1) Einleitung
Das Wort „Problem“, das im Titel steht, möchte ich im ursprünglichen Sinne verwenden, nämlich als „der Gegenstand (griech. πρόβλημα), der vor uns geworfen ist“. Meine Absicht ist, auch aus dem Titel erkennbar, dass ich eine Gliederung in unser Problem und das der Flüchtlinge vornehmen möchte, weil beide Probleme grundverschieden sind und auch so behandelt werden sollten. Ein Gemeinschaftsproblem steht als Typus einem Individualproblem gegenüber. Das explizite Darstellen trägt im Gegensatz zum bloßen Implizit-Halten schon zu einer Lösung bei und ist zumindest als ein Lösungsversuch zu werten. Es ist dabei gleichgültig, ob man mit unserem Problem oder dem der Flüchtlinge beginnt. Eine Vorweg-Bilanz kann an dieser Stelle schon gewagt werden: Wir leben in einer noch gefestigten Organisation, in einem Kosmos mit einem hohen Technikstand als Basis. Die Flüchtlinge kommen aus einem Chaos, aus einer Auflösung ohne Gerechtigkeit im Sinne des hl. Thomas von Aquin, wobei die islamische Barmherzigkeit mit Blick auf das öl-reiche Saudi Arabien nicht zu existieren scheint. Kosmos und Chaos sind zwei Gegenbegriffe der Griechen und stehen für totale Unordnung und Wohlordnung. Ökonomisch und organisatorisch wird von uns viel verlangt. Was verlangen wir von den Flüchtlingen? Einmal eine hohe Selbstdisziplin im Einordnen und im Erlernen der Sprache, was auch Theorie voraussetzt. Das weiß jeder, der schon mal eine Fremdsprache erlernt hat. Leicht ist das nicht, wie viele unserer Zeitgenossen glauben, insbesondere, wenn die Sprachdistanz zur eigenen Muttersprache groß ist. Der Weg aus dem Arabischen in eine indo-europäische Sprache ist weit. Flüchtlinge kommen aus einem völlig anderen Kulturkreis. Das setzt eine hohe Willenskraft voraus. Verlangt wird, dass Flüchtlinge auf jeden Fall einen animalischen Egoismus hinter sich lassen, und das im Sinne Spaemanns (München). Und dann weiter Spaemann zitierend „Goethe schreibt: Sich mitteilen ist Natur. Mitgeteiltes Auffassen, wie es gegeben ist, ist Bildung.“ Mit dem ‚mitgeteilten Auffassen‘ soll erkannt werden, dass es noch andere Mittelpunkte der Welt und andere Perspektiven (Sichtweisen) gibt. Interesse, wörtlich ein Dazwischen-sein, nicht Isolation, wird verlangt. All das ist schwer und ohne Vorbildung kaum zu erreichen. Der Bildungsstand der Flüchtlinge laut IFO stimmt trübe. Die Bilanz hat für Flüchtlinge einen negativen Saldo, d.h. sie haben es schwerer als wir. Und wenn sie scheitern, fahren sie nach Hause oder wälzen den Saldo zu uns rüber; denn eine Bilanz muss bekanntlich immer ausgeglichen oder „balanciert“ sein. Wir sind uns bewusst, dass wir (wieder einmal), wie auch häufiger in der Geschichte seit dem Alten Fritz und dann in der uns nahen Gegenwart, „Brinkmanship“ betreiben. Das ist aber, wie alle Risiken, nur schwer fassbar und steht hier nicht zu Diskussion. Über „Brinkmanship“ zu reden, ist nicht unsere Sache. Kasinomilieu lieben wir nicht, überhaupt nicht, auch wenn eine Weltperspektive dahinter steht.
2) Unser Problem: Wie macht man aus einem Chaos einen Kosmos
Wenn das Chaos zu einem kommt, dann schwappt das Chaos leicht über, wie wir an dem Aufnahmeprozess, der teils unkontrolliert abläuft, deutlich sehen. In einem Tempo, das verlangt wird, ist ein rationaler Blick auf Prozesse, wie ihn Volker Stiehl in diesem Blog vorschlägt, nicht möglich. Frank-Jürgen Weise, der Präsident des Bundesamtes BAMF konzediert, dass der Prozess deutlich verbesserungsbedürftig ist. Man stelle sich den Prozess vor mit Registrierbeamten, Ärzten, Übersetzern in diversen Sprachen, organisatorischem Leitpersonal, Transportpersonal, etc. Und dann handelt es sich auch noch um einen „bulk service“ (Massenabfertigung), von dem es so schön heißt „a general queueing model where jobs arrive in and/or are served in groups of random size.“. Und das sind keine „small random groups“, das sind „big and large random groups“ > 1000. Klar ist, dass man eine vernetzte kompatible Hochleistungs-Datenverarbeitung benötigt, ohne die läuft nichts, und das in prinzipiell staatlichen Organisationen, weil der Staat, die öffentliche Hand, zuständig ist. Wer über das Aufnahmeproblem und seine mögliche Verbesserung so mit der linken Hand großspurig hinweggeht, was einige, sogar hohe Politiker zu tun belieben, der ist halt ignorant und sollte besser schweigen.
