– Eine notwendige Bedingung für einen Weg aus dem arabischen Elend –
1.) Arabterm: Ein technisches Wörterbuch für die arabische Welt
Arabterm ist kein schlichtes Wörterbuch, um technische Begriffe aus der westlichen Welt (Englisch, Französisch, Deutsch) ins Arabische zu übertragen. Arabterm ist mehr. Es handelt sich um einen Ansatz eines Online-Lehrbuchs für technische Berufe in der arabischen Welt. Das sollte man so interpretieren, wenn man die Bemühungen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) liest. Es geht somit in Arabterm nicht nur um europäische, technische Fachtermine ins Arabische zu übertragen, sondern um Erklärungen in Kontexten. Wörterbücher sind mechanisch: Eingang hier, Ausgang dort. Wozu das Ganze? Das sagt ein schlichtes Wörterbuch. Das aber war nicht die gestellte Aufgabe für Arabterm. Technische Bildung ist eine notwendige Bedingung zur Beseitigung oder wenigstens zur Linderung des Elends im Arabischen, so wie eine Primzahl notwendigerweise ungerade zu sein hat. Hinreichend ist die Bedingung natürlich nicht. Es gibt auch ungerade Zahlen, die keine Primzahlen sind. Mit einer technischen Bildung werden noch lange keine bürgerschaftliche Bildung (civic education) und keine Qualität in der Staatsführung (governance) erzielt. Die braucht man aber auch, um notwendig (necessary) und hinreichend (sufficient) zu sein. Notwendige Bedingungen sind logisch zwingend. Hinreichende Bedingungen sind ersetzbar.
Über das Elend, insbesondere der arabischen Jugend, informiert eindrücklich auch der neue Arab Human Development Report (AHDR) 2016.
2.) „Philosophie de la misère“ oder „ La misère de la philosophie“ (Karl Marx)
Karl Marx (1818-1883) war der Mann, der das Thema „Elend“ in die Philosophie gebracht hat. Eine praktische „Philosophie des Elends“ steht hier in unserem Thema zur Debatte, und, wenn es geht, um einen Hinweis zur Beseitigung oder Linderung des Elends mit technischen Mitteln zu geben. Wer im Politischen und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich bessere Vorschläge hat, der sollte sie vortragen. Es ist dringend! Ein Elend in der arabischen Welt langt. Ein Elend der Philosophie ist entbehrlich, sagte schon Karl Marx sinngemäß, spöttisch. Revolutionen im Marxschen Sinne als ein heute erkanntes untaugliches Mittel stehen aber nicht zur Debatte. Wegen des kommenden Karl- Marx-Jahres (2018) darf man Marx doch hoffentlich noch zitieren. Was wir brauchen ist eine technische Philosophie des arabischen Elends, das entstanden ist durch Verweigerung einer technischen Entwicklung, seit den Zeiten unserer Industrialisierung.
Es kann nur ein „leapfrogging“ in Frage kommen, also ein Überspringen ganzer Entwicklungsperioden. Eine Sprungplattform, auf die die arabische Welt irgendwann mal froschartig hüpfen sollte, ist die Digitalisierung, und zwar mit entscheidenden Entwicklungsbeiträgen aus dem arabischen Raum. Nach Arabterm sollte das Wort Analog-Digital-Wandlung (تَحْوِيلٌ تنَاظُرِيّ رَقْمِيّ ) im Arabischen aber schon lehrbar sein. Digitalisierung ist unvermeidbar. Noch klingt das als ein „wishful thinking“ bei 60 Millionen jugendlichen Arbeitslosen und vielen potentiellen Auswanderern, die arbeitslos auf gepackten Koffern sitzen, um quasi ohne Vorbildung ins „europäische Paradies“ zu gelangen: Aber die Chinesen haben den Froschsprung auch geschafft. Wir erleben sie heute als Touristen, nicht als Kriegs- und Elends-Flüchtlinge. Eine Philosophie des Elends muss konstruktiv sein und kann nicht im Beschreiben des Elends stehen bleiben. Man muss das Elend beseitigen, so etwa hat das auch Marx gesagt. Karl Marx, der Erfinder der Linksromantik, hat aber nicht technisch, nicht konstruktiv gedacht, im Gegensatz zu seinem weltanschaulichen Gegenspieler, Frederik Winslow Taylor (1856-1915). Marx dachte an die “Expropriation der Expropriateure“ (Umverteilung) und nicht wie Taylor an technische Verbesserungen zur Hebung des Wohlstands. Marx heute würde die Ölscheichs, die Expropriateure, zum Teufel jagen. Und dann? Das Elend bliebe. Walther Rathenau (1867-1922): „Der kapitalistische Mehrwert macht ein Pfund Butter pro Jahr auf den Kopf der Bevölkerung aus.