Luther als Paradigmen-Wechsler

-Zum Luther-Jahr 2017-

1) Historisches

Wir begehen in diesem Jahr ein Luther-Jahr.  Vor 500 Jahren, am 31.10. 1517 soll  Prof.  Dr. Martin Luther (1483-1546) seine   mittlerweile welt-berühmten 95 Thesen auf Latein an die Kirchentüre der Schlosskirche  in Wittenberg angeschlagen haben. Die Kirchentüre war das Schwarze Brett der Universität, und Einladungen zu Disputationen gehörten zu den Rechten eines Professors. Anlass des professoralen Zorns war ein blühenden Ablasshandel. Das war ein Sündenstrafen-Erlass gegen Geld, um die von außen ununterscheidbaren Kirchen- und Staatskassen zu füllen. Der Ablasshandel ist seit 1562 in der römisch-katholischen Kirche verboten. Ein sichtbarer  Erfolg Luthers, der aber viel zu spät kam, weil schon längst eine Aufruhr-Stimmung in  deutschen Landen entstanden war, die große Teile Europas erfasste. Voraussehen konnte das niemand, vorausahnen schon. Denn 1517 war das Zeitalter der  Renaissance und des Humanismus (14. – 15. Jh.),  also des kulturelle Umbruchs Europas schon voll im Gange. Die Anthropozentrik schaffte sich ihren Platz gegenüber der Theozentrik des Mittelalters und der Scholastik , z.B. eines Thomas von Aquin (1225-1274). Der zornerfüllte Martin Luther lebte als Wissenschaftler genau zur rechten Zeit. Im Sinne einer Vereinheitlichung der deutschen Sprache war seine Bibelübersetzung von fundamentaler Bedeutung.

 

2) Luther als Paradigmen-Wechsler

Seit  Thomas S. Kuhn (1922-1996), amerikanischer Wissenschaftstheoretiker, mit seinem berühmten  Werk „The Structure of Scientific Revolutions“ (1962)  spricht man bei einer wissenschaftlichen Revolution von einem Paradigmenwechel . Die Rahmenbedingungen, unter denen Wissenschaftler  zu arbeiten haben, ändern sich drastisch.  Im Normalzustand entwickelt sich eine Wissenschaft durch Wissensmehrung langsam und stetig im Sinne Poppers (1902-1994) . Dann gerät eine Wissenschaft in eine Krise, weil  beobachtete Phänomene mit den gängigen Mitteln nicht mehr beschrieben und erklärt  werden können (1. Phase). Durch einen Paradigmenwechsel, also durch einen radikalen Umbruch gerät der normale wissenschaftliche Ablauf ins Schleudern (2. Phase). Die Krise wird aber nicht behoben, sondern dümpelt auf einen höheren Niveau vor sich hin (3. Phase).  Max Planck, der für die Naturwissenschaften spricht, hat zu dieser 3.Phase gesagt: „Eine neue große wissenschaftliche Idee pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner allmählich überzeugt und bekehrt werden – dass aus einem Saulus ein Paulus wird, ist eine große Seltenheit – sondern vielmehr in der Weise, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die nachwachsende Generation von vornherein mit der Idee vertraut gemacht wird.“

 Das gilt natürlich für Naturwissenschaften, die (noch) nicht (macht-) politisch verseucht sind. Die Theologie, und Luther war ein hochbegabter, sprachbewusster  Theologe,  ist von jeher  (macht)-politisch durchsetzt worden, bis in unsere Tage. Das ist  mit ein Grund, weshalb diese 3. Phase auf höherem Niveau  theologisch noch nicht  zu Ende gekommen ist und vor sich hin dümpelt. In Naturwissenschaften, die unpolitisch zu sein haben, geht das schneller, um in  die  4. Phase eines Normalablaufes zu gelangen.

