1. Einleitung.
Da unser Blog die Überschrift trägt „Unsere Zeit in Gedanken fassen“, ist ein Beitrag zum Thema „Terrorismus“ überfällig. Wer vermutet, wir beziehen uns nur auf den Terrorismus aus dem Islam, der irrt. Der Terrorismus, den wir im Christentum, z.B. während des 30-jährigen Krieges (1618-1648), erlebt haben, steht ebenso zur Debatte. Wir reden zeitfrei und systematisch. Aber: Wir kamen zum Westfälischen Frieden, der heute im Islam noch aussteht und nach Henry Kissinger im Nahen Osten nicht in Sicht ist. Wir reden vom Glaubens-Terrorismus und grenzen ihn ab vom politischen Terrorismus à la RAF oder à la NSU oder gar einem psychopathischen Terrorismus, der sogar weltweit in Schulen Eingang gefunden hat. D.h., wir beabsichtigen, mit „Glaubens-Terrorismus“, der in den Glaubensarten stattfindet, grundsätzlicher als sonst üblich zu Werke zu gehen.
Wir sprechen von „Glaubens-Terrorismus“ und nicht von „Religions-Terrorismus“, ebenso von „Glaubens-Wahn“ und nicht von „Religionswahn“. Bei der Unterscheidung von Glauben und Religion hilft uns Immanuel Kant (1724-1804) mit seinem vierten großen, kritischen Werk „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793) weiter. Kant sagt (Seite 140, Reclam-Ausgabe von 2004): „Es ist daher schicklicher, (wie es auch wirklich mehr im Gebrauch ist), zu sagen: dieser Mensch ist von diesem oder jenem (jüdischen, muhamedanischen, christlichen, katholischen, lutherischen) Glauben, als er ist von dieser oder jener Religion… Der gemeine Mann versteht darunter jederzeit seinen Kirchenglauben… Man tut den meisten zu viel Ehre an, von ihnen zu sagen: sie bekennen sich zu dieser oder jener Religion.“
Was hier Kant bei der Unterscheidung von „Glauben“ und „Religion“ vollzieht, ist leicht als Abstraktion zu identifizieren, wobei „Glauben“ das Konkrete und „Religion“ das Abstrakte ist. Schwierig ist bloß die Äquivalenz (Gleichheit) in einer bestimmten Hinsicht zwischen den diversen Glaubensarten herauszustellen, um zur Religion hin abstrahieren zu können. Um diese Gleichheit handelt ein großer Teil der religionsphilosophischen Schrift Kants, die im ersten Stück mit dem Thema beginnt: „Von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem guten; d.i. vom radikal Bösen in der menschlichen Natur“. Das zweite Stück trägt den Titel: „Vom Kampf des guten Prinzips mit dem bösen, um die Herrschaft über den Menschen.“ Das dritte Stück wurde überschrieben mit: „Vom Sieg des guten Prinzips über das Böse und der Stiftung des Reiches Gottes auf Erden.“ Und letztlich das vierte Stück mit dem Thema: „Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips, oder von Religion und Pfaffentum.“
Den Begriff „Glaubens-Terrorismus“ erklärt man am besten mit alltäglichen Beispielen. Wenn jemand bewaffnet in einen Laden stürmt, alle Menschen niederschießt und „Allahu akbar“ schreit, dann ist das Glaubens-Terrorismus der modernen Art.
Am Ende dieses Beitrags schlagen wir vor, einer Idee Kants folgend, nach einer biblischen oder koranischen Ausbildung von Lehramtskandidaten eine Zusatzausbildung in philosophischer Religionslehre anzufügen (siehe Seite 12). Das wäre ein Stück methodischer Integration, an der es hapert, und wäre eine Basis für einen europäischen Islam, der allenthalben gefordert wird.