“ Es bleibt der Ausspruch des muslimischen Nobelpreisträgers von 1979, Abdul Salam (1926-1996), siehe auch den Blogbeitrag“ Aufstieg und Niedergang der arabischen Welt“: „In allen Zivilisationen auf dem Planeten ist die Wissenschaft in den Staaten des Islams am schlechtesten. Die Gefahr dieser Schwäche kann man nicht deutlich genug betonen, denn das ehrenvolle Überleben einer Gesellschaft hängt unter den Umständen der gegenwärtigen Zeit unmittelbar von ihrer Wissenschaft und Technologie ab.“
3.) Anwendungen des Arabterm – Wörterbuches
Wissenschaftlich-technische Wörterbücher sind Instrumente wissenschaftlich-technischer Arbeit. Eine Fachterminologie ist das Skelett einer jeden technischen Wissenschaft. Sie gehört im Studium zu den Grundlagen und im Beruf zur Dokumentation von Ablauf- und Aufbaustrukturen. Mit einer Fachterminologie fängt alles erst an, bevor man sich verständnisvoll den umfangreichen Regelwerken der Anwendungen (Muskeln) und den Prozessabläufen (Blutkreislauf) zuwendet. Eine Fachterminologie ist das Skelett einer jeden technischen Wissenschaft. Sie gehört im Studium zu den Grundlagen.
Aus der Arabterm-Literatur erfahren wir, dass es in der arabischen Welt kaum technische Lehrbücher in arabischer Sprache gibt. Das Elend beginnt also schon ganz am Anfang eines technischen Studiums. Fast alles ist nur auf Englisch oder Französisch zu haben. Technische Dokumentationen für die Lehre, für Installation und Betrieb sind durchweg in westeuropäischen Sprachen verfasst. Der Unterricht erfolgt jedoch auf Arabisch, wahrscheinlich eine Art „Arenglisch“, eine Nachbildung des deutschen „Denglisch“. Sehr schön beschrieben sind die Zusammenhänge in: “Wissen der Welt – Ein technisches Wörterbuch für die arabische Welt“, als PDF in Arabterm unter Downloads.
Eine Vorlesung auf Arabisch über elementare Analysis an der Islamischen Universität in Gaza, die ich auf Youtube mal verfolgt habe, war wegen der benutzten international gebräuchlichen Notation für mich verständlich, obwohl erläuternd arabisch gesprochen wurde. In klassisch arabischer Notation von rechts nach links mit indischen Ziffern und arabischen Zeichen für Relationen und Operatoren wäre die Vorlesung für mich komplett unverständlich gewesen. Die internationale mathematische Notation ist eine standardisierte Fachterminologie, die eigentlich auch jeder Technikstudent und Ingenieur im Arabischen verstehen sollte.
Wir lesen in der Arabterm-Literatur, dass das „Online-Fachwörterbücher zu den Disziplinen Wassertechnik (7.056 Einträge), Kraftfahrzeugtechnik (4.777 Einträge), erneuerbare Energien (4.746 Einträge), Elektrotechnik (2.872 Einträge), Textilindustrie (455 Einträge) sowie Transportwesen und Infrastruktur (180 Einträge)“ aufweist. „An weiteren Inhalten wird zurzeit gearbeitet. Das Projekt soll in Abhängigkeit von den Anforderungen der verschiedenen Sektoren ausgeweitet werden.“
Von Wichtigkeit für den Einsatz von Arabterm ist die Bemerkung, dass das Arabische die Zielsprache (target language) ist. Ausgangssprachen (source languages) sind das Englische, Deutsche und Französische.
