Künstliche Dialoge mit ChatGPT

1) Dialogische Elementarsituationen

ChatGPT  oder Dialogisieren mit einem „Generative Pre-Trained Transformer“ ist in aller Munde, in Presse, Funk, Fernsehen und Internet. Wir vermeiden das volkstümliche Wort „to chat= schwätzen“, weil wir etwas wissenschaftlich klären wollen; wir befinden uns nicht auf dem Darmstädter Wochenmarkt. Dort schwätze ich gerne mit lustigen Marktfrauen im Dialekt auf Hessisch; ich kann ja schließlich nicht sagen „ich dialogisiere mit den Marktfrauen“. Aber im „Ich-Du-Handlungsschema“, also schematisch betrachtet, hier bin Ich, und da bist Du, sind schwätzen‘ (to chat) und ‚dialogisieren‘ gleich. „Dialogisieren“ ist abgehobene Bildungssprache.  Dialoge sind Wechselreden, einmal komme Ich dran und dann Du.  Ein Monolog ist ein Selbstgespräch, eine Selbstrede, die man auch ‚denken‘ nennt. (Man zitiert Platon an dieser Stelle: „Denken ist das Gespräch der Seele mit sich selbst“). Ein künstlicher Dialog ist nun ein Dialog mit einer Maschine oder einem Computersystem, das nun ChatGPT genannt wird. Das Wort „Generative“ ist wichtig. Wir übersetzen es mit „erzeugend“, so wie das Wort auch im Wort „Generator“ vorkommt, der Strom erzeugt. GPT heißt   wörtlich übersetzt „ein erzeugender, vorher eingeübter Umformer“, also gemeint ist  ein Umformer, der nach vorherigem Einüben etwas erzeugen kann. Das „Etwas“ ist das Entscheidende. Was erzeugt er denn, der Transformator oder Umformer? Eine Analyse einer Dialogischen Elementarsituation, die wir uns vorgenommen haben, wird uns Auskunft geben. Wir gehen dabei zurück auf Kuno Lorenzens Sammelwerk „Dialogischer Konstruktivismus“ (2009) mit dem Unterkapitel „Artikulation und Prädikation“(1996), Seite 24 ff.

In einer dialogischen Elementarsituation gibt es zwei Rollen im ständigen Wechsel. In der einen Rolle, die des Redners, wird etwas getan (to perform). Es ist der aktive Teil. Es wird etwas Einzelnes (Singulares) erzeugt. „Hallo Peter“ heißt es in der Fernsehvorführung, wenn der ChatGPT- Roboter angesprochen wird. Der Roboter versteht das nur, wenn ihm das Schema einer Begrüßung bekannt ist. Er muss „Hallo Peter“ als etwas Spezielles eines allgemeinen Schemas erkennen (to recognize). Das Universale steht dem Singularen, dem Einzelnen gegenüber und muss als solches erkannt werden.  Der Redner führt ein Schema aus (to perform), der Roboter sucht und erkennt (to recognize), dass er begrüßt werden soll (passiv). Das aber nur, wenn ihm das Schema bekannt ist. Man sagt, er kann das Schema anführen (to cite) oder zitieren. Ein gemeinsames Schema ausführen und das Schema anführen (zitieren) sind konstruktive Fundamente eines Verstehens (to understand). Das ist der entscheidende Punkt in einer dialogischen Elementarsituation.  Wenn das Verstehen nicht gelingt, ist der Versuch vergeblich. Es wird nichts verstanden. Es ist „Chinesisch“, sagt man umgangssprachlich.

Man erkennt, die Bildung eines Schemas ist das gewisse Etwas, das generiert oder erzeugt werden muss. Wir brauchen also in ChatGPT generative Schemata.  Die Bildung eines Schemas durch den Roboter gelingt aber nur, wenn er vorher belehrt wird. Man sagt „pre-trained“. Der Roboter muss also vorher in die Schule gehen. Er lernt aber nur, wenn er lernfähig ist.

