Einführung: Bis zu seiner Emeritierung leitete Prof. Mertens den Lehrstuhl „Wirtschaftsinformatik I“ und die Forschungsgruppe B „Betrieblich Anwendungen“ der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu einer engeren Zusammenarbeit mit ihm kam es in der 12-jährigen Laufzeit des Sonderforschungsbereichs (SFB) 182 „Multiprozessor- und Netzwerkkonfigurationen“, der in diesem Blog beschrieben wird. In dem SFB betreute er das Teilprojekt D5 „Produktionsplanung mit verteilten Wissensbasierten Systemen“.
Während seiner Zeit als akademischer Lehrer hat sich Prof. Mertens besonders durch eine Vielzahl von Unternehmens-Neugründungen (Start-Ups) hervorgetan, die in der Literatur auch als Spin-offs (Ableger) bezeichnet werden. Prof Mertens hat es nie bei Lehre und Forschung bewenden lassen, sondern hat immer als Hochschullehrer die Pflicht empfunden, das „Entrepreneurship“, wie man heute auch sagt, zu pflegen und zu fördern.
Entrepreneurship, das ist ein Schwergeschäft, vor dem so mancher zurückschreckt, weil darüber der Wahrspruch des Demokrit steht: „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende“.
Das Interview:
Hartmut Wedekind: Herr Kollege Mertens, eine überraschend große Zahl von ehemaligen Assistentinnen und Assistenten ihrer ehemaligen Lehrstühle wurden zu erfolgreichen Unternehmern. Worauf führen Sie das zurück?
Peter Mertens: Wir haben die Themen der Doktorarbeiten stets nicht nur nach den speziellen Interessen und Kompetenzen der Assistentinnen und Assistenten („Zauberlehrlinge“) ausgewählt und vereinbart, sondern stets die Frage gestellt, für welche neue Lösungen in der Privatwirtschaft und in der Staatsverwaltung wahrscheinlich Bedarf herrscht („Bedarfssog“ als Auswahlkriterium). So waren die Marktlücken von Anfang an da. Ferner hatte ich in meinen Lehrveranstaltungen den Reiz, aber auch die Herausforderungen und Probleme der Unternehmertätigkeit herausgearbeitet.
Hartmut Wedekind: Sie haben in diesem Jahr eine Bestandsaufnahme durchgeführt. Welches sind die quantifizierbaren Ergebnisse?
Peter Mertens: Es gibt einige Abgrenzungsprobleme. Beispiel: Zählen nur Gründungen, die unmittelbar auf die Promotion und auf der Grundlage der Dissertationsergebnisse folgten, oder auch solche, die die Gründerin oder der Gründer nach einigen Jahren als Angestellte(r) oder auch als Professor(in) vornahm? Daher muss ich eine Spanne angeben: Bei enger Auslegung haben 25 Personen 28 Unternehmen errichtet, bei weiter Interpretation sind es 32 Betriebe. Geschaffen wurden rund 2.400 bis 3.100 meist hochwertige Arbeitsplätze. Etwa jede(r) fünfte ehemalige Assistent(in) hat gegründet. Wir hatten nur zwei Insolvenzen, die zudem glimpflich abgingen. Das liegt weit unter veröffentlichten Zahlen. Beispielsweise überleben nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes weniger als 50% der Neugründungen die ersten fünf Jahre.
Hartmut Wedekind: Und welche Befunde Ihrer Studie haben Sie besonders überrascht?
Peter Mertens: Am meisten war ich überrascht, dass fast unisono alle Jungunternehmer Gründungssubventionen ablehnen. Sie würden zweierlei bevorzugen: Erstens allgemein weniger Bürokratie, zweitens flexibles Verhalten der Finanzverwaltung bei vorübergehenden, unverschuldeten Engpässen, wie sie typischerweise auftreten, wenn ein Unternehmen aus der Verlust- in die Gewinnzone wechselt und dann u. U. gleichzeitig hohen Steuernachzahlungen für das abgelaufene und ebenso hohen Steuervorauszahlungen für das folgende Geschäftsjahr ausgesetzt ist. Bezeichnend: Ein Ex-Zauberlehrling, der ein größeres Unternehmen in der Schweiz gegründet hat, äußerte im Interview: „Das ließ sich mit der Kantonsverwaltung problemlos regeln“.
Hartmut Wedekind: Welches sind besondere Maßnahmen, mit denen Sie die Gründung von Unternehmen auf der Grundlage der Forschung in der Hochschule gefördert haben?
