Das Dialogprinzip

1) Einleitung

Der Philosoph und Logiker Kuno Lorenz (Saarbrücken) und der Neurologe Joachim Bauer (Freiburg) haben mich so stark beeinflusst, dass ich nicht umhin konnte, meine Gedanken zum Dialogprinzip niederzulegen. Lorenz, einer der Schöpfer der Dialogischen Logik, hat seine mannigfaltigen Arbeiten über Dialoge in einem Kompendium zusammengefasst („Dialogischer Konstruktivismus“, de Gruyter, 2009) und Bauers Werk „Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung des freien Willens“, Blessing, 2015, ist nach den vielen Arbeiten über Hirnforschung als Bestseller bekannt geworden, weil Neurowissenschaftler die Lehre verbreitet haben, mehr auf Gefühle und Intuition als auf die Rationalität zu hören. Was man in der Philosophie „Dialog“ nennt, heißt in der Theologie „Gebet“, nicht im Sinne „lieber Gott, hilf mir in meiner Not!“, sondern im Sinne eines Entscheidungspartners und -unterstützers „Herr, was soll ich tun?“. Und dann ganz deutlich: „So wahr mir Gott helfe.“ als Bitte um Unterstützung in der bekannten Eidesformel, auf die der Kandidat auch verzichten kann. Wir werden auf das Gebet als Dialogform zu sprechen kommen, wenn Religion als Kontingenzbewältigung bei Hermann Lübbe zur Debatte steht (Hermann Lübbe, „Religion nach der Aufklärung“, 1986, Styria).

Wenn man von einem Prinzip spricht, dann ist damit die Einsicht verbunden, dass es sich um einen Satz an einem Anfang handelt, der auch für weitere Sätze in aller Zukunft gelten soll. Diese Eigenschaft haben normale Sätze unserer Sprache nicht. Ein Dialog (wörtlich „Auseinandersetzung“), das ist der Zusammenhang zwischen einem Ich und einem Du, und als Fortsetzung eines Dialoges mit sich selbst aufzufassen, den man auch als den inneren Dialog bezeichnet. „Denken als Gespräch der Seele mit sich selbst“ war schon ein Thema Platons im Theaitetos (190a). Wenn wir Sprache sagen, dann meinen wir nicht nur die Verbalsprachen in Wort und Schrift, sondern auch die in Dialogen wichtigen Gebärdensprachen, die wir schon in frühester Kindheit erlernen.

2) Der Dialog aus einer neuronalen, hierarchischen Struktur heraus

Es kann als eine bedeutsame Erkenntnis der modernen Neurologie angesehen werden, herausgefunden zu haben, dass das menschliche Gehirn neben vielen Strukturen auch eine hierarchische Struktur aufweist. Von unten nach oben in der Hierarchie gedacht (bottom-up), sind wir zunächst animalische Wesen und verfügen über ein ausgeprägtes Triebsystem, das aber auch Reptilien schon haben. „Das Reptiliengehirn des Menschen ist süchtig nach neuen Reizen, ständiger Abwechslung und nach oberflächlicher sozialer Anerkennung, es liebt kalorienreiche Snacks, alkoholische Drinks und Nikotin“ meint Joachim Bauer in seinem SWR2-Vortrag Aula über „Mehr Impulskontrolle“ am 14. Mai 2015. Und dann weiter „Was uns als Menschen von Reptilien – aus neurobiologischer Sicht – markant unterscheidet, ist ein starkes von oben nach unten wirkendes Kontrollsystem, das seinen Sitz im Stirnhirn, im sogenannten Präfrontalen Cortex hat“. Ein Operator von oben nach unten wirkend heißt „Freier Wille“, der auch eingeübt werden muss. Mit anderen Worten: Die Hierarchie, top-down, vom Präfrontalen Cortex herunter zum Triebsystem ist von zentraler Bedeutung für die menschliche Existenz, weil beide Systeme in Balance gehalten werden müssen. Unbalanciert steht uns Schlimmes bevor. Die Sucht-Kliniken und Gefängnisse sind voll mit unbalancierten Mitmenschen. In der Kontrolltheorie spricht man auch von Metaebene und Gegenstandsebene. Auf der Metaebene steht u.a. in neuronaler Darstellung das Regelwerk, nach der wir leben wollen und sollen. Seine Verfügbarkeit wird Metakompetenz genannt. Das entspricht dem Russelschen Begriff „knowledge by description“. Das Triebsystem hingegen orientiert sich an Gegenständen (Objekte). Wir verfügen über eine Objektkompetenz („knowledge by acquaintance“ im Sinne Russels). Das Wissen auf der Objektebene ist direkt, unvermittelt und nicht-folgernd (non-inferential), das auf der Metaebene indirekt, vermittelt und folgernd (inferential). In der philosophischen Diskussion heißt die Metaebene sehr bezeichnend auch Erwähnungsebene (mention level). Sie steht hier begrifflich der Gebrauchsebene (use level) gegenüber.

