von Frau Baer heißt es:
„Es gibt Regeln für die Auslegung für die Auslegung von Gesetzestexten und die werden in der juristischen Ausbildung über Jahre erlernt. In Deutschland gilt der Jurist Carl Friedrich von Savigny (1797-1861) mit seinem Text zum römischen Recht von 1840 als Urheber; heute sortieren Auslegungsregen jede juristische Diskussion darüber, was eine Norm bedeutet. Auch hier liegt ein großer Unterschied zur Politik: Im Bundesverfassungsgericht werden zwar Probleme behandelt, die politisch sind, aber die werden nicht viel debattiert, sondern juristisch geordnet.“
Savigny folgend wird dann auch der Ordnungsbegriff „abstraktes Rechtsgeschäft“ eingeführt. Es wird zwischen einem Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kauf einer Ware) und einem Verfügungsgeschäft (z.B. (Lieferung einer Ware) unterschieden. Kauf ist demnach konkret, weil nicht abstrakt, und Liefern ist abstrakt. Abstraktion ist für Juristen eine Trennung, und es wird das Abstrakte nicht aus dem Konkreten entwickelt, wie die philosophische Logik seit Gottlob Frege (1848-1925) das tut. Frege gehört zu den ganz Großen in der philosophischen Logik.
Auf Seite 181 bei Susanne Baer heißt es „Der Sachverhalt wird unter Normen subsumiert“. Um den Satz verstehen zu können, muss man wissen, was ein Sachverhalt und was eine Norm ist. Im Sinne der Abstraktionstheorie eines Gottlob Freges ist die Festlegung von „Sachverhalt“ und „Norm“ leicht durchführbar. Sie wird uns in der Literatur an vielen Stellen „straightforward“ vorgeführt. Wir verweisen hier auf Wilhelm Kamlah „Philosophische Anthropologie“ (Seite 96).
„Zwei synonyme Aussagen stellen denselben Sachverhalt dar“.
Und ein Sachverhalt ist wirklich, wenn die darstellende Aussage gilt d.h. wahr ist. Die Synonymität oder intensionale Gleichheit von Aussagen führt zur Abstraktion im Sinne Freges. Sachverhalt wird als Abstraktor bezeichnet. Wenn ich sage „Der Sachverhalt `Putin hat die Ukraine angegriffen ´ist wirklich“, dann muss die Aussage „Putin hat die Ukraine angegriffen wahr sein. Sehr schön wird der Zusammenhang von Kuno Lorenz in der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (Band 7) unter dem Stichwort „Sachverhalt“ dargestellt. Man muss natürlich wissen, was eine Aussage und was eine Synonymität ist. Das kann man aber in jeder „Logischen Propädeutik“ nachlesen.
Um zu erklären, was eine Norm ist, gehen wir vom berühmten „Kategorischen Imperativ“ eines Immanuel Kant aus. Kant ist einer der vielen Väter des Grundgesetzes. Es gibt verschiedene Formulierungen des Kategorischen Imperativs, die alle den gleichen Kern haben. Es geht darum, dass ein Mensch niemals bloß als Mittel benutzt werden darf. Jeder Mensch hat immer auch einen Selbstzweck und natürlich auch eine Würde, die von Kant vor über 300 Jahren schon klassisch herausgearbeitet wurde. Kant ist ein Verfassungsvater. Berühmt ist die Formulierung als Goldene Regel „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“
„Zwei inhaltlich gleiche Formulierungen stellen dieselbe Norm dar.“
Man kann also sagen „die Norm `Der Mensch ist nicht nur Mittel´“.
Die Subsumtion unter den Kategorischen Imperativ ist nun besonders leicht, wenn wir an Sachverhalte einer evidenten Ausbeutung oder Sklaverei denken. Sie führt unmittelbar auf die Entscheidung eins Verbotes. Das Bundesverfassungsgericht hat es wesentlich schwieriger, wenn das Dreigestirn nach Baer nämlich „Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit“ in einer Norm zur Debatte stehen. Berühmt ist das Urteil von 1995, in dem „Soldaten sind Mörder“ unter die Meinungsfreiheit fällt (im Buch auf Seite73). Ein Urteil muss auch immer zum Rechtsfrieden beitragen; das tut das Gericht aber nicht, wenn es Beleidigungen als Meinungsfreiheit deutet und nicht als Straftatbestand (§ 185 StGB). Frau Baer sagt, das Gericht muss ideologiefrei sein. Pazifismus ist aber eine Ideologie.