Es ist erstaunlich, welchen Bohei das Wort „ Alternative Fakten“ ausgelöst hat, seit Kellyanna Conway, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump, den Ausdruck nach der Amtseinführung im Jahre 2017 benutzte, um die Aussage zu rechtfertigen , „ bei Trumps Amtseinführung seien deutlich mehr Menschen anwesend gewesen als bei der seines Vorgängers Obama.“ Der Ausdruck „Alternative Fakten“ ist ein schwerer sprachlogischer Fehler und wurde von der Gesellschaft für die deutsche Sprache zum „Unwort des Jahres 2017“ gewählt. „Unwort“ im Sinne der Gesellschaft heißt „unerwünschtes Wort“.
Über „Alternative Fakten“ regt man sich also auf, über die Sprachvergewaltigungen im Rahmen der Genderisierung nicht. Beide logische Fehler haben einen gleichen Ursprung: Man kann nicht ordentlich sprachlogisch abstrahieren. Das hat man nicht gelernt. Fast unbemerkt hat es nunmehr den Duden erwischt, der auch „genderisiert“, kopflos, wie im Blog angedeutet. Jetzt erst kommen Proteste auf.
1. Fakten (Tatsachen)
Wer über Wirklichkeit redet, gebraucht Ausdrücke wie „Es ist ein Faktum (engl. fact), dass …“ oder „Es ist eine Tatsache, dass…“. Allgemein spricht man statt von Fakten oder Tatsachen von Sachverhalt (engl. matter of fact). Leider ist es nun so, dass „die Wirklichkeit nicht redet, sondern schweigt“. Die Wirklichkeit entscheidet deshalb auch nicht, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Sondern umgekehrt, erst muss entschieden werden, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, dann kann man sagen, ob ein Sachverhalt wirklich oder unwirklich ist. Die methodische Schrittfolge ist also, erst die Einführung von „wahr“ und dann von „wirklich“.
Wie kommt man nun von Aussagen, die sprachlich gefasst sind, zu Sachverhalten. Man macht das so: Man geht von einer wahren Aussage aus und variiert diese rein sprachlich in eine gleichbedeutende, synonyme andere Aussage. Z.B. geht man von einer Aktivform in eine gleichbedeutende Passivform über. Also: Klaus bittet seinen Onkel Hermann um Geld“ oder gleichbedeutend „Onkel Hermann wird von Klaus um Geld gebeten“. Nun kommt der entscheidende Schritt:
Zwei gleichbedeutende, wahre Aussagen stellen denselben Sachverhalt dar.
Die ist eine Abstraktion, um invariant, unverändert von sprachlichen Darstellungen arbeiten zu können.
Abb 1: wahr und wirklich
Der Doppelpfeil besagt „gleichbedeutend“.
Man sagt: Ein Sachverhalt besteht (oder ist wirklich), wenn die ihn darstellende Aussage wahr ist. Wahre Aussagen sind also Darstellungen oder Repräsentanten von Sachverhalten.
2. Abwechselndes Bestreiten (Alternate Denial)
Der Begriff „Abwechselndes Bestreiten“ kann ganz leicht eingeführt werden. Man betrachte nur mal eine Parlamentsdebatte in irgendeinem demokratischen Parlament mit Regierung und Opposition. Was die Regierung (R) sagt, wird von der Opposition (O) bestritten und umgekehrt, alternierend. Für diesen Zustand zwischen R und O hat der amerikanische Logiker Henry M. Sheffer (1882-1964) schon Anfang des 20. Jh. den sogn. Shefferschen Strich (Sheffer stroke) als Wand eingeführt. Man schreibt R|O und meint damit das abwechselnde Bestreiten (alternate denial) zwischen R und O, umgangssprachlich auch: nicht beide. Man kann das, was manche unter „Alternative Fakten“ verstehen, am besten klären, wenn man zunächst formal vorgeht. Für das „alternate denial“, den Shefferschen Strich, gilt in der formalen Logik der Junktoren die folgende Wahrheitstafel:
Abb 2: Wahrheitstafel für den Shefferschen Strich „alternate denial“ (|)
Der Fall 1. ist klar, den kann es nicht geben (f). „Nicht beide“ heißt die Losung. Den Fall 2. behauptet die Regierung (w) und wird von der Opposition (f) bestritten. Der Fall 3. ist das Umgekehrte. Die Regierung bestreitet (f), dass was die Opposition behauptet (w). Im Falle 4. sind beide noch Im Unklaren.