2. Vom Glauben zur Religion.
Wenn man die verschiedenen Glaubensarten betrachtet, so kann man eine Gleichheit unter ihnen in unterschiedlichen Kulturkreisen im theozentrischen Denken sicherlich nicht feststellen. Die christlich-jüdische Gottesvorstellung und Allah haben wenig miteinander gemein. Anthropozentrisch ist die Suche nach Gleichheit aber wesentlich erfolgreicher. Wir sind alle Menschen und haben miteinander zu leben. Ohne große Belehrung kommen Menschen schnell zu dem, was man die „Goldene Regel“ nennt. „Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu“. Eine andere Formulierung hat Kant in seiner „Kritik der Praktischen Vernunft“ mit seinem Kategorischen Imperativ vorgetragen. Sinngemäß heißt dieser Imperativ, dass die Grundsätze meines Handelns verallgemeinerbar (universalisierbar) sein müssen. Weitere Formulierungen dieses Imperativs sind: Du musst mit deinen Mitmenschen in Symbiose (Eintracht) leben und niemals ausnutzend und parasitär. Dein Mitmensch ist immer auch Selbstzweck, niemals nur Mittel zum Zweck allein. Z.B. muss die Arbeit eines Menschen für dich als Mittel ordentlich für seine Zwecke, also die des Mitmenschen Zwecke, entlohnt werden. Dann ist noch das berühmte Verdikt zu erwähnen „Ultra posse nemo obligatur“ (Über seine Fähigkeiten hinaus darf niemand gefordert werden). Das ist sozialpolitisch zu verstehen.
Sätze wie diese, also Sätze einer anthropozentrischen Moral, lassen sich fortsetzen. Jetzt fragen wir die verschiedenen Glaubensarten ab und siehe da, weil wir die regelpraktische Vernunft des Menschen ansprechen, die den Menschen innewohnt, erhalten wir Zustimmung. Das ist die anthropozentrische Abstraktion, die theozentrisch nicht gelingen kann. Wir haben moraläquivalente Glaubensarten durch Abstraktion gewonnen. Wir reden von nun ab über Glaubensarten moraläquivalent. Auf Unterschiede wird verzichtet. Moraläquivalente Glaubensarten werden Religion genannt. Wie alle Abstrakta gibt es Religion nur einmal. Deshalb sagt Kant (Seite 139): „Es gibt nur eine (wahre) Religion, aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben.“ Oder anders formuliert im Sinne der Abstraktionstheorie: Religion bleibt invariant (unverändert) gegenüber einem Austausch von Glaubensarten.
Der bekannte Tübinger Philosoph Otfried Höffe hat eine Schrift herausgegeben mit dem Titel der Kantische Religionsschrift (Akademie Verlag 2011). In seinem Einführungsbeitrag finden wir auf Seite 9 den Satz: „Unter diesen Voraussetzungen hält Kant an einer Grundidee der Aufklärung fest, dass es nur eine wahre Religion geben kann und diese der Vernunft nicht widersprechen darf. Selbstbewusst erklärt er, hier als Anwalt kritischer Vernunft: ‚eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf die Dauer gegen sie nicht aushalten‘“.
Was Offenbarungsglauben und Vernunft anbetrifft, so benutzt Kant das anschauliche Bild zweier konzentrischer Kreise. Innen liegt der Kreis der moralisch, praktischen Vernunft, über die man, nach außen schreitend, in den äußeren Kreis des Offenbarungsglaubens gelangt, der historisch und empirisch gebunden ist. Die Universalperspektive geht natürlich bei diesem Schreiten verloren.
In Höffes Schrift gibt es einen Beitrag des bekannten Tübinger Professors für evangelische Theologie Eberhard Jüngel: „Zum Titel und den beiden Vorreden“. Hier erfahren wir, dass die Einführung des Begriffs „Religion“ erst um 1750 erfolgte. Vor 1750 sprach man also schlicht nur konkret von Glauben (lat. fides). 1750, das war die Zeit der Hoch-Aufklärung. Kants Schrift erschien 1793. Er benutzte also ein Abstraktum, das erst rund 40 Jahre bekannt war.