Dann kommt die Unterbringung mit hygienischen Ansprüchen, damit die physische Versorgung nicht ins Animalische abgleitet. Ethnien und das Geschlecht sind zu berücksichtigen. Nicht dass Frauen vergewaltigt werden und Ethnie 1 auf Ethnie 2 einschlägt und ein allgemeiner Lagerkoller sich breit macht. Wie gesagt: Das sind keine small groups, das sind „big groups“, (noch) in Zelten und Kasernen. Unterhaltung und Sport müssen her, damit keine Kolleritis, sondern ein Dorf in bürgerlichem Sinne entsteht. Ausgang der Flüchtling in die Städte ist deshalb notwendig. Aber das interessierte, hilfsbereite Bürger vor den Lagertoren brüsk von der nicht gerade intellektuell aussehenden Security mit den Worten abgewiesen werden, es handele sich nicht um einen Zoo, ist nicht gerade hilfreich und motivierend.
Dann kommen die Arbeitsplätze, möglichst sprachunabhängig, und Schulausbildung für Schulpflichtige. Ein steigender Lehrerbedarf und Schüler mit Arabisch als Muttersprache, das ist ein Problem. Wunderbar ist Google. Wenn ich mit meinem Syrer schwierige Wörter austauchen will, dann frage ich bei Google nach, wie das Wort auf Arabisch und in arabischer Schrift heißt. Ein ständiger Rückgriff auf die Muttersprache, meinetwegen per Google, ist auch Lehrern zu empfehlen. Dann die auch möglichst sprachunabhängige Arbeitsplätze: Gedacht ist an Hilfspersonal in Hotels und Restaurants, im Straßenbau, in städtischen Entsorgungsdiensten, Forstbetrieben, Agrarwirtschaft, etc. In Büros, Fabriken und Handwerk kann es schnell zu kompliziert werden, weil eine stärkere Sprachabhängigkeit beginnt. Das ist dann schon das Problem der Flüchtlinge, also hier ein Übergang zum nächsten Abschnitt. Da wo die Automation hinlangt, ist in Sachen Arbeitsplätze nicht viel zu holen.
Schnell nachzuholen, nicht trivial, sondern zentral ist das Problem des Haushalts. Herr Schäuble ist nicht zu beneiden beim Glauben an die schwarze Null. Wenn’s dann nicht klappt, wäre ich für einen Flüchtlingssoli aufs Einkommen, kein Defizit, die nachkommenden Generationen haben genug Probleme, die ihnen aufgetischt werden. Keine Erhöhung der Mehrwertsteuer unter dem auch unser reichlich vorhandenes Prekariat zu leiden hätte.
3) Das Problem der Flüchtlinge: Aus dem Chaos in den Kosmos
Das Problem der Flüchtlinge kann man sich am besten vergegenwärtigen, wenn man selbst in die Rolle eines Flüchtlings schlüpft. Man dreht sie Sache einfach um. Ich, der Hartmut Wedekind, fliehe nach Syrien, z.B. vor den Nazis, das ist so ungefähr der IS. Das ist fiktiv, nicht real und gehört eigentlich auf eine Bühne. „Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet“ vom guten Friedrich Schiller kommt mir in den Sinn. Aber das Theater, die Fiktion war immer schon da, um uns zu belehren und um etwas klar zu machen, was anders nicht geht, kurz und prägnant. Natürlich brauche ich in Syrien als deutscher Flüchtling Hilfe von außen. Das Hauptproblem aber liegt bei mir und in mir und in meinem Willen zum Interesse, zum Dazwischen-sein in Arabien. Und das ist das Erlernen des Arabischen. Wie fange ich das an? Natürlich am Koran, der auch sprachlich für die arabische Welt zentral ist, was jeder weiß. Das Spracherlernen am Koran (fünf Suren pro Tag, möglichst auswendig) ist für einen Flüchtling aus Europa eine fürchterliche Aufgabe, auch wenn es sich zum Teil um Lyrik in schöner, klangvoller Sprache handelt. Ich halte das Studieren des Korans, gegenüber dem Studium unseres mittlerweile an Flüchtlinge ausgehändigten Grundgesetzes mit seinem Juristendeutsch für nicht ganz so fürchterlich. Vielleicht lande ich auf dem schönen und berühmten Bazar in Damaskus als Märchenerzähler, der Grimms Märchen auf Arabisch vorträgt.
Zurück zum politischen Ernst. Frau Merkel sagt mutig „Wir schaffen das“. Sie liebt, im Fernsehen mehrfach verkündet, als Leitmotiv den Spruch des Griechen Demokrit: „Mut steht am Anfang unseres Handelns, Glück am Ende“.
Unser Friedrich Schiller würde ihr antworten: „Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck“, wobei „Gehorsam“ mit Gesetzes-Gehorsam zu spezifizieren ist. Das zusammengesetzte, synthetische neue Problem („Merkel‘s problem“) liegt in dem „Wir“. Zum „Wir“ gehören Zwei: Die Flüchtlinge und die Deutschen. Scheitert einer in einer Konjunktion, scheitern bekanntlich beide. Statt an Demokrit denke ich lieber in bescheidener Absicht an den Stoiker Epiktet (50-138): „Was aber nicht in unserer Macht steht, …., kann verwehrt werden, gehört einem anderen zu.“ Auf Flüchtlinge und ihre Interessen haben die Deutschen im Bildungsbereich nur wenig Einfluss, das gehört einem andern zu, nämlich den Flüchtlingen. Wer nicht will, der kann nicht oder der hat schon, lautet ein alter Spruch.