Populismus

Wir beginnen mit einem Zitat aus der Schrift „Logik und Agon“ (1958) von Paul Lorenzen (1915-1994), in der er zum ersten Mal die Dialogische Logik begründete. Lorenzen schreibt ganz am Anfang:

Es ist bekannt, dass eines der wesentlichen Motive, die in der Antike zur Entdeckung der Logik führten, die Suche nach einer Methode war, den rhetorischen Künsten der Sophisten, die sich erboten, aus Schwarz Weiß zu machen, widerstehen zu können. Es galt, das ungeregelte Spiel des Sich-gegenseitig-Widerlegens in Regeln zu bringen, es zu einem echten ‚Agon‘ auszubilden.“ (Agon = Wettstreit).

Man sagt, der junge Aristoteles (384-322 ante) saß auf der Agora und hörte sich das „Schaustück“ der Debatten  an. Man muss wissen, die Athener waren ein redebegeistertes Völkchen; man wettete sogar, wer wohl gewinnen könne, wenn sich zwei miteinander verbal „in den Haaren lagen“. Aristoteles  erfand die Logik, die als ein Regelwerk des Dialogisierens angesehen werden kann. Mehr ist Logik nicht, in einem ersten Ansatz. Lorenzen mit seiner Dialogischen Logik  ging also „back to the roots“. Unabhängig von der Person, was auch  nur subjektiv verfälschen würde, zählt in der Logik nur das vorgetragene Argument, das angegriffen aber auch wieder  verteidigt werden kann. Beides sollte gelernt werden. Argumentieren hat das Ziel, Zustimmung oder Widerspruch eines Gesprächspartners zu erreichen. Die Lehre vom Argumentieren wird auch Dialektik genannt. Dass die Mathematiker erst sehr spät, eigentlich erst nach dem Streit zwischen Gottlob Frege (1884-1925), dem modernen Aristoteles, wie man sagt) und David Hilbert (1862-1943) die Logik für sich beanspruchen konnten und hochgradig formalisiert haben, ist  als ein Missgeschick hinzunehmen. Die politischen Wissenschaften jedenfalls wurden aus der Logik völlig verdrängt (oder umgekehrt), was uns der Populismus zeigt, womit wir beim Thema wären.

Spitzenkräfte auf der  antiken Agora  in Athen zur Aristotelischen Zeit waren die Sophisten, Populisten im heutigen Sinne? Populismus heißt Volksgefälligkeit, die in Demokratien, also in politischen Systemen mit Volksherrschaft, zu einer besonders gefährlichen Degeneration  werden kann, weil Populismus  schnell in Volkserziehung oder Demagogie (Volksverführung) umschlagen kann. Aus Pädagogik (Erziehung)  wird dann in einem Wortspiel  schnell „Demagogik“. Diktaturen kennen die Gefahren des Populismus so  nicht. „Und während  die Sophisten, die Adelssöhne Athens, sich für hohe Gelder in der Kunst des „Recht-Habens“ schulten, um zu gefallen, übte ein gewisser Sokrates auf offenem Marktplatz im Dialog  mit jedem, der es sich gefallen lassen wollte, denkbar unorthodox und ironie-getränkt, die Kunst  des Nichtmehr-Wissens ein“, sagte Wolfram Eilenberger in einem Vortrag  mit dem  Thema “Stillstand. Die Krise der deutschen Philosophie“ im SWR2 am Sonntag, 09.09.2018.

 

Einer der größten Rhetorik-Künstler und Sophist  war Gorgias, so wird uns berichtet, dem Platon separat einen ganzen fiktiven Dialog mit Sokrates gewidmet hat. Gorgias gilt als der führende Sophist in Sachen Überredungskunst bei Vernachlässigung der Sachverhalte, die als Tatsachen  bekanntlich auf wahren Aussagen begründet werden müssen. Überreden war das Allerwichtigste bei prominenten Sophisten, und ist es  auch heute noch so, die Sache  selbst spielte keine Rolle; das kennzeichnet u.a. auch den Populismus. Vom Gegenstand selbst braucht ein Sophist nichts zu verstehen.

Es ist eigentlich verdienstvoll, dass Daniel-Pascal Zorn für heutige Demokraten ein Buch mit dem Titel „ Logik für Demokraten – Eine Anleitung“ (2017) geschrieben hat. Statt dem höflichen  Wort „Anleitung“ wäre es angebrachter,  von „Nachhilfeunterricht“ zu sprechen. Leider ist Zorn  die Dialogische Logik, eine wichtige Logikform,  um das  Argumentieren im Politischen  als Ideal einzuüben, völlig entgangen. Die Dialogische Logik ist ein hervorragendes Bildungsgut, um das Sichern von Geltung einzuüben. Das wurde von uns  in „Logik und Geltungssicherung“ (2005) deutlich herausgestellt.