Bild 1:  Ablauf des  Lutherischen Paradigmenwechsels

Der Ablauf eines Paradigmenwechsels nach Kuhn wird im Bild 1 dargestellt. Das Bild gilt  auch allgemein für den Ablauf von Paradigmenwechseln  mit seinen Phasen und ist hier lediglich mit den Lutherischen Daten versehen worden.  Ein Paradigma wird immer mit einem Namen in Verbindung gebracht. Wir könnten  in dieses Schema genauso gut die Daten von anderen Paradigmen-Wechslern wie Kopernikus (1473-1543), Newton (1642-1726), Lavoisier (1743-1794), Einstein (1879-1955) und vielen anderen eintragen. Diese Abläufe sind zeitlich kompakter, weil diese Wissenschaften nicht politisch vergiftet waren. Diese Bemerkung soll eine Ermahnung an die Theologie sein, um Gottes Willen die Hände von der Politik zu lassen. Die (weltliche) Politik  mit ihren Machtansprüchen zerstört das Fach. Theologie soll machen, was ihre Sache ist, nicht mehr und nicht weniger. Sie sollte eine normale systematische und historische Wissenschaft sein, was der Prof. Luther ja auch ursprünglich im Sinn hatte. Der Fall „ Galileo Galilei“ (1564-1641) war ein machtpolitischer Fall, der erst 1992 entpolitisiert und ad acta gelegt wurde.

 

3) Inhalt des Lutherischen Paradigmas

Wir greifen auf die wunderschöne und hochgeachtete Luther-Biographie  meines ehemaligen Erlanger Kollegen Walther von Loewenich  (1903-1992) zurück. Nach  der Übernahme seiner Professur in Wittenberg  (1512) „waren  die Jahre 1513-1517 in gewissem Sinne der großartigste Abschnitt in Luthers Leben“ stellt Loewenich fest.“ In diesen Jahren erarbeitete er, noch nicht abgelenkt durch Kämpfe von außen und noch nicht erregt durch aufgedrungene Polemik, in der Stille des Klosters die Grundlagen seiner reformatorischen Theologie, ganz hingegeben der Sache. Er vollbrachte in diesen Jahren eine immense theologische Leistung“ (S. 89).  In  „ der Rechtfertigung aus Glauben im Römerbrief des Paulus“ entdeckte Luther seinen neuen Ansatz. Wie ist  dieses  Stichwort zu verstehen? Man muss ein wenig Philologie betreiben, um dahinter zu kommen.   „Rechtfertigung“ ist zu verstehen als „Gerechtmachung“ (justification) (S. 82). Es gibt bei Luther nun eine aktive Gerechtigkeit und eine passive Gerechtigkeit. „Die Gerechtigkeit Gottes ist die, mit der wir beschenkt werden (passiv)“ (S. 82). Es ist also eine empfangende und keine gebende Gerechtigkeit. „Die Gerechtigkeit Gottes passiv genommen deckt sich dann mit der göttlichen Barmherzigkeit“ (S. 82).Und jetzt kommt’s: Die beschenkte Gerechtigkeit wird  „Allein durch den Glauben“  erworben und nicht durch Leistungen. “Kein zu erwerbender Ablass, keine Bußtaten oder frommen Werke, keine Fürsprache durch Heilige oder Instanzen des Klerus schenkt den Menschen die Gewissheit der Gnade Gottes, sondern allein der Glaube (sola fide).“  Kein ‚do ut des‘, kein ‚ich gebe, damit du gibst‘. Luther erfand eine Gnadenreligion und grenzte sie von einer üblichen Leistungsreligion ab. Löwenich meint, „Luthers Lehre von der Rechtfertigung erscheint manchem kompliziert und abstrakt; in Wahrheit ist sie ganz einfach und ganz konkret. Sie ist nichts anderes als ein getreues Bild der wirklichen Lage des Christen vor Gott“ (S. 85).

 

4) Ökumene (4.Phase) und die Frage: „Kommt er oder kommt er nicht“?

