- Ein Weg in der Einfachheit.
Als Student zwischen 1955-1960 folgte ich mit großem Interesse an der TH Darmstadt den Ausführungen meines Professors für Strömungsmechanik Nikolaus Scheubel (1899-1976). Von hoher Anziehungskraft war für uns u.a. seine Vorlesung „Verkehrsproblem des Maschinenbaus“, eine „Lust-Vorlesung“ (wie man damals sagte) mit einer für solche Anlässe gewaltigen Hörerzahl. Mit ein paar Formeln an der Tafel konnte Scheubel komplizierte Zusammenhänge des Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserverkehrs auseinanderreißen und wieder zusammensetzen. Viele seiner Hörer wie ich glaubten damals, das hätten sie schon vorher gewusst, was natürlich eine Täuschung war. Die Hörer sahen Scheubels imponierende pädagogische Leistung und ließen sich einfach auf dieser Welle mit forttragen.
Denke ich an meinen Lehrer Scheubel und sehe in unserer Zeit die schweren Konflikte, oder: Kontroversen, Kriege, Auseinandersetzungen, Streiks, Streits, etc. zwischen Individuen, Gruppen, Klassen oder Staaten (sprich politischen Einheiten), dann kommt die Frage hoch, wie kann man diese Konflikte lösen oder beilegen, bzw. zusammengefasst, wie kann man diese Konflikte bewältigen?
Wie kann man mit ähnlich einfachen Mitteln wie Scheubel seine Verkehrsprobleme behandelte, Konflikte darstellen und versuchen, sie zu bewältigen? Es bietet sich die Logik an; sie ist bekanntlich einfach, alt und kurz, also genau richtig für einen Blog. Manchmal wird ihre „brevitas“ auch gefürchtet; aber dass ein Skelett dargestellt wird, an das jede Menge Fleisch und Muskeln gehängt werden können, bleibt unbestritten. Das geben sogar Politiker zu, die sich gerne auf Logik beziehen.
Bild: Darstellung (Venn-Diagramm) eines Konfliktes als leere Schnittmenge
Auf eine leere Schnittmenge (in weiß) kann man sich nicht einigen. Das ist extensional veranschaulicht, man sagt auch umfänglich. Intensional (inhaltlich) hingegen stellt ein „Konflikt“ keine Menge, sondern einen Begriff dar, der ausgiebig von Carl Schmitt (1888-1985) behandelt worden ist. Schmitt, der bedeutende Politloge, der leider auch dem Nationalsozialismus verfallen war, hat in seiner berühmten Arbeit „Der Begriff des Politischen“ (1932) Konflikte in einer Freund – Feind – Relation betrachtet. Zu empfehlen ist auch „Der Begriff des Politischen“ , besprochen von Christian Weilmeier auf Youtube. „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von „Freund und Feind“, heißt einer seiner Kernsätze auf Seite 26. Es gibt herausragende Konflikte in der Geschichte. Als Beispiel wird mit einigem geschichtlichen Abstand zum Heute der Kampf um Mailand (1525) zwischen Karl V. von Habsburg und Franz I. von Frankreich genannt. Die Zwecke (Intention, Absicht) beider Kontrahenten waren unverträglich (inkompatibel). Beide wollten Mailand besitzen. Friedenschlüsse änderten daran nicht viel, weil die Zwecke, die Intentionen sich nicht änderte. Die Gegenwart beliefert uns „frei Haus“ mit Beispielen dieser Art. Es braucht nur das Wort „Aleppo (2016)“ zu fallen, und jedermann weiß Bescheid. Das sind Großkonflikte, die sich aber ins Kleine unseres täglichen Lebens fortsetzen können. Ob ein Freund-Feind-Verhältnis immer dahinter verborgen ist, mag dahin gestellt bleiben; nicht alle Konflikte sind politisch. Nach Carl Schmitt müssen politischen Einheiten sich gegenüberstehen. Was eine politische Einheit ist, wird ausgiebig von Manfred Kleine Hartlage in seinem Blog behandelt. Bedacht werden muss aber immer der Satz von Carl Schmitt (S. 65), dass „eine auf beiden Seiten vorhandene Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt.“ Heute ist diese Feindschaft zwischen politisch Korrekten (PC’s) und politisch Inkorrekten (Non-PC’s) zu finden, so einfach ist das. Dass politische Ideologien, Urquelle aller Verschönerungen, Verdrängungen und Utopien sind, ist seit Ernst Bloch, ein Täter, später Opfer, allseits bekannt. Ideologien produzieren zuhauf auch heute noch Feindschaften, und damit leere Schnittmengen, eine Gemeinsamkeitsleere.