Wir diskutieren die inkriminierte Behauptung vom Kellyanna Conway:
„Bei Trumps Amtseinführung sind deutlich mehr Menschen anwesend gewesen als bei der seines Vorgängers Obama.“
Die Rolle der Regierung (Reg) übernimmt die Öffentlichkeit die im Fernsehen die Zuschauermassen bei beiden Amtseinführungen zu sehen bekam. Die Öffentlichkeit plädiert für Fall 2. und R|O ist somit wahr. Die Rolle der Opposition übernimmt die Trump Administration. Was die Reg-Leute sagen ist falsch und was Kellyanna Conway sagt, ist richtig und entspricht der Wahrheit, Fall 3.
Wir haben also zwei Wahrheiten von R|O nach Fall 2. und nach Fall 3. und somit auch zwei Alternative Fakten, wenn wir abstrahieren. So gesehen ist “Alternative Fakten“ also kein Unwort, sondern eine Belehrung, sagt die Trump- Administration.
Nun ist es so, dass man sich im täglichen Leben für materielle Wahrheiten interessiert. Materielle Wahrheiten gelten, sind valide, und man braucht eine Geltungssicherung. Man muss zeigen, dass das so ist, was behaupte wird. Die Geltung einer Aussage ist dasselbe wie ihre materielle Wahrheit.
Beide, R und O müssten zur Geltungssicherung ihre materiellen Wahrheiten antreten. Wenn keine Zählung der Zuschauer bei beiden Amtseinführungen stattgefunden hat, dann verbleibt nur die Auswertung der Luftaufnahmen, also Scannen und Personenzahlbestimmung. Das ist dann die Grundlage einer materiellen Wahrheit und darf in einer Abstraktion hin zu einem Faktum benutzt werden. Und siehe da: Es gibt auch bei Frau Conway nur ein Faktum und keine alternativen Fakten.
Wir breiten das hier so aus, weil einfaches Bestreiten, ohne nach Geltung zu fragen, ein typisches Merkmal für autoritäre Systeme in der Welt ist. Materielle Wahrheiten interessieren nicht, es sei denn, sie dienen dem eigenen Vorteil. Wir brauchen nur nach Osten zu schauen. Das Erstaunliche und neu ist, dass nun auch die Vereinigten Staaten im Westen zu diesem System gehören sollen.
Aber nicht nur autoritäre Systeme verfahren so. Man lese mal nach, was bei uns unter dem Begriff „Framing“ passiert. Man wird in einen Rahmen gepresst wie unsere Kellyanny Conway und produziert dann laufend „Alternative Fakten“. Bedenklich, äußerst bedenklich.
Sehr, sehr interessant , aus meiner Sicht, ein sehr tiefer und origineller Versuch, die allgemeinen gesellschaftlichen Probleme im Rahmen der mathematischen Logik zu betrachten.
Wer zu sehr an der empirischen Wahrheit hängt, läuft aber auch Gefahr, in der analogen Welt – wie beispielsweise Thomas Morus vor 500 Jahren in England oder heute Navalny in Russland – hingerichtet zu werden.
Von einem logischen Standpunkt aus gesehen, stützt die digitale Welt (logische Wahrheit), die analoge Welt (empirische Wahrheit).
Der analogen Welt droht von der digitalen Welt keine Gefahr. Wie bei jedem Werkzeug, geht auch hier die Gefahr von den „real“ (oft falsch) handelnden Menschen aus.
Schade, dass die sozialen (digitalen) Plattformen wie Facebook & Co. dies (das Logik-basierte Stützen) durch entsprechende Modellierung & Implementierung ihrer Systeme noch nicht zufriedenstellend erkannt haben.