Im Gegensatz zu anderen Säugetieren entwickelt sich das Stirnhirn mit dem Präfrontalen Cortex erst langsam in den ersten drei Jahren des Lebens. Die Entwicklung bedarf einer ständigen Pflege von außen, vornehmlich durch die Mutter, sonst bleibt nur eine Unterentwicklung. Der Kopf eines Menschen bei der Geburt ist noch klein. Menschen müssen gegenüber den anderen Säugetieren Frühgeburten sein. Keine Frau würde die Geburt eines Kindes mit ausgewachsenen Kopf überstehen.

Im Präfrontalen Cortex ist nicht nur in Bezug auf das Triebsystem die eigene Selbstkontrolle neuronal festgelegt, was das „Selbst“, das „Ich“ repräsentiert. Bauer führt in seinem SWR2-Vortrag aus, dass „ebenfalls in der unteren Etage des Präfrontalen Cortex sich auch ein Netzwerk befindet, in dem das „Du“ kodiert ist. Beide Bereiche sind aufs engste miteinander verbunden. Wir haben hier also eine neuronale „Ich-Du-Koppelung“. Diese Koppelung ist eine Art Einlasspforte für die starken – guten oder schlechten – Wirkungen, die andere Menschen in uns auslösen können.“ Es handelt sich hier um die Dialog-Komponente im Präfrontalen Cortex, das Fundament des Dialogischen Prinzips. Ventromedialer Präfrontraler Cortex nennen Neurobiologen diese Komponente.

3) Der Dialog in der Philosophie

Es ist allbekannt, dass die Philosophie den wissenschaftlichen Dialog als Mittel zur Erkenntnisfindung miteinander erfunden hat. Wenn „Ich“ gegenüber einem „Du“ etwas behaupte, ist der Dialog schon da, weil das „Du“ die Behauptung akzeptieren oder der Behauptung widersprechen kann. Der Name Platon reicht aus, um von weiteren Begründungen Abstand nehmen zu können. Ganz groß kam der Dialog als Methode einer Begründung wieder heraus, nicht als wilde Form eines Gegeneinanders z.B. in politischen Debatten, sondern als Paul Lorenzen seine eindrucksvollen Aufsätze und Bücher über Dialogische Logik schrieb, allen voran „Logik und Agon“ (1960), wobei „Agon“ mit Wettstreit, nicht etwa mit Todeskampf zu übersetzen ist. Die alte, klassische Logik eines Aristoteles kam in der Antike vermutlich zustande, als der junge Aristoteles auf der Agora in Athen die Sophisten mit ihren rhetorischen Künsten dialogisieren sah, um z.B. aus Schwarz Weiß zu machen. Für Aristoteles mussten Regeln her, um das Spielchen der Sophisten zu unterbinden. Schon damals war den Philosophen also bewusst, dass Logik im Kern dialogisch ist. Es hat aber erst bis ins 19. Jahrhundert, bis Gottlob Frege (1848-1925) gedauert, bis klar wurde, was mit einer Behauptung, mit einer „behauptenden Kraft“ und mit ihren Pflichten gemeint war. Frege gilt als der Aristoteles der Neuzeit. Nur mit nachgewiesenen und akzeptierten Behauptungen, die als wahr gelten, kann weitergearbeitet werden. Das „ex vero sequitur verum“ erkannte man schon sehr bald, wiewohl auch das „ex falso sequitur quodlibet“, bzw. das Falsche führt in die Beliebigkeit oder Willkür.

