1) Eine wichtige Gleichung bei Tarifverhandlungen.
Arbeitsproduktivität, definiert durch den Quotient „Arbeitsergebnis dividiert durch Arbeitseinsatz (Output/Input)“ ist nicht nur volkswirtschaftlich eine bedeutungsvolle Messgröße und Gegenstand volkswirtschaftlicher Untersuchungen, insbesondere im Zuge der Digitalisierung unserer gesamten Wirtschaft. Hervorzuheben ist in jüngster Zeit eine Untersuchung der DZ – Bank mit Bezug auf die zu erwartenden Digital-Umstellung auf Industrie 4.0. Die Studie gehört als empfehlenswerte Literatur zu unserem Thema. Ihre Kernaussage lautet: „Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Industrie 4.0 um 12 % bis 2025, also in 7 Jahren.“ Das ist wenig und sehr vorsichtig geschätzt in Bezug auf die gesamte Volkswirtschaft und liegt im Rahmen der üblichen Produktivitätserhöhung. Die Studie zeigt aber, dass „Industrie 4.0“ mit seiner Vernetzung bis in die Dingwelt (Internet of Things, IoT) hinein in Gang kommt. Wenn die anderen Produktivitätserhöhungen außerhalb „Industrie 4.0“ auch in dieser Größenordnung liegen, sind die Gesamt-Aussichten für eine schon hochproduktive Volkswirtschaft sehr befriedigend.
Ebenso bedeutungsvoll wie für gesamtwirtschaftliche Betrachtungen ist die Feststellung der Arbeitsproduktivität bei Lohnverhandlungen. Denn das Thema ist eine unmittelbare Angelegenheit der Gewerkschaften. Beide Tarifpartner sehen bei Lohnverhandlungen auf die Lohnstückkosten. Sind die zu hoch, geht man gegenüber dem Ausland in die Knie. Sind die zu niedrig, werden die Tarifarbeiter benachteiligt. Bei Tarifverhandlungen liegt deshalb die Definition der Lohnstückkosten auf dem Tisch:
„Lohnstückkosten (€/Stück) = def
Lohnniveau (€/ Zeit) / Arbeitsproduktivität (Stück/Zeit)“.
Die „Zeit“ kürzt sich heraus.
Der wichtige Kehrwert (Zeit/Stück), also „1 / Arbeitsproduktivität (Stück/Zeit)“, wird Arbeitskoeffizient genannt.
Das Wunderbare an der obigen Definition der Lohnstückkosten ist die folgende Feststellung: Bei einer hohen Arbeitsproduktivität und gleichbleibenden Lohnstückkosten können wir uns hohe Löhne leisten. Das erfreut hoffentlich alle. Die Kehrseite der Medaille einer hohen Arbeitsproduktivität ist natürlich die Gefahr einer Freisetzung, was im Englischen häufig mit dem unschönen Ausdruck „lay off“ belegt wird. Wir haben uns dem Thema schon, mittlerweile in flehentlicher Absicht, unseren Entscheidern zugewandt, eine vor