Wir nehmen zwecks Erläuterung mal an, der deutsche Terminus „Kurbelwelle“ stünde zur Debatte. Wir tippen „Kurbelwelle“ in Arabterm unter der Sektion Kraftfahrzeugtechnik ein und erhalten das folgende Ergebnis:
Bild: „Kurbelwelle“ im Wörterbuch Arabterm
Man muss wissen, dass die arabische Welt in einer Diglossi (Zweisprachigkeit) lebt, was als eine Entwicklungsblockade aufzufassen ist (siehe im Blog: „Aufstieg und Niedergang der arabischen Welt“). Es gibt neben dem Hocharabischen noch viele unterschiedliche Dialekte, in denen im täglichen Leben gesprochen wird. Ein ägyptisches Arabisch ist schon verschieden von einem marokkanischen Arabisch. Was technische Termini angeht, so schimmern noch immer die französische Kolonialzeit im Westen und die englische Kolonialzeit in Ägypten durch. Die Übersetzer standen deshalb vor dem Problem einer Unifizierung (Vereinheitlichung). „Unified Arabic term“ für Kurbelwelle bedeutet, dass während des Übersetzungsprozesses eine Vereinheitlichung stattgefunden hat. Ich bewundere die Übersetzer, die ähnlich wie Martin Luther (1483-1546) das Neuhochdeutsche als Schriftsprache erfanden und die nun ein technisches Arabisch in die Welt setzten. Hoffentlich haben sie dabei wie Luther “dem Volk aufs Maul geschaut“ und sich nicht im hocharabischen Denken bewegt, was im breiten Volk nur schwer verstanden wird. Hocharabisch ist die Amtssprache. Technisches Arabisch ist profan und eine Volkes Angelegenheit und hat mit dem sakralen Koran nichts zu tun. War die Übersetzung ein erster Schritt zu einer Diglossie-Überwindung? Wir können es nur hoffen. Man sollte aber immer wieder mal den schwäbischen Ingenieur Max Eyth , 1836-1906, („Hinter Pflug und Schraubstock“) in historischer Absicht lesen, um sich die Schwierigkeiten beim Einführen des „Dampf-Pflügens“ in Ägypten, so um 1862, vor Augen zu führen.
Sehr zu bedauern ist das Fehlen von Abbildungen (siehe Bild oben). „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, sagt ein Sprichwort. Einer der Autoren, Prof. Spöttl von der Universität Bremen, äußerte mir gegenüber sein großes Bedauern, dass die arabischen Redaktion Zeichnungen und Skizzen der Autoren entfernt hätten. Man hätte das Ganze einem bekannten technischen Verlag überlassen sollen, meinte Spöttl.
Arabterm ist gedacht als Stütze für den technischen Unterricht in arabischen Ländern. Arabterm kann sichtbar verbessert werden. Ein Ziel im Denken sollten die deutschen Berufsschulen und Berufsfachschulen sein. Das Problem des technischen Unterrichts für Migranten aus dem Arabischen in Deutschland ist zwar anders gelagert. Für arabische Länder ist der technische Unterricht in Deutschland aber ein leuchtendes Beispiel. Man schaue auf die gerade erschienene Lehrunterlage (2016) des Verlages „Europa-Lehrmittel“:
„Technisches Deutsch, Metallbau- und Fertigungstechnik – Grundbildung – für Arabisch sprechende Auszubildende“ (siehe Technisches Deutsch).
Es wird von Migranten nur ein A1/A2 Sprachniveau für Deutsch im Rahmen des Europäischen Fremdsprachenrahmens verlangt. In die Höhen B1/B2 und gar C1/C2 für die Hochschulreife braucht man nicht zu gehen. Das gilt für ein Technisches Verständnis allgemein, das nicht komplett natur-sprachabhängig ist wie z.B. Soziales, Recht und Geisteswissenschaftliches. Der Konjunktiv und komplizierte Nebensätze mit schwierigen Konjugationen und Deklinationen kommen nicht vor. Das Bild (wie in der Medizin) steht im Mittelpunkt von „Technisches Deutsch“, und rechts auf jeder Seite sind die auf der Seite benutzten deutschen Fachausdrücke in ihrer Übersetzung ins Arabische vermerkt. Ein Deutsch-Arabisches und ein Arabisch-Deutsches Wörterbuch befinden sich als Zusammenfassung im Anhang. Schon das bloße Durchblättern der Veröffentlichung vom Verlag „Europa Lehrmittel“ löste bei einem alten Maschinenbauer Begeisterung aus. So muss er sein, und so sollte er sein der technische Unterricht in der arabischen Welt. Wir brauchen dort auch polyglotte Lehrunterlagen. Technische Bildung, das ist auch eine notwendige Bedingung für unseren eigenen Wohlstand. Warum sollte diese notwendige Bedingung nicht für die arabische Welt gelten?
ich versteh nur Bahnhof 🙂
Sie müssten mir schon sagen, was Sie nicht verstehen, damit ich erkärend antworten kann. Dass Sie nichts verstehen, so der Sinn der Redensart „ich verstehe nur Bahnhof .. und Abfahrt“, kann ich nicht annehmen. Das wäre nämlich fürchterlich.
Ihr
Hartmut Wedekind