Der Miterfinder der Dialogischen Logik, die von grundsätzlicher erkenntnistheoretischer Bedeutung ist, Kuno Lorenz hat in seiner Schrift „Einführung in die philosophische Anthropologie“ (1990) dialogische Elementarsituationen handlungstheoretisch analysiert und herausgestellt, dass nicht nur das aktive Können, sondern zugleich das passive Erkennen dieses Könnens erforderlich ist (S. 113). Der Sprecher führt aus, der andere, der Hörer führt an. „Ausführen“ (to perform) und „anführen“ (to quote) sind im Deutschen kein bloßes Sprachspiel. Mit „anführen“ soll gesagt werden, dass der Hörer über ein Schema (type) verfügt, es somit anführen kann, um den Sprecher überhaupt zu verstehen. Der Sprecher, der Ausführende vollzieht ein „token“, eine Aktualisierung als etwas Einzelnes (Singulares; single act). Für den Hörer, für den es die Handlung passiv gibt, sagt Lorenz, dass er ein Schema, etwas Allgemeines (Universales; generic action) der Sprachhandlung anführen kann und somit versteht (S. 113). Jedes Singulare ist nur als Aktualisierung eines Schemas verständlich, so wie jedes Universale nur als aktualisiertes Schema vorhanden ist. In der Verselbständigung von Ausführung und Anführung, also der ‚Ich-Perspektive‘ und der ‚Du-Perspektive‘ kommen der pragmatische und der semiotische (zeichen-orientierte) Anteil der Handling zum Vorschein (S. 114).

Wir halten fest: Ein Dialog lässt sich auf das Begriffspaar „Schema-Aktualisierung (Ausprägung)“ zurückführen. Das Begriffspaar spielt in der Informatik und auch in andern Wissenschaften eine zentrale Rolle. Andere Ausdrücke sind „langue“ und „parole“ (de Saussure), „type“ und „token“ (Peirce) und „competence“ und „performance“ (Chomsky). Das Zusammensehen des Begriffspaars macht das Dialogprinzip aus.

4) Eine theologische Sicht: „Religion als Kontingenzbewältigung“

Indem wir auf Hermann Lübbe und sein Buch „Religion nach der Aufklärung“ zurückkommen, haben wir zunächst den Begriff „Kontingenz“ zu klären. Der Begriff stammt aus der Modallogik, genauer aus der ontischen Modallogik, in der die Ausdrücke „notwendig und möglich, unmöglich und nicht-notwendig “ untersucht werden. Der Quantorenlogik folgend ordnet man die vier ontischen Begriffe traditionell in einem Quadrat an, in das wir dann leicht den Begriff „Kontingenz“ per Konjunktion einbetten können:

Dialogprinzip_Skizze

Die Pfeile stellen gültige Modallogische Schlüsse dar. So gilt: „Wenn etwas notwendig ist, dann ist es auch möglich“, und „wenn etwas unmöglich ist, dann ist es auch nicht-notwendig bzw. unnotwendig“. Man nennt den Abfall von oben nach unten im logischen Quadrat auch das theophrastische Modalgefälle (Theophrast (371-287 ante) war Schüler des Aristoteles und ein bedeutender Modallogiker). Die beiden Diagonalen stellen jeweils eine Kontradiktion dar; sie entsteht durch Negation, oder der eine Begriff ist die Verneinung des anderen und umgekehrt.

