2790 Meter über N.N. auf einer Höhe, von welcher man in Deutschland schon den Gipfel der Zugspitze sehen kann, sitzen wir drei – Lukas, Moritz und Elena – im Seminarraum der FLACSO (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales) in Quito, Ecuador. Im Rahmen eines Austauschprogramms und Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) haben wir seit Oktober 2018 die Möglichkeit, hier ein Semester (bzw. laut ecuadorianischem Studienplan zwei Module) an der renommierten lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften in der höchstgelegenen Hauptstadt der Welt zu studieren.
Doch nicht nur die Höhenluft, auch die Anpassung an den neuen Studienalltag, brachte uns zunächst ziemlich aus der Puste. Da zahlreiche Studierende neben dem Studium arbeiten, finden die Kurse vor allem abends von 17 – 20 Uhr statt, zudem sind wir vier Stunden täglich Teil unterschiedlicher Forschungsgruppen. Die Themen in den sogenannten Laboratorios reichen dabei von sozioökologischen Konflikten durch die expansive Produktion von Blumen im Norden von Quito über nachhaltige Entwicklung und Interkulturalität zur Anfertigung einer Diskursanalyse hinsichtlich der aktuellen Auswirkungen des Neoextraktivismus unter der Revolution Ciudadana in Ecuador. Durch die Teilnahme an insgesamt jeweils 3 Seminaren à 6 Wochenstunden können wir umfassende Einblicke in ein durchaus breites Themenspektrum erhalten. Dieses reicht von den Grundlagen der Agrarökologie und sozioökonomischer Theoriebildung über internationale Zusammenarbeit, Kommunikation und menschenrechtlichen Fragestellungen bis hin zur Entwicklungstheorie sowie der Ökonomie natürlicher Rohstoffe.
Während unseres Studiums an der FLACSO haben wir also die Möglichkeit, uns mit Inhalten, Fragestellungen und wissenschaftlicher Literatur auseinanderzusetzen, die in unserem bisherigen Studium nur am Rande thematisiert worden waren. Die Unterrichts- und Arbeitssprache an der FLACSO ist natürlich Spanisch, das wir dank der internationalen Zusammenstellung der Kommilitoninnen, Kommilitonen und Dozierenden in seinen unterschiedlichsten Dialekten kennenlernen. Das stellt freilich jeden von uns vor Herausforderungen, die wir bisher aber alle gemeistert haben und an denen wir gewachsen sind. Außerdem sind wir sehr dankbar für die Rücksicht von Seiten der Professoren und Professorinnen sowie unserer Mitstudierenden, die uns in manchen Fällen die Ausarbeitung von Präsentationen und Seminararbeiten auch auf Englisch erlaubten. Vereinzelt fanden wir uns aber auch in unwirklichen deutschsprachigen Blasen wieder, beispielsweise während des Empfangs zum Staatsbesuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Quito. Dieser kam anlässlich des 250-jährigen Humboldt-Jubiläums nach Ecuador und hob in seiner Rede die Vielseitigkeit und Weltoffenheit des Forschers und Geographen hervor, was ein schönes Extra unter den Ereignissen während unseres Aufenthalts in Quito darstellte.
Beim Empfang des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Quito
Theoretische Kenntnisse aus den Seminarräumen ließen sich dann auf Exkursionen um Einblicke in die Praxis erweitern, was sich insbesondere für das Kennenlernen regionaler Strukturen sowie von Ecuador im Allgemeinen als besonders spannend erwies. So besuchten wir unter anderem Community Tourism Projekte im Nebelwald von Yungilla, verschiedene Fincas in den Talschaften um Quito, Bergbaugebiete rund um Cuenca sowie indigene Schulen und Tourismusprojekte im ecuadorianischen Hochland. Doch obwohl wir sehr beschäftigt sind, stellen diese Arbeiten für uns eine einzigartige Möglichkeit dar, sich intensiv sowohl mit theoretischen Perspektiven auf aktuelle und historisch bedingte Problemstellungen im lateinamerikanischen Kontext zu beschäftigen als auch einen Einblick in die konkrete Forschungsarbeit vor Ort zu bekommen.
Dabei haben uns das Engagement der Dozierenden ebenso wie lebhafte Diskussionen in den Seminaren mit Sicherheit den Einstieg in unseren neuen Studienalltag erleichtert. Zentrale Aspekte unseres Aufenthaltes hier als Austauschstudierende stellen sicherlich auch das aktive Kennenlernen von universitären Strukturen dar sowie das Hinterfragen von Hierarchien eurozentristischer Sichtweisen im globalen Kontext, insbesondere vor dem Themenkomplex Klimawandel, Menschenrechte und Ressourcenschutz. Außerdem konnten wir einen aktiven Beitrag für den Studierendenaustausch zwischen FAU und FLACSO leisten, indem wir den ecuadorianischen Studierenden das Programm sowie das Studium am Institut für Geographie vorstellten und ihnen bei ihren Fragen hinsichtlich eines Aufenthalts in Deutschland weiterhelfen konnten.
Im Vergleich zum Erlanger Semester zeichnen sich die quiteñischen módulos einerseits zwar durch weniger Wochen an Dauer aus, andererseits sind sie aber auch deutlich arbeitsintensiver. Dutzende Seiten an Literatur als Vorbereitung auf die täglichen abendlichen Seminare, vier Stunden laboratorio am Tag, die dreistündigen Sitzungen sowie diverse Zwischen- und Abschlussarbeiten in jedem Seminar fordern ein gutes Zeitmanagement und setzen eine gewisse Belastbarkeit voraus. Nichtsdestotrotz bleibt an den Wochenenden und vor allem während der Ferien ein wenig Zeit, um die ecuadorianische Hauptstadt und ihre vielfältige landschaftliche Umgebung zu erkunden und das Ambiente zu genießen.
Vor allem die Exkursionen zusammen mit den fachlich anspruchsvollen Seminaren werden der Grund sein, warum wir immer gerne an unsere Zeit in Ecuador zurückdenken werden. Durch die gewonnenen neuen Einblicke hat sich auch unsere Fähigkeit, kritisch zu denken, noch weiter geschärft. Wir sind uns sicher, dass wir uns alle hier persönlich sowie fachlich stark weiter entwickeln konnten.
Im Garten des Laboratorio de Interculturalidad (Urban Gardening-Projekt von Studierenden)
Auf Exkursion im Umland von Quito (Seminar Agrarökologie)
Aymara-Neujahrsfest “Las Alasitas” nach bolivianischer Tradition (Laboratorio de Interculturalidad
Lukas Göppner, Moritz Bergdolt, Maria Elena Freund