Über Digitalisierung als Zugpferd und Sprachkritik als Methode zu einer digitalen Republik

von  Erich Ortner

 

Vorwort

von  H. Wedekind

Was wir heute 2017/18  mit der  fortschreitenden Digitalisierung erleben, ist ein erstaunlicher  Determinismus, schon 1997  sehr genau analysiert in dem Buch von Denning und Metcalfe „Beyond Calculation -The Next Fifty Years Of Computing“ . Zentral in dem Buch ist der Beitrag von Gordon Bell und Jim Gray „ The Revolution Yet to Happen“. Die Aussagen  mit einem abgeschwächten Mooreschen Gesetz gelten bis 1997 + 50 = 2047, also noch rund  30  Jahre,  bis  100 Jahre nach Gründung der ACM (Association for Computing Machinery) im Jahre 1947.   Das Buch von 1997 ist immer noch Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema „Digitalisierung“  befassen. Im Gegensatz zu Prognosen im gesellschaftlichen Bereich sind gediegene, technisch-basierte Prognosen bottom-up auch langfristig  zuverlässig.  Ortners Beitrag ist nach der Lektüre dieses Werkes besser einzuordnen, auch von Laien, die erst beginnen, sich mit dem Thema zu befassen.

Appell

Jetzt sollten eine globale Straßenverkehrscloud und Apps zur Steuerung der Autofahrer und des Verkehrs (entsprechend der Grenzwerte) zuerst in Deutschland implementiert werden. Beide bilden die Vorstufe zu einem selbstfahrenden Kraftverkehr. Die Lösungen für diese Vorstufe liegen auf dem Tisch und müssten nur umgesetzt werden. Es ist zu befürchten, dass hier Deutschland wieder einmal im Vergleich zu Ländern wie USA oder China weit ins Hintertreffen gerät.

Die Folgen von Digitalisierung

Der Übergang von Analogem zu Digitalem, vom Kontinuum zu diskreten Bitfolgen, führt zu einem nie dagewesenen Leistungswachstum elektronischer Bauteile (siehe Blogbeitrag Wedekind, Unsere Zeit in Gedanken fassen, „Digitalisierung mit notwendigen und hinreichenden Bedingungen“). Dieser hat eine komplette Umorganisation menschlichen Lebens in allen Bereichen zur Folge. Die Umorganisation betrifft alle Gegenstände (Dinge und Prozesse) und alle Menschen (junge und alte) – ihr Leben lang.

Digitalisierung ist somit das Zugpferd für eine neue Wirtschaft (z. B. Plattformen-Wirtschaft), eine neue Bildung (z. B. Online-Schulen und -Univer-sitäten mit Massive Open Online Courses, MOOC) sowie in „Digital Communities“ (DC) ebenfalls für eine neue Politik (z. B. Prozess-gesteuertes Regieren).

Sprach-Kritik oder Kritik der Sprache

Sprachkritik ist das Instrument und die Methode dieser „Umorganisation“. Dabei steht zunächst: was wurde inhaltlich gesagt, im Vordergrund. Nicht das Wie, sondern das Was wird z. B. in der Modellierung als erstes reflektiert und passend rekonstruiert. Das Wie, die Form oder Syntax steht dann, z. B. in der Programmierung und Implementierung, zur Diskussion. Allgemein ist hier von einer methodischen Ordnung die Rede: Keiner mit Verstand zieht sich erst die Schuhe und dann die Socken an. Selbst in der Architektur, einer Baulehre für physische Objekte, wird die Wendung „form follows function“ (methodische Ordnung) propagiert.

Von einem sprachkritischen Standpunkt aus gesehen ist Digitalisierung Erziehung zu einem disziplinierten Gebrauch von Sprache. Und dabei lautet die methodische Ordnung: erst inhaltliche Klärung der Sachverhalte, dann Programmierung und Implementierung.

Beispiel „Straßenverkehr“

Es gilt das Software- bzw. Prozess-gesteuerte Autofahren in einer DC wie der Stadt Konstanz mit seinem überbordenden Einkaufsverkehr, an dem auch Dieselfahrzeuge beteiligt sind, z. B. via eine Software-Erweiterung in den Navigationssystemen zunächst sprachkritisch zu rekonstruieren und danach auch zu implementieren. Dazu müsste man sich an eine globale Straßenverkehrscloud, mit Apps zur Steuerung der Individuen (z. B. Bürger) und anderer Dinge (siehe „Internet of Things“) im Straßenverkehr – auch sprachlich korrekt – anbinden können.