Der Begriff „kontingent“ wird nun durch Zusammensetzung gewonnen. Kontingent ist etwas, wenn es möglich und (∧) nicht-notwendig ist.

Die Schlüsse von ‚kontingent‘ auf ‚möglich‘ und separat auf ‚nicht-notwendig‘ sind erlaubt, weil man Konjunktionsglieder aus einer Konjunktion erschließen darf. Da wir uns gerade im theologischen Bereich aufhalten, ist vielleicht die Bemerkung von Interesse, dass ein logischer Schluss der Glieder aus einer Konjunktion (A ∧ B) → A, so wie auch (A ∧ B) → B nach dem im Mittelalter bedeutenden Logiker Petrus Hispanus, dem späteren Papst Johannes XXI., benannt wurde (Gesetz des Petrus Hispanus, siehe A. Menne: „Einführung in die Logik“, (1973), S. 51). Erstaunlich: Im Mittelalter waren Päpste und Kirchenlehrer (z.B. auch Thomas von Aquin, 1225-1274) eifrige Logiker im nach-aristotelischem Sinne. Diese geistige Führerschaft kann man von der Kirche nach der Aufklärung, über die wir reden, nicht mehr verlangen.

Vieles in unserem Leben ist kontingent, also möglich und nicht-notwendig, jedenfalls, wenn wir im ontischen Lebensbereich bleiben und nicht in die Naturwissenschaften mit ihren notwendigen Verlaufsgesetzen abwandern. Wenn wir auf einer Entscheidungsposition in unserem Handeln stehen, dann ist diese Position meistens kontingent, also möglich aber nicht notwendig. Wenn wir in theologischer Absicht zum Himmel schauen, dann ist unsere Position zunächst auch erst mal kontingent, möglicherweise gibt es einen Gott, einen Creator Mundi, aber nicht-notwendig ist der doch auch? Das ist die agnostische Position, die ist kontingent per se. Oder ist der Creator aus kontingenter Position etwa notwendig, das sagen die Theisten, oder unmöglich, das sagen die Atheisten. Mit dem Stichwort „Kontingenzbewältigung“ in seinem Buch „Religion nach der Aufklärung“ sieht Lübbe die Religion als Stütze, um die Kontingenz nach oben zu überwinden. Nach-aufklärerisch meinem wir natürlich mit „nach oben“ nicht den Himmel, sondern das theophrastische Modalgefälle. Ist der Creator Mundi notwendig, das Gefälle hochsteigend, oder ist der Weg gegen das Gefälle unmöglich? Einen modallogischen Schluss nach oben, ein risikoloser Übergang also, dem Gefälle entgegen, gibt es leider nicht. Es sei denn metaphysisch. Und trotzdem haben wir in einer realen und kontingenten Position Handlungsentscheidungen zu fällen. Wie bekommen wir Unterstützung durch den Creator Mundi, wenn es ihn denn notwendigerweise gibt, wie es alle Religionen behaupten, hoffentlich im Fregeschen Sinne mit behauptender Kraft, und nicht bloß für Festtagszwecke. Aber wenn das so ist, dann ist ein Dialog fällig, womit wir wieder beim Thema wären.

Ein zentraler Begriff, zumindest der christlichen Religion, ist der Begriff „Gewissen“ lat. „conscientia“, engl. und franz. „conscience“. Im Lateinischen kommt durch die wörtliche Übersetzung „conscientia = das Mitwissen“ viel deutlicher zum Ausdruck, dass mit „Gewissen“ noch zweite Instanz angesprochen wird. Im Sinne der dialogischen Logik könnte man von einem „Proponenten“ sprechen, dem der angreifende Opponent gegenübersteht. Die Kirchen haben immer größten Wert darauf gelegt, dass eine Gewissensbildung in den Vordergrund zu stehen hat. Kardial Ratzinger, später Benedikt der XVI., hat z.B. unter anderem in seinem Buch „Salz der Erde“ (1996) mit Nachdruck darauf hingewiesen. Er sagt: „Das äußere Tun ist überall dasselbe, aber das besagt nicht, dass die Menschen, die das Gleiche tun, sich gegenseitig verstehen können, dass sie Respekt voreinander und Frieden miteinander haben können. Dafür sind die religiösen und ethischen Überzeugungen entscheidend, die ganze Art der Gewissensbildung“ (S. 140).