3. Glaubens-Terrorismus als Afterdienst. Das radikale Böse.
Zu den Grundlagen einer jeglichen Moral gehört die Freiheit des Menschen. Ohne Freiheit keine Moral. „Moral also führt unumgänglich zur Religion“ sagt Kant (Seite 7). Wenn eine Moral umgedreht wird, nennt man das im Sinne Kants nicht mehr Gottesdienst, sondern Afterdienst. Alle Arten von Gewalt und Zwang führen zum Afterdienst. Gottesdienst und Afterdienst stehen logisch konträr zueinander, d.h. wenn etwas Gottesdienst ist, dann ist es kein Afterdienst, und wenn etwas Afterdienst ist, dann ist es kein Gottesdienst.
Kant prägte den Begriff des „radikalen Bösen“ (oder „wurzelhaft Bösen“) und unterschied ihn vom Durch-und-durch-Bösen, das er teuflisch nannte. Die Freiheit des Menschen ist, bildlich gesprochen, wie eine Kugel auf einer ebenen Tischplatte. Die Kugel ist nicht in einem stabilen Zustand. Das wäre sie erst, wenn die Tischplatte wie eine Vase oder konvex geformt würde. Man nennt den Zustand „Kugel auf flacher horizontaler Platte“ indifferent oder unentschieden. Der Hang zum radikal Bösen (propensity to radical evil) bringt die horizontale Platte in die Schieflage und die Kugel kann über den Rand in den Abgrund hinausrollen. Der Hang, oder die Neigung ist wurzelhaft und führt in den Ruin. Ein Weg zurück gibt es nur über eine Gesinnungsrevolution.
Anhang: Zusatzausbildung für Religionspädagogen welchen Glaubens auch immer.
Am besten man zitiert Kant (Seite 12) direkt aus der Vorrede zur ersten Auflage, um nicht falsch verstanden zu werden:
„Ich getraue mir sogar den Vorschlag zu bringen: ob es nicht wohlgetan sein würde, nach Vollendung der akademischen Unterweisung in der biblischen [oder koranisch, ergänzt vom Verf.] Theologie, jederzeit noch eine besondere Vorlesung über die reine p h i l o s o p h i s c h e Religionslehre, (die sich alles, auch die Bibel [oder den Koran, ergänzt vom Verf.], zu Nutze macht), nach einem Leitfaden, wie etwa dieses Buch, (oder auch ein anderes, wenn man ein besseres von derselben Art haben kann), als zur vollständigen Ausrüstung des Kandidaten erforderlich, zum Beschlusse hinzuzufügen.“
Schade eigentlich, dass Kant manchmal in so verschachtelten Sätzen schrieb, insbesondere aber, wenn er unsicher war. Das Verschachtelte lag aber in seiner Zeit. Die Zeit des Rokoko währte so ungefähr von 1730-1780. Kants religions-philosophische Schrift (1793) stammt also aus der Zeit des Spät-Rokoko. Unter dem wenig aufgeklärten Nachfolger des „Alten Fritzen“, König Friedrich-Wilhelm II (Regierungszeit von 1786-1797) begann das Theater um ein Schreibverbot für Kant.
Wie ist ein europäischer Islam überhaupt möglich? Hier liegen die Ansatzpunkte.
Das ist in Sachen philosophischer Religionslehre in der evangelischen Theologie offensichtlich nicht anders. Der bekannte Münchener Theologe W. Pannenberg schreibt in seinem Werk „Theologie und Philosophie“ (1996) auf Seite 12: „Der traurige Zustand der durchschnittlichen christlichen Verkündigung in unserer Zeit ist nicht zuletzt auf mangelnde Bemühung um die Aufgaben der systematischen Theologie zurückzuführen. Um sich auf diese Aufgaben sinnvoll einzulassen, bedarf es aber auch einer ausreichenden Kenntnis des philosophischen Problemhorizontes, in welchem systematisch-theologische Urteilsbildung sich vollziehen sollte. Erst durch die Verbindung exegetischer, philosophischer und dogmengeschichtlich-theologiegeschichtlicher Kenntnisse wird man in Fragen der christlichen Lehre argumentations- und urteilsfähig.“
Wie ist ein europäisches Christentum wieder möglich? Hier liegen die Ansatzpunkte.