Populistische Thesen  als Volksgefälligkeiten lassen sich heute massenweise nachweisen. Z.B.,   A1: „ Wir schaffen das“. A2: Die Rente bis 2040 soll heute schon sicher sein. A3: Scheitert der Euro, scheitert Europa. A4: Fremde Kulturkreise gehören nicht nach Europa. A5: Zuwanderung ist human und somit unbegrenzt.  A6 bis An:  In Hessen ist gerade Wahlkampf. Auf fast jedem  Wahlplakat in der Stadt  begegnet  mir z.Z. ein populistischer Spruch, z.B.: „Wir wählen heute das Klima von morgen“. Sind Wahlkämpfe (Populistenkämpfe) auch im demokratischen Sinne entbehrlich? Ein  Demokrat sollte wissen, der will nicht belehrt werden. Und  „politische Pädagogik = Demagogik“ hasst der Demokrat  wie die Pest. Insbesondere die Älteren  von uns waren  zu häufig Opfer; man kann sich heute fortlaufend über widerstreitende  Medien informieren. Demokratie ist anstrengend, das sagt auch Daniel- Pascal Zorn in einem Buch. Demokratie ist als moderne  Neuauflage ein Kind der Aufklärung.

Es bleibt eine Frage: Wann geht  Political Correctness  in einen  Populismus über? Wann ist ein Politisch Korrekter  ein Populist und umgekehrt? In einer Dialogischen Logik haben beide  kaum eine Chance, weil es um das Begründen geht.

Wir wenden uns der Dialogischen Logik zu. Der Dialog, also der Austausch von Argumenten, findet nicht zwischen natürlichen Personen,  sondern zwischen Rollen statt. Wir unterscheiden die Rolle des Proponenten (P), des Vorschlagenden, vom Opponenten (O), vom Widersprechenden.  Der P beginnt und der O muss angreifen. Daraufhin darf sich der P verteidigen, und der O kann erneut angreifen. Das geht dann so weiter, bis Belege oder akzeptable Begründungen vorgelegt werden. Ein Dialog kann lange dauern und wird als Wettstreit (Agon) gewonnen oder verloren wie bei den alten Griechen. Er ist aber endlich, er ist dialogdefinit, sagt man. Als Agon betrachtet, gewinnt der eine und er andere verliert. Der Dialog  kann zu jeder Zeit unterbrochen werden, um   dann später  neu zu beginnen. Bei Wikipedia werden die Regeln der  Dialogischen Logik  sehr schön erklärt.

Wir beginnen in der folgenden  Dialogtabelle mit einer populistischen Aussage A des Proponenten und schreiten dann in stark verkürzter Form fort. Dialoge können recht kompliziert werden, was hier in einem Blog nicht darzustellen ist. Interessenten seien auf das Lehrbuch von  Rüdiger Inhetveen: „Logik. Eine dialog-orientierte Einführung“ (2003) verwiesen.

Abb.:  Dialogtabelle mit einer populistischen Ausgangssituation

Wir sehen in der Dialogtabelle, dass der populistische Dialog schnell zu Ende geht. Der populistische Proponent (P) behauptet ‚A‘ und der Opponent (O)  greift ihn in  einem zweiten Dialogschritt  regelgerecht mit einem ‚nicht A‘ an. Dann ist in einem dritten Dialogschritt für den Proponenten (P) eine Verteidigung fällig.   Gegen eine pure Negation gibt es aber keine Verteidigung, was durch die  drei Punkte ‚. . .‘  gekennzeichnet wird. Würde man auf eine Negation wieder mit einer Gegennegation antworten dürfen, ja dann geriete man in ein Filibustern, eine parlamentarische  Dauerrede mit dem bösen Ziele, den Gegner im Wettstreit zu zermürben. „Der mit dem dicksten Hintern und starkem Sitzfleisch  gewinnt“. Dialogisch logisch  ist die Situation  nun so: Entweder der Proponent trägt Gründe vor, die seine Aussage stützen, oder er hat verloren. Unbegründete Aussagen darf es nicht geben.

Eine  Möglichkeit aber wäre, man redet mit dem Proponenten und erarbeitet  diverse Bedingungen  B  = (B1, B2, …, Bn), die erfüllt werden müssen.  Durch B entsteht ein Begründungszwang. Der dialogische Sinn einer logischen  Bedingung (Subjunktion genannt) ‚B → A‘, (wenn B dann A) ist folgender: Der Opponent muss prüfen und bestätigen, dass ‚B‘ erfüllt ist, dann ist der Proponent in der Lage ‚A‘ begründet zu behaupten. Der Proponent gewinnt dann den Dialog.

Das Erarbeiten eines Bedingungskatalogs B  ist die große Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit den Populisten, den selbst ernannten  „Volksgefälligen“. Wenn das nicht gelingt, bleibt es bei dem populistischen Dialog, den der Proponent den Regeln gemäß  nicht gewinnen kann. Mit Bedingungen B kann er aber gewinnen.

Man sieht an dem Skelett einer Dialogischen Logik unmittelbar, worum es geht. Und dafür haben wir seit alters her  ein bekanntes Wort, nämlich das Wort „Vernunft“. Widersprüche, die vernunftwidrig sind, werden in einem Dialog schonungslos aufgedeckt, weil die Dialogischen Regeln auf dem Prinzip des „Ausgeschlossenen Widerspruchs“ aufbauen; und ohne dieses Prinzip ist jedes vernünftige Argumentieren unmöglich, wie im Beitrag „Logik und Geltungssicherung“ (2005) gezeigt wurde.

„Logica necesse est“ (Logik tut Not) ,wie anders sollen wir aus dem Schlammassel herauskommen? Logik ist mindestens so alt wie Ethik.

 

 

Ein Kommentar zu „Populismus

  1. Mit Teilen der deutschen Wissenschaft verhält es sich wie mit Teilen der deutschen Politik und wegen Ignoranz der neuen E-Bildung auch mit der Masse der deutschen Bürger – nur Mittelmaß.

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