Die Entwicklung der westlichen Aufklärung (enlightment, siècle de lumière) hat die Kirche seit über 250 Jahren nur mit Distanz verfolgt und gar nicht reflektiert, dass da im Profanen der Aufklärung die Menschenrechte sich bildeten, die 1948 von der UNO kodifiziert wurden. Eine Absicht war es damals, die Einklagbarkeit der Rechte einzuführen. Ob das gelungen ist, darüber darf gestritten werden; interessiert natürlich die Kirche, die sich auf ein nicht-einklagbares Gewissen konzentriert, nur am Rande. Wenn wir Kontingenzbewältigung betreiben wollen, dann ist der Dialogpartner „Mitwisser“ von großer Bedeutung, insbesondere, wenn er uns mehr sagen kann, als was z.B. in Gesetzbüchern steht. Jetzt hat die christliche Kirche einen fürchterlich heruntergekommen Begriff parat, den sie „Liebe“ nennt, fürchterlich, weil sofort an „amor“ oder „eros“ gedacht wird. Die Griechen sprachen wenigstens noch neben „eros“ auch von „agape“ und lagen schon näher bei dem, was der große Aufklärer Immanuel Kant (1724-1804) meinte, wenn er in einer Formulierung seines kategorischen Imperativs von dem Menschen als Selbstzweck sprach. Unter keinen Umständen darf der Mensch als Mittel etwa zu eigenen Zwecken benutzt werden. Das fordert der Dialogpartner im Hintergrund. Er fordert aber noch mehr. Wenn man als Selbstzweck seinen eigenen Zweck fördert, dann sollte man das aber auch bei anderen tun. Das wird traditionell „Nächstenliebe“ genannt. Den berühmten Kantischen Satz „Der Mensch ist um seiner selbst willen geschaffen“ hat der sonst kant-kritische Papst Benedikt XVI. noch als Kardinal Ratzinger voll übernommen und interpretiert (in: „Gott und die Welt, Glauben und Leben in unserer Zeit“, 2000, S. 94).

9 Kommentare zu „Das Dialogprinzip

  1. Mit dem Russelschen Begriffen „knowledge by description“ & „knowledge by acquaintace“ korespondieren m. E. auch die Mittelstraßschen Begriffe „Orientierungswissen“ & „Verfügungswissen“.

    Zur Ergänzun der „Verlaufsgesetzte“ in den Technikwissenschaften, könnte in den Sozialwissenschaften von „Tendenzgesetzen“ gesprochen werden.

    Auch würde ich vorschlagen, dass Sie das „einfache“ Dialogprinzip für die sprachliche Auseinandersetztung für (vernetzte) Interaktions-Prozesse wie folgt komplettieren:

    Unter einer „Ich-Du-Kopplung im Hinblick auf das Reden (Kommunikation)“ befindet sich eine „Ich-Du-Kopplung im Hinblick auf das Handeln (Kollaboration)“.

    Von „oben“ nach „unten“ geht ein (Funktions-)Pfeil mit der Beschriftung „veranlaßt“ & von „unten“ nach „oben“ ein (Funktions-)Pfeil mit der Beschriftung „wird überwacht“.

    So können wir nicht nur (einfache) sprachliche Auseinandersetztungen, sondern auch (vernetzte) Interaktionsprozesse dialogisch & Prozess-getriben (von den zu erreichenden Zwecken) aus modellieren (gerichteter Ablauf), ausstatten (Mittel bzw Ressourcen) & ausführen (Zweckerreichung?)