Kann es in einem konstruktiven Aufbau Ideologien geben? Eigentlich nicht, denn es wird beim Aufbau von unten nach oben methodisch peinlich darauf geachtet, dass so etwas nicht passiert. Das Methodische, das Kontrollierte, das Schrittweis, das Zirkelfreie und das Explizite ist ein Schutz vor Ideologien oder Verschönerungen, bei denen man nie weiß, ob es nicht doch Täuschungen der Sinne und des Gemütes sind. Das kann im Kantisch-Kritischen nicht passieren. Ein „dogmatische Schlummer“ wurde methodisch abgestreift, auch mit Hilfe logischer Hilfsmittel.
2. Konflikte als Exklusives Oder (XOR).
Man besinnt sich auf das, was der Mensch schon seit über 2500 Jahren wissenschaftlich kann. Das geordnete Operieren mit Gedanken nennt man Logik (Lorenzen), die neben dem Operieren mit Zahlen steht, der Arithmetik. Wenn wir auf ein Streitobjekt zwischen Gegnern in friedlicher Absicht schauen, dann kann zunächst das einschließenden ODER (∨) angeboten werden. Der eine oder der andere oder aber auch beide könnten in den Besitz des Objektes gelangen, und der Konflikt könnte so beendet sein. Das ist Wunschdenken, denn sofort hören wir von den Kontrahenten „mit dem nicht, ich will das Streitobjekt ausschließlich für mich“. Und jetzt beginnt der Konflikt zwischen A und B erst richtig: „ A oder B schon aber nicht beide zusammen, keine Gemeinsamkeit“. Das ist das exklusive Oder (XOR), das eine erhebliche Verschärfung des einschließenden oder inklusiven Oder ist. Definiert wird das Exklusive ODER u.a. wie folgt: A XOR B ≡ (A ∨ B) ∧ ¬ ( A ∧ B). Das Gemeine ist das zweite Glied ¬ (A ∧ B), das NAND der Schaltwerkentwerfer, „nicht beide“ sagt man auf Deutsch. Man stelle sich vor, ich verkünde in der Welt, der Konflikt zwischen Israel (A) und (∧) den Palestinensern (B) sei nicht (¬) lösbar. Wie soll die Sache nach all den Jahren weitergehen? Es war die Regel, dass einer aufstand und die Gegen-behauptung in die Welt setzte: „(A ∧ B)“ geht doch! Was jetzt vor vielen Jahren begann, war die Pendeldiplomatie eines Henry Kissinger, der zwei verzweigte Dialoge (A | B) zu führen hatte. Der verzweigte Dialog (A | B) ist bis heute, auch nach zig-Dekaden, nicht zum Abschluss gekommen. „It seems to go on forever“. Wie kommt das? Dialoge in der Logik, auch verzweigte Dialoge, sollen „dialogdefinit“, also endlich sein. Hat da etwa ein Theoretiker wieder seine Rechnung ohne den Wirt gemacht? Ja natürlich! Die Theoretiker haben beim Entwurf ihrer Dialogschemata angenommen, dass die beteiligten Menschen vernünftig sind. „Vernunft“ ist heute zu einem magischen Wort auch im Politischen verkommen. Besser sagt man stattdessen „transsubjektiv“, oder „über das Subjektive hinaus“. Und das „Sich-Übersteigen“ hatten die Menschen zur Zeit Karls V. und Franz I. nicht gelernt. Auch heute nach der Aufklärung, die die Vernunft unermüdlich gepredigt hat, ist die Lage nicht viel besser. Es scheint zu sein, dass ein Großteil der Menschheit die stille Sehnsucht hat, sich selbst umzubringen. Ein Leben in „mäßigem Wohlstand