Wir lesen bei Wikipedia in Sachen Rechtfertigung (Theologie):

„Die jahrhundertelange Kontroverse, was eine angemessene Rechtfertigungslehre zu vermitteln habe, hatte ihren Schwerpunkt in der Zeit der Reformation und der Katholischen Reform. Die Hauptkontrahenten von einst – die römisch-katholische Kirche und die Evangelisch-Lutherischen Kirchen – haben am Reformationstag 1999 ihren Streit beigelegt. Dennoch sind Teilaspekte weiterhin strittig, deren Diskussion von Nichtbeteiligten oder im Streit Unterlegenen angemahnt wird.“

Seit 1999 also kommt in Bild 1  die gezeigte, gezackte 3. Phase als Krise  langsam zur Ruhe. Lucas Wiegelmann und andere werden aber langsam ungeduldig. In seinem Kommentar „Hört auf mit der Ökumene“ schreibt er  in DIE WELT  am 7.02 2017:

„Zumindest in der hohen Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen, haben die mächtigen Männer der evangelischen und der katholischen Kirche längst zur vollen Einheit gefunden. „Ich gehe mit viel Hoffnung in die Zukunft“, sagte der evangelische Bischof Heinrich Bedford-Strohm nach dem Besuch evangelischer deutscher Bischöfe im Vatikan. Papst Franziskus schlug vor, „Christus erneut ins Zentrum der Beziehungen zu stellen“, und der katholische Kardinal Reinhard Marx philosophierte: „Am Anfang der Ökumene steht der Wille zur Ökumene.“ Man hätte noch ergänzen können, dass der Ball rund ist und das Jahr 365 Tage hat.

Konkreter wurde es nicht beim Ökumenegipfel in Rom, wenn man von der Einladung an Franziskus absieht, nach Deutschland zu kommen – eine Einladung, die der Heilige Stuhl vornehm verhallen ließ. Anders als es beide Seiten anschließend darstellten, ist allein der Umstand des evangelischen Besuchs an sich auch noch nichts, was in einem Heiligsprechungsprozess als Wunder durchgehen würde: Die Ehre, schon mal eine päpstliche Papstaudienz erhalten zu haben, teilen sich Bedford-Strohm und seine Delegation nun mit Hannelore Kraft, Torsten Albig oder (immerhin!) Jogi Löw.

Die Ökumene kommt nicht voran. Wie auch, wenn schon lange niemand mehr weiß, wo überhaupt ihr Ziel läge? Kircheneinheit, wann wäre die erreicht? Wenn der Papst abdankt? Wenn die evangelischen Bischöfe sich der römischen Glaubenskongregation unterwerfen (und ihre Ehen annullieren lassen)? Oder reicht es, die Zahl gemeinsamer Adventsbasare zu verdoppeln oder einfach etwas netter zueinander zu sein? Dafür brauchte es keine Bischofstreffen.

Franziskus hat die Situation nun mit dem älteren Begriff der „versöhnten Verschiedenheit“ beschrieben. Die Kirchen würden ihren Gläubigen viel Frust ersparen, wenn sie es bei diesem Status quo beließen, statt ständig die Schimäre einer Einheit heraufzubeschwören, die sie ohnehin nicht ernsthaft anstreben. Sollte sich Letzteres eines Tages ändern, kann man sich ja immer noch in Rom treffen.“ So weit Lucas Wiegelmann.

Kommt der Papst oder kommt er nicht, am 31.10. 2017 nach Wittenberg?  Nein, er kommt nicht. Und das ist ein Rückschlag. Die 3. Paradigma-Phase dauert und dauert und dauert. Und das bei der Frage im Blog, ob die  dahinsiechenden Kirchen existentiell in Deutschland  noch zu retten sind! Ist  Theologie noch eine Wissenschaft oder schon durchpolitisiert? Wortpolitik wie „versöhnte Verschiedenheit“ ist gemeint! Müssen wir Profanen der Theologie  auf die Sprünge helfen? Das geht aber nur über eine Wissenschaftstheorie (Philosophy of Science). Zum Trost für uns: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Hölderlin).