    PS: Unsere Politiker könnten wir einmal über die Vorteile der Modellierung, Ausstattung und Ausführung einer „Prozess-getriebenen Kriegsführung gegen den Terror“ informieren.

  2. Ich stelle voller Freude fest, dass Sie sich dank Joachim Bauers Vortrag zum ersten Mal veranlasst sehen, sich einer (natur-) wissenschaftlichen Betrachtungsweise gegenüber zu öffnen. Sie werden sehen, dass es sich durchaus lohnt, auch wissenschaftliche Ergebnisse und Ansichten der letzten zwei Jahrhunderte in Erwägung zu ziehen. Aristoteles und Kant wird dies keinen Abbruch tun.

  3. Wedekind stellt mit ‚behauptender Kraft‘ fest, dass gewisse Dinge möglich aber nicht nötig sind. Welche Dinge er meint, verrät er nicht. Das ist Teil der Anwendung und deshalb uninteressant.

    1. In Wikipedia steht der wunderbare Satz (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz):
      „Kontingenz (Philosophie), die Nicht-Notwendigkeit potenzieller Ereignisse im Gegensatz zur metaphysischen schicksalhaften Notwendigkeit.“

      Wenn Bertal Dresen aus dem Haus geht und es fällt ihm ein Dachziegel auf den Kopf, oder er würfelt, und es fällt eine 6, dann ist das möglich und nicht notwendig (kontingent). Statt „kontingent“ sagt man bürgerlich „zufällig“. Man muss fragen „Was ist im Leben nicht kontingent, wenn fast alles kontingent ist?“. Nicht-kontingent, weil notwendig sind eben die naturwissenschaftlichen Verlaufsgesetze, die erst mit der Aufklärung in die Welt kamen.

      H .Wedekind

      1. Die so genannte Gelehrtensprache stiftet nur unnötige Verwirrung. Dass der Dachziegel sich löst, ist doch kein Zufall. Dass ich gerade in der Nähe bin, ist es schon eher. Wenn ich es genauer untersuche, werde ich sogar daran zweifeln.

        1. Was einen Grund hat, kann nicht Zufall sein. Nicht alles, was einen Grund hat, ist zwangsläufig. Was auch immer Theophrastes dazu sagte.

          1. Dass in der Welt nur sein kann, was sich mathematisch erklären lässt, ist für mich eine Forrm von Idealismus. Ich habe einen ganzen Essay darüber verfasst. Titel: Ist Mathematik göttlich oder ist Gott Mathematiker?

  4. Peter Hiemann aus Grasse schrieb:

    Hartmut Wedekinds Gedanken zum Thema ‚Dialogprinzip‘ beschreiben, welche Rolle Logik bei Philosophen in der Vergangenheit gespielt hat. Nach Wedekinds Vorstellung scheinen derzeitigen Verfechtern der ‚Dialogischen Logik‘ korrektes logisches Schließen hinreichend zu sein, um menschliche Kommunikation und menschliche Denk- und Verhaltensweisen umfassend erklären zu können.

    Es besteht kein Zweifel, dass der Entwicklung menschlicher logischer Fähigkeiten eine wichtige Bedeutung zukommt. In fortgeschrittenem Alter ergänzen logische Bewertungen andere vielfältige unbewusste emotionale und andere vielfältige bewusste kognitive Bewertungsmaßstäbe, damit ein Individuum umfassende Vorstellungen entwickeln und umfassende Entscheidungen treffen kann.