Peter Mertens: Als sehr geeignet erwiesen sich Projektstudien in Gruppenarbeit, in denen je nach Studien- und Prüfungsordnung der Fachrichtungen Seminararbeiten, Diplomarbeiten und das Pflichtpraktikum in Betrieben der Wirtschaft oder Verwaltung kombiniert wurden. Eine geeignete Konstruktion war das bayerische FLÜGGE-Programm (Flexibler Übergang in eine Gründerexistenz), das ich zusammen mit Ministerialdirektor Großkreutz vom Wissenschaftsministerium konzipiert hatte. Der Gründer bekommt nach der Promotion eine dem Lehrstuhl zugewiesene Assistentenstelle für drei Jahre. Mit einer Hälfte seiner Zeit bzw. Kapazität arbeitet er für die Gründung, die andere Hälfte stellt er seiner Alma Mater zur Verfügung, z. B. indem er Vorlesungen, Übungen und Seminare auf seinem Spezialgebiet anbietet oder Studierende in dem neuen Unternehmen ihr Pflichtpraktikum absolvieren und so die reizvolle Atmosphäre in einem jungen Betrieb kennenlernt. Ferner stellt die Universität freie Kapazitäten, z.B. auf dem Zentralrechner am Wochenende, kostenlos zur Verfügung. Leider sind jetzt Probleme aufgetaucht, weil die EU diese Art der Gründungsförderung verbieten will.
Hartmut Wedekind: Wieso das?
Peter Mertens: In Brüssel steht man auf dem Standpunkt, dass nur die Vorbereitung einer Gründung gefördert werden dürfe, nicht der Geschäftsbetrieb. Ich halte das für wirklichkeitsfern, denn die Ausarbeitung des Geschäftsplanes, die formale Gründung und erste Aufträge sind interdependent, man lernt aus diesen ersten Projekten, wie es weitergehen könnte.
Hartmut Wedekind: Angenommen, Sie wären der zuständige Minister für Wirtschaft oder Forschung und Lehre auf Bundes- oder Landesebene: Welche Reformen würden Sie anstreben?
Peter Mertens: Die Studien- und Prüfungsordnungen sollten Pflichtpraktika in Unternehmen alternativ zu Auslandssemestern vorsehen. Ein halbes Jahr als Praktikant bei Microsoft oder Google bringt mehr als ein Semester an der University of California. Erwägenswert sind und auch oft gefordert werden steuerbegünstigte Rückstellungen, die aus den ersten Gewinnen zu speisen sind und helfen sollen, die oft nicht ausbleibenden „Kinderkrankheiten“ zu überstehen. In der Hochschule empfehlen sich Lehrveranstaltungen, in denen in der Art einer Ringvorlesung Gegenstände aus Betriebswirtschaft (v.a. Rechtsformen, Kostenrechnung, Investitionsrechnung, Finanzierung, Unternehmensbewertung, Marketing, Unternehmensgründung), Wirtschaftsrecht, Steuerrecht, Wettbewerbsrecht und Arbeitsrecht gut abgestimmt kombiniert werden.
Die Förderung der Gründungen verlangt vom Lehrstuhlinhaber einiges an Arbeitszeit und „Nerven“. Daher finde ich es nicht gut, wenn man auf der einen Seite solche Leistungen sehr wünscht, andererseits aber bei der Beurteilung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegenwärtig nur „papers in high ranking international journals“ hoch gewichtet. Ich würde als Minister anstreben, die Evaluationen auf eine breitere Grundlage zu stellen, und sehe etwa zehn Kriterien, die ein guter Lehrstuhlinhaber erfüllen sollte („Zehnkampf“), darunter eben auch die Gründungsförderung.
Hartmut Wedekind: Ich bedanke mich für dieses aufschlussreiche Interview. Der Unternehmensgründer muss aber immer in einer dynamischen Zeit den rechten Augenblick erwischen. Zu spät ist schlecht, und zu früh auch. „Doch der den Augenblick ergreift, das ist der rechte Mann“ sagt Goethe im Faust I zu allen „Zauberlehrlingen“ der Welt.
Hi!
Ein aufschlussreiches Interview. Wirklich toll, das diese Gründer so viel Erfolg hatten, da wie bereits gesagt mehr als die Hälfte neuer Unternehmen wieder schließt.
Ich selbst habe als Unternehmer viel Erfahrungen mit Unternehmensgründungen gesammelt. Diese Erfahrungen könnten dich interessieren, da sie die Scheiterpunkte von vielen Jungunternehmern aufzeigen und was man dagegen bzw. bevor es soweit kommt, tun kann: https://www.youtube.com/watch?v=E5Pr5_xVGbc&index=4&list=PLp21M5oHbM2YkbNtlmSsloTKlJPSzhkex
Den meisten fehlt es einfach an Erfahrung, Information oder Kapital, um auch in schlechten Zeiten über die Runden zu kommen. Deshalb möchte ich auch mein Wissen hierzu mit anderen teilen.
LG Marko