Wegen der großen Bedeutung gibt es nun eine reichhaltige Terminologie zu unserem Thema „Schema“, die wir aber hier nicht  ausbreiten wollen. Gebräuchlich in der Informatik ist noch der Terminus „Typ“ (type) für etwas Allgemeines, Universelles, also für „Schema“, und demgegenüber steht  das Wort  „Ausprägung“  für etwas Spezielles, Singulares, oder auch Englisch „token“ bzw. „instance“ (deutsch: Instanz)

2) Ein stufenweiser Übergang vom einfachen Begriffssuchen zum komplexen Suchen in Zusammenhängen

Wer sich einem Rechner nähert, kann das aus verschiedenen Beweggründen tun. Vom Spielen, Programmieren und sich bloß Informieren ist hier nicht die Rede. Wir denken an ein Problemlösen, wobei wir beim Wort „Problem“ an die griechische Ursprungsbedeutung erinnern, die da heißt „Problem ist ein Gegenstand, der uns vorgeworfen wird“. In Datenbanksystemen nennt man Vorgeworfenes „Anfragen“ oder auch „Queeries“.

Leider gibt es keine Theorie über die Komplexität von Problemen. Sonst könnten wir jetzt mit ChatGPT schrittweise immer schwierigere Probleme angehen. Wir behelfen uns mit einer Notlösung. Ist nur ein Begriff im Vorgeworfenen involviert, dann nennen wir das Problem „einfach“.

Das Schöne ist, dass wir einfache Problem außerhalb von ChatGPT lösen können. Wir nehmen Gogol mit dem angrenzenden Wörterbuch Wikipedia. Da steht für uns alles Elementare drin.  Da wir in einer Energiekrise leben, steigen wir in dieses Gebiet ein und wählen den Begriff „Merit- Order“. Wir schauen nach und finden bei Gogol:  Merit-Order. Merit-Order als Begriff muss erklärt werden. Dazu braucht man den Begriff „Grenzkosten“. Auch den holen wir uns bei Gogol heran: Grenzkosten. Wer sich politisch mit Merit-Order auseinandersetzt, bekommt es sofort mit dem Begriff „Deckungsbeitrag“ zu tun, weil da besteuerungsfähige Gewinne vermutet werden. Man will abschöpfen. Auch den Begriff finden wir bei Gogol: Deckungsbeitrag.

Jetzt haben wir drei Begriffe erfragt, und jetzt wird es kompliziert, weil uns die Energiepolitiker fragen:

Wie weit müssen wir die Erneuerbaren Energien (EE) ausbauen, damit die Deckungsbeiträge (vulgär auch „Zufallsgewinne“) verschwinden?

Das ist ein Problem für unseren ChatGPT. Begriffe werden in der Anfrage verknüpft. Man muss sich das so vorstellen, dass ChatGPT in einem Examen sitzt und befragt wird, von Politikern. Wäre ich ein Lehrer, also eine natürliche Instanz, mit dem Material im Internet könnte ich die Frage beantworten, also die Prüfung bestehen. Vielleicht sogar mit sehr gut. Das wäre schön.

Während das Arbeiten an einem Begriff in einem Studienablauf bis zum Vorexamen in einer Propädeutik eingeübt wird und Gogol ausreicht, kommt jetzt im Hauptstudium mit ChatGPT wirklich  Arbeit auf uns zu. Wir müssen im Studium ein Schema generieren, mit dem die komplexe Frage verstanden  und beantwortet wird.

Nach dem studium generale ist nun ein studium speciale fällig, dem wir uns nun mit Vergnügen  zuwenden wollen. Denn nach Goethe: „Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten“.++

7 Kommentare zu „Künstliche Dialoge mit ChatGPT

  1. Ich frage mich, ob diese Art des Dialogisierens nicht auch etwas mit begrenzt freier Rede in einer Demokratie zu tun hat (Autorität der Sprache). Und dann komme ich zu der Frage, ob ein Dialogische Logik-basiertes ChatGPT nicht auch ein geeignetes Tool zum Erlernen von Demokratie, z. B. Beim gemeinsam-dialogischen Problemlösen wäre. Was in solchen Dialogen zählt, ist das bessere Argument – und sonst nichts.