Brauchen wir eine neue, selbstverständlich  eine gemeinsame Theologie? Eindeutig ein ‚Ja‘, als Antwort.

Lorenzen meint in seiner Arbeit über  „Regeln vernünftigen   Argumentierens“ : „Dass der Niedergang der Theologie die Ethik mit sich zog, war zwar nicht notwendig, ist jedoch verständlich. Aber wie konnte im Namen der Wissenschaft die Logik in Vergessenheit geraten?“

In der griechischen  Antike teilte man die Wissenschaften  in drei Teile: Physik (Naturlehre), Ethik und Logik. „Ethik“, um die   Modallogik des Sollens und des praktischen Könnens, und „Logik“ als eine Frage des Ringens um wahre Aussagen im Dialog. Logik im Dialog und Ethik  scheinen verloren gegangen zu sein und sollten revitalisiert werden. Die halbe (islamische) Welt mahnt ein Sollen der Anderen an, ohne selbst etwas zur Beseitigung ihres Elends beitragen  können zu wollen. Eine Flüchtlings-Ethik gibt es nur konfus. Eine „Wille“ sagt man aber, ist ein handlungsleitendes Streben. Man soll ein Können wollen sollen.

3 Kommentare zu „Luther als Paradigmen-Wechsler

  1. Prof. Ortner schrieb aus Konstanz, dem Ort eines geschichtsträchtigen Konzils (1414-1418) mit grässlichen Umständen:

    Vielleicht wäre, wenn der Papst nach Konstanz käme, dadurch ein „salomonischer Ausweg“ und ein Zeichen für das Ausklingen der „Ökumene“ gegeben? Belassen wir es doch bei den unterschiedlichen Glaubensrichtungen und messen wir sie an ihrer Fähigkeit zum verträglichen (über sich aufgeklärten) Miteinander.

    Der unverträgliche Gegensatz lautet doch radikaler Atheismus, mit der prinzipiellen Unfähigkeit zur Transsubjektivität, auf der einen Seite und die verschiedenen Glaubensrichtungen, von denen ja jede auch irgendwie am Gemeinwohl ausgerichtet ist, auf der anderen.

    Ein eingefleischter Atheist ist per definitionem ein Hedonist, noch nicht einmal ein Eudämonist. Er hat den Genuss und das Glück im Diesseits allein für sich zu maximieren. Solidarität oder Gemeinwohl stehen für ihn nur zur Debatte, wenn sie gleichzeitig sein individuelles Glück und seinen individuellen Genuss (im Diesseits) voranbringen.

    Den wahren Glauben heraus differenzieren zu wollen, ist eine Art Anrennen gegen Windmühlen.

    1. „normal“ (Bild 1: Ablauf des Lutherischen Paradigmenwechsels) wäre es hier heute, den Weg der Vernunft, z. B. durch die Wittgensteinsche Sprachkritik, einzuschlagen und einer Vollendung der Kantschen Aufklärung, z. B. durch Emanzipation aller Bürger über Bildung, beherzt ins Auge zu sehen.

      Wäre nicht durch die Implementierung einer Konsens-orientierten, IT-unterstützten Argumentation in einem „neuen Internet“ (einem Internet für Menschen statt der Dinge) beiden Seiten, den Atheisten wie den Gläubigen, eine Plattform zu verschaffen, auf der das Banale und das Böse in der Argumentation der Kontrahenten, falls vorhanden, jeweils (IT-unterstützt) explizit gemacht werden könnte.

      Das „Quantified Self“ ist heute auf der biologischen, der psychologischen und der noologischen Darstellungsebene eines Menschen im Internet (dank „Big Data“) für viele kein Thema mehr – und bald vielleicht auch ebenso „normal“.

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