    Bauer weist in seinem Vortrag „Selbststeuerung“ darauf hin, dass ‚individuelle Spiegelungen‘ ausschlaggebend sind, damit Säuglinge und Kleinkinder erstmals ein stabiles „Ich“ entwickeln können. Bauers Vorstellungen in seinem Vortrag hinsichtlich eines „Bottom-Up“ wirkenden Triebsystems und eines „Top-Down“ wirkenden Kontrollsystems lassen sich nicht als Aussage über die Existenz direkter „neuronaler, hierarchischer Strukturen“ interpretieren. Ich vermute, dass Bauer mit dieser ‚vereinfachenden‘ Darstellung klarstellen wollte, dass aus dem berühmten Libet – Experiment nicht geschlossen werden darf, dass der Mensch ‚Sklave‘ unbewusster Gehirnprozesse sei.

    Bauer beschreibt in seinem Buch „Warum ich fühle, was Du fühlst – Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone“ eine umfassende Sicht auf Funktionen des Gehirns: „Das Gehirn kartiert die Welt als eine Sammlung von Handlungs- und Interaktionsoptionen. Die Welt ist, was wir mit ihr machen und wie wir mit ihr interagieren können.“

    Wedekinds Versuch, mit der Existenz des Ventromedialer Präfrontraler Cortex die Existenz eines logischen „Fundaments des Dialogischen Prinzips“ zu begründen, entspricht einer Vereinfachung neuronaler Komplexität. Nach Antonio Damasio ist der ventromediale frontale Cortex eine Gehirnstruktur, die mit anderen Strukturen in Verbindung steht. Zum Beispiel mit der Amygdala, die die Emotion Angst auslöst, und somatosensorischen Feldern, in denen die aktuellen Körperzustände ständig verarbeitet werden. Unter anderem löst der ventromediale frontale Cortex eine Emotion des Mitgefühls (Empathie) aus.
    Nach Damasio bringt ein neurales System im Stirnteil des Großhirns das Kunststück fertig, so zu funktionieren, dass in jedem Moment ein ‚Selbst-als-Objekt‘ neuraler Prozesse und ein subjektives ‚Selbst-als-Wissender‘ zu einer Einheit ‚Ich‘ verschmelzen [Antonio Damasio: „Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins“]. Wie das Gehirn das Kunststück ‚Bewusstsein‘ zustande bringt, ist unbekannt.

    In dem letzten Abschnitt behandelt Wedekind den Begriff ‚Kontingenz‘. Im Rahmen biologischer und neuronaler Vorstellungen bedeuten ‚kontingente Ereignisse‘, dass sie von Zufällen abhängig und nicht vorhersehbar sind (z.B. Mutationen). Im evolutionären Kontext resultieren solche Ereignisse in ‚emergente‘, nicht vorhersehbare Eigenschaften eines Systems (z.B. ein großes Gehirn). Für neuronale Prozesse ist es irrelevant, ob gültige Modallogische Schlüsse gelten wie: „Wenn etwas notwendig ist, dann ist es auch möglich“, und „wenn etwas unmöglich ist, dann ist es auch nicht-notwendig bzw. unnotwendig“. Natürliche Kommunikationssysteme wie Gehirne selektieren eine Option nach vielfältigen Kriterien. Sie entscheiden später, ob sich eine selektierte Option als nützlich erwiesen hat. Wenn nicht, wird die Option in Folgeprozessen nicht reproduziert.

    Franzosen haben sich entschieden, dem Wort ‚conscience‘ die Bedeutungen ‚Bewusstsein‘ oder ‚Besinnung‘ zuzuordnen. In Verbindung mit einem Adjektiv oder Verb bezeichnet ‚conscience‘ Bewusstseinszustände wie Nationalbewusstsein, Umweltbewusstsein, Klassenbewusstsein, Selbstbewusstsein. Nur in moralischem Kontext hat es Bedeutungen wie ‚ein gutes Gewissen‘, ‚ein schlechtes Gewissen‘, Gewissensfreiheit oder Gewissenlosigkeit.

    Das relativ kleine Organ Gehirn verbraucht übrigens 20 Prozent des menschlichen Energiebedarfs, und nur zwischen 10 bis 20 Prozent neuronaler Wechselwirkungen betreffen bewusstes Denken und Handeln.

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