  2. Prüfschemata für das deutschsprachige LLB Studium, zum Beispiel für die Falltypen des BGB AT oder StGB, die im Gutachten- oder im Urteilsstil nachvollziehbar gelöst werden müssen, gibt es bereits en mass und müssen nicht (können m.E. auch nicht) generiert werden.

    Die semantische Analyse ist nicht durch die AI lösbar.

    Vielmehr werden letztendlich trainierte Dictionarys mit Auftrittswahrscheinlichkeiten in ChatGPT verwendet.

    Der Weg zu einem automatisiert erstellten Rechtsgutachten mit der Methodik in der Propädeutik (Frage als Obersatz, Definition nach Rechtsnorm, Subsumption Tatbestandsmerkmal zum Sachverhalt inklusive bekanntem Kontext, Ergebnissatz (ist, ist nicht), erscheint aber vorgezeichnet.

    Allerdings wohl nicht durch das (U.S.-amerikanische) ChatGPT, sondern eher im Bereich LegalTech.

  3. Worin genau liegt wohl der Unterschied zwischen dem Textgenerator und einem Menschen? Letzterer äußert auch vor allem gelernte Speicherinhalte, welche richtig oder falsch sein können. Allerdings vermag er zusätzlich aus diesen Speicherinhalten auch neue Inhalte zu generieren oder beispielsweise auch eigene Schlussfolgerungen als falsch erkennen.

    Ein Unterschied liegt sicherlich darin, dass der Mensch den realen Bezug der Inhalte erkennen und daraus auf den Wahrheitsgehalt der formal generierten Inhalte schließen kann.

  4. Jetzt müssen wir diese „demokratische Dialogpraxis“ (Dialogprozess) nur noch mit dem Paradigma des prozesszentrischen Ansatzes aus der sprachbasierten Informatik in Verbindung bringen:

    Ein Prozess ist der gerichtete Ablauf (Process Engine) eines aus Begriffen rekonstruierten Prozessgeschehens (Process Apps).

    Und schon kommen wir zu der Definition einer IT-gestützten, Dialog-gesteuert Demokratie (E-Demokratie), bei der ChatGPT als „Fürsorger“ (Körper und Geist) der am Dialog beteiligte „natürlichen Personen“ (z. B. Politiker) beteiligt ist:

    Eine E-Demokratie ist der gerichtete Ablauf (Process Engine, Vermeidung von Ablauffehlern) aller Demokratiegeschehnisse (Ausprägungen) einer Legislaturperiode, deren Schemata aus Begriffen, nach dem Prinzip der Gewaltenteilung (Process Apps, Vermeidung von Aufbaufehlern) einer E-Republik rekonstruierten und implementierten wurden.

    Diese Demokratie-Software kann dann – entsprechend einer E-Republik – weiter gegliedert werden in eine Legislativ-Software, Judikativ-Software und Exekutiv-Software (für die Regierung und die öffentliche Verwaltung), mit ChatGPT an der Seite der dialogisierenden und dann hoffentlich vernünftig handelnden Menschen.

    Als Lehr- und Arbeitsbuch für den elementaren Sprachunterricht in (Vor-)Schulen empfehle ich hier :

    Dietfried Gerhardus, Sike M. Kledzik & Gerd H. Reitzig: Schlüssiges Argumentieren, mit einem Nachwort von Kuno Lorenz, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975.

    Nicht nur in der Digitalisierung, auch im pädagogischen Bereich, gibt es in Deutschland noch gigantisches zu reparieren.

    1. Lieber Herr Ortner,
      Sie greifen immer zu weit aus. Kleine Schritte sind wichtig. Denken Sie an den Konstruktivismus und seine Maxime: schrittweise, zirkelfrei und alles explizit machen.
      Wed

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