Unabdingbar ist hierzu: Aufnahme der Prozesse, den Straßenverkehr in einer DC wie Konstanz betreffend und die Steuerung der Ausführung dieser Prozesse (nach ihrer Implementierung) mittels Apps.

Es hätte bereits 2014 damit begonnen werden können. Die Verantwortlichen in der Stadt waren zur expliziten Kooperation – trotz Drittmitteleinwerbungs-möglichkeiten und erheblicher Zunahme der Verkehrsbelastung in der Innenstadt -, nicht bereit. Warum? Es fehlte die globale Straßenverkehrscloud, für die mindestens die Landesregierung, wenn nicht die Bundesregierung oder die EU, von der ja die Vorgaben für die Grenzwerte kommen, zuständig gewesen wären. Eine Petition im Sommer 2016 an den damaligen EU-Kommissar Dieter Oettinger für „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ schlug ebenfalls fehl. Wieder ein Beispiel, wie methodische Ordnungen in Innovationsprozessen von vernünftigen Menschen (z. B. Politikern) eingehalten werden sollten.

Resümee

Sprachkritik als Entwicklungsdoktrin (möglich) und Digitalisierung als Zugpferd (notwendig) sind in einer künftigen digitalen Republik (Abbildung 1) von zentraler Bedeutung für den Gesamterfolg einer Lösung. Dieser stellt sich aber erst nach der Umsetzung der konzeptionellen Lösung in Form von installierten (Software-)Produkten beim Anwender und ihrer Nutzung „im Sinne der

Abbildung 1: Technologie ist notwendig, damit Anwendungen möglich werden

Erfinder“, tatsächlich (wirklich) ein. Dabei wird die Republik durch ihre Einrichtungen gemäß Gewaltenteilung systematisch repräsentiert, während Demokratie eine Betriebsform (Ablauf) dieser Einrichtungen (z. B. Legislative, Exekutive, Judikative und Verwaltung) darstellt. Technisch gesehen wird dadurch „Regieren“ in Demokratien zu einem IT-unterstützten, durch Wahlen geprägten, interaktiven „Bürger/Politiker-Zusammensprechen“ (digitale Welt) und außerhalb der Sprache auch „ –Zusammenleben“ (reale Welt). Für die IT-Unterstützung kommen beispielsweise sogenannte Workflow-Management Systeme in Frage.

Solange Zusammenarbeit in der EU nicht funktioniert, sollten jetzt von Deutschland aus Projekte initiiert werden wie:

  • globale Straßenverkehrscloud und Apps,
  • globale Gesundheitscloud und Apps,
  • globale Bildungscloud und Apps,
  • globale Währungscloud und Apps,
  • globale Fitness-Cloud und Apps,
  • globale Zertifikate-Cloud und Apps,
  • globale Migrationscloud und Apps,

Uber (Fahrdienste), Airbnb (Unterkunft), Amazon (eCommerce), Twitter und Facebook (Argumentationsplattformen) etc. sind alles vormalige Startups, die nach obigem Muster (globale Cloud-basierte Plattform und Apps) zu Weltfirmen avanciert sind. Von der Informationstechnologie aus gesehen sind heute die regulativen Bereiche einer Republik wie „Gesundheit“, „Bildung“ „Arbeit“ oder „Schutz und Sicherheit“ als globale Lösungsfelder zu rekonstruieren und softwaretechnisch zu implementieren.

Sprachbasierte Informatik ist ein Ingenieurberuf. Ihre Absolventinnen und Absolventen haben den gesamten Produktlebenszyklus, zusammen mit der Wartung und der Ablösung der Systeme – einer methodischen Ordnung folgend -, stets im Blick. Für Deutschland und die EU ist es heute von großem Nachteil, das solche Begabungen seit Jahrzehnten nach dem Studium mit ihrer Motivation und Umsetzungskraft in das Silicon Valley und andere Orte in der Welt abgewandert sind.

Ohne diese Fachkräfte und eine neue Politik gelingt die komplette Umorganisation unseres Lebens in Folge der Digitalisierung selbstbestimmt und wettbewerbswirksam wahrscheinlich nicht. Wir digitalisieren nicht, sondern wir werden digitalisiert.

2 Kommentare zu „Über Digitalisierung als Zugpferd und Sprachkritik als Methode zu einer digitalen Republik

  1. Mit dem Begriff ‚sprachbasierte Informatik‘ wird eine unverzeihliche Verwirrung gestiftet. Wieso kann durch Dekonstruktion etwas Brauchbares entstehen? Das überfordert jedes Ingenieurdenken.

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