und Frieden“ (Lorenzen) scheint für die vielen Unvernünftigen nicht erstrebenswert zu ein. Aber, an Horkheimer und sein Essay „Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie“ (1940) erinnernd, kann nur wiederholt werden: „Philosophie ist der methodische und beharrliche Versuch, Vernunft in die Welt zu bringen“. Und Logik ist ein beachtlicher Teil der Philosophie. Wenn eine archaische Marschroute „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gilt, und ein Verzeihen im Sinne eines Verzichts auf Vergeltung unmöglich erscheint, dann köchelt ein Konflikt lange vor sich hin, falls der Konflikt von Interessenten auch von außerhalb ausreichend finanziert wird. Svenja Flaßpöhler hat den Gedanken des Verzeihens im Sinne eines Verzichts auf Vergeltung in wunderbarer Schärfe herausgearbeitet.
Der Übergang vom feindseligen, kontradiktorischen A XOR B ≡ (A ∨ B) ∧ ¬ (A ∧ B) zum bloß konträren ¬ (A ∧ B) ist schon eine Abschwächung, die eine Möglichkeit zur Konfliktbewältigung bietet. Die Möglichkeit besteht darin, dass ein Dritter (D), ein Vermittler bestimmt werden kann. „Wenn schon beide nicht, dann wenigstens ein Dritter“ lautet die bekannte Devise. Wir dürfen dann schreiben: ¬ (A ∧ B) ∨ D. Man kann das klassisch logisch (aber nicht konstruktiv) auch als Implikation (Wenn … Dann) auffassen. Denn es gilt die Äquivalenz (≡): ¬ (A ∧ B) ∨ D ≡ (A ∧ B) → D. Konstruktiv-logisch ist alles viel schwieriger. Die klassische Implikation (→) kann wie folgt gedeutet werden: Wenn A und B sich einigen, dann verdanken wir das dem Dritten D. Leider versagt die UNO bei Großkonflikten als ein prädestinierter Dritter vollständig. Ihr Sicherheitsrat ist zu einem machtpolitischen Apparat verkommen, der entbehrlich ist. Also müssen es andere versuchen, den Part des Dritten D zu übernehmen. D steht dann für internationale Diplomatie. Das ist ihre Stunde. Oder aber die Glaubensarten bemühen sich mal. Sie haben und hatten ja auch ein gerüttelt Maß an Schuld an den herrschenden Weltkonflikten.
Wie wird der Konflikt „Islamische Identität – Westliche Lebenswelt“ enden? In seiner Schrift: „Carl Schmitt angewandt: Der Westen und der Islam“ , wagt der Autor Manfred Kleine-Hartlage eine Prognose. „Einer von beiden wird auf der Strecke bleiben“; und er geht davon aus, dass dies der Islam sein wird.
Eine ganz andere Möglichkeit zur Bewältigung von Konflikten bietet die totale Entkräftung eines der Gegner, die wir bei der Wiedervereinigung Deutschlands erlebet haben. Aus ¬ (A ∧ B) wurde durch Erschöpfung des Einen die Vereinigung: A∪B, wofür man logisch auch A ∨ B schreiben kann. D. h.: Die Kontrarität, die Gegensätzlichkeit fällt weg. Bei Unternehmen nennt man das, wenn aus Unternehmen A und Unternehmen B ein vergrößertes Unternehmen A wird, eine Fusion durch Aufnahme. Sie wird unterschieden von einer Fusion durch Neugründung. Es entsteht dann ein neues Unternehmen C, wie damals bei DaimlerChrysler (1998-2007), was ein trauriges Ende nahm, an das niemand mehr gerne erinnert werden will.