Das Internet der Dinge und das Ding-an-sich

1) Wanderung mit Aristoteles, als Erzählung.

Wir streiften vor langer Zeit mit Aristoteles durch Wald und Feld und fragten ihn beim Wandern: „Das Sein, was ist das eigentlich?“. Wir hofften damals, der alte, weise Mann würde sicherlich in Verlegenheit geraten. Aber siehe da, er hielt beim Wandern inne, schnaufte tief, blickte uns skeptisch an und begann überraschender Weise mit Erklärungen, die jeder verstehen konnte. „Schau um dich“ sagte er, „und was siehst du?“. Und er fing an mit dem Wanderstab zeigend zu systematisieren. „Da liegen Steine, dort siehst du einen Busch und dort einen Baum, und dahinten hoppelt ein Hase. Und hier stehen wir beide, du, die anderen und ich. Gib mir ein Stück Papyrus, ich möchte etwas aufzeichnen“. Ich gab es ihm, und er fing an zu zeichnen. Ich schaute im ihm über die Schultern gespannt zu.

Was damals entstand, habe ich in Bild 1 unten festgehalten: „Das Sein auf einem Stück Papyrus“.

Bild 1: „Das Sein auf einem Stück Papyrus“
Bild 1: „Das Sein auf einem Stück Papyrus“

Er bemerkte noch: „Ich kann hier in Wald und Feld leider nicht drei-dimensional zeichnen. Aber das Wort „Sphäre“ (gr. σφαίρα) deutet darauf hin, dass ich konzentrische Kugeln meine: Stein-, Pflanzen-, Tier- und Menschen-Sphäre zusammen genommen: das ist das „Sein“. So einfach ist das.

Schauen wir genauer auf die Seinslehre des weisen Mannes, dann stellen wir fest, dass alles, was im Kasten von Bild 1 umrandet ist, zum Internet der Dinge gehört, insbesondere natürlich der Mensch, mit dem alles im Internet anfing und der alles schuf. Bestandteile des Internets der Dinge sind also: Mensch (Noo-Sphäre), Tier (Psycho-Sphäre), Pflanze (Bio-Sphäre) und Stein (Sphäre der Somata). Heute denkt man beim Erweitern des Internets über ein Einbeziehen der Sphäre der Somata (unbelebte Körper) nach: Autos, die sich selbst bewegen, Maschinenteile, die sich selbst montieren und dann auch später im Betrieb sich gegenseitig überwachen, usw. Das Projekt Industrie 4.0 ist darauf ausgerichtet, die Sphäre der Somata im Netz zu erfassen. Dass die Pflanzenwelt (Biosphäre) und die Tierwelt (Psychosphäre) auch bald zum Internet der Dinge gehören werden, kann angenommen werden. Warum eigentlich nicht? Von ganz oben, dem Menschen, geht man nach ganz unten, zu den leblosen Dingen (Somata) und steigt dann wieder, durch Pflanzen- und Tierwelt bereichert, in die Menschenwelt empor.

2) Gehört das „Ding-an-sich“ zum Internet der Dinge?

Was damals geschah, war außergewöhnlich. Ein so hoch-abstrakter Begriff wie „Das Sein“, einfach herunter gebrochen an einem Beispiel mit Gegenständen um uns herum, ist schon beachtenswert. Was Aristoteles da vortrug, kann man natürlich auch hochgebildet „Ontologie“ (Seinslehre) nennen, ein Ausdruck, der leider insbesondere bei Informatikern Gefallen gefunden hat.

Als wir uns verabschiedeten, bat Aristoteles noch, eine Ergänzung auf seinem Papyrus anzubringen. Die Ergänzung ist in Bild 2 zu sehen. Es ist der Kasten „das Ding-an-sich“. Er bat uns, sich damit zu beschäftigen und fügte noch weissagend hinzu: „Wenn ein gewisser Immanuel Kant in mehr als 2000 Jahren auf die philosophische Bühne tritt, dann wird ‚das Ding-an-sich‘ ein ganz großes Thema werden.“ Er verließ uns dann sehr schnell, so dass wir nicht nachfragen konnten, was das Ding-an-sich nun sei. Also sind wir mehr oder weniger auf uns selbst angewiesen, das herauszufinden.

Bild 2: „Das Sein und das Ding-an-sich“
Bild 2: „Das Sein und das Ding-an-sich“

Wir stellten später fest, dass es gar nicht so schwer ist, das Rätsel des „Ding-an-sich“ zu lösen, wenn man ein wenig Informatik studiert hat, obwohl der Begriff ganze philosophische Bibliotheken zu umfassen scheint, weil ein großer Teil der modernen Philosophie sich mit dem Begriff beschäftigt hat. Dass das Ding-an-sich außerhalb unserer sinnlich wahrnehmbaren Welt liegt, die ja schon bei uns im Kasten durch vier Sphären erfasst wurde, sagen alle. Auch dass das Ding-an-sich nur in Gedanken als „Kopfgeburt“ existiert, wird ebenfalls betont.

Weitergeholfen hat uns Jürgen Mittelstraß mit dem Eintrag „Ding-an-sich“ in seiner „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“. Er schreibt „Es ist mit Ding-an-sich die Welt gemeint, in der alle Unterscheidungen getroffen werden, ohne dass diese Welt jemals selbst ‚Objekt der Erfahrung‘ werden könnte.“ D.h.: Vom Begriff „Welt“ gibt es keine Instanziierungen, Ausprägungen sagt man auch. Bei abstrakten Begriffen wie „Welt“ spricht man stattdessen von „Repräsentanten“, die es nicht gibt. Konstruktiv ist das ein Unding und nicht zulässig. Jedes Abstraktum wie auch „Welt“, das in einer Behauptung auftritt, muss, wenn die Behauptung geprüft werden soll, durch einen Repräsentanten ersetzt werden. Man hört das Bauchgrimmen, das uns befällt. Wir sehen aber „Welt“ als Wurzelbegriff einer Begriffshierarchie, und wenn wir dann die Wurzel als eine Abstrakte Klasse im Sinne der objektorientierten Programmierung auffassen, dann wird alles wieder gut und das Bauchgrimmen verschwindet. Das unselige Wort „Klasse“ der Programmierung sollte mit „Begriff“ übersetzt werden. Von Abstrakten Klassen (Begriffen) gibt es keine Repräsentanten (Ausprägungen, Instanziierungen). Abstrakte Klassen dienen nur formal als Strukturelement, wodurch das „Reingedankliche“ des Ding-an-sich deutlich zum Ausdruck kommt.

Klassen werden im Allgemeinen grafisch in der Sprache UML (Unified Modeling Language) dargestellt. Bild 2 sieht in dieser Sprache wie folgt aus, Bild 3:

Bild 3: UML-Diagramm zu „Das Sein und das Ding-an-sich (Welt)“
Bild 3: UML-Diagramm zu „Das Sein und das Ding-an-sich (Welt)“

Der Pfeil mit der nicht-ausgefüllten Spitze stellt eine Generalisierung dar.

Was machen wir nur, wenn Mensch, Tier, Pflanze und Stein in einem immer höheren Grad vernetzt werden? Man sagt, da entsteht eine virtuelle Welt. Die besteht dann aus Netz-Mensch, Netz-Tier, Netz-Pflanze und Netz-Stein. Dann gibt es darüber auch verallgemeinert ein „Das Netz-Ding-an-sich“ oder einfacher ein „Internet der Dinge“, das keine Repräsentanten aufweist. „Virtuell“ heißt häufig abstrakt. Aber das ist den Informatikern nicht mehr beizubringen, wie in diesem Blog schon mehrfach ausgeführt wurde. Nur Abstraktion verlangt immer bei einer Überprüfung, dass auf Repräsentanten (Ausprägungen) zurückgegriffen werden kann. Abstraktion ist eben ein methodisches Wort und klassifiziert nicht nur wie virtuell. Wenn aber die beteiligten Individuen bei Mensch*, Tier*, Pflanze* und Stein* eine Internet-Adresse haben, was durch einen Stern (*) angedeutet wird, dann ist „Internet der Dinge“ wie „Welt“ ein Strukturelement ohne Repräsentanten. Erst durch Spezifikation, eine Stufe tiefer, können über die Internet-Adressen Repräsentanten gewonnen werden. Liegt ein Stern (*) vor, sind Repräsentanten in gewünschter Größenordnung nachlieferbar.

Bild 4: Das Internet der Dinge als Welt (Ding-an-sich)
Bild 4: Das Internet der Dinge als Welt (Ding-an-sich)

Von oben gesehen ist es einfach und kurz, würde Aristoteles sagen, der uns auch die Logik einfach und kurz beschert hat. In Bild 4 herrscht aber ein ungeheurer Änderungsdienst. Leben bei Mensch*, Tier* und Pflanze* entsteht und vergeht und landet dann somatologisch bei Stein* als Geschichte im Archiv.

Ein Kommentar zu „Das Internet der Dinge und das Ding-an-sich

  1. Zur Ergänzung:
    Aristoteles hat uns aber auch noch die Lehre von den Teilen, die zu einem Ganzen verbunden werden, beschert. Also z. B. die Verbindung von Steinen und Pflanzen und Tieren und Menschen zu einer „ganzen Welt“. Auch dafür hält die UML sprachkonstrukte parat, deren Gebrauch von Ingenieuren eigentlich (neben dem Berechnen) das Hauptgeschäft ist. Durch Generalisierung wird nur Unterscheidung zurückgenommen. Durch die Teil/Ganze Beziehung aber wird („was die Welt im innersten zusammenhält“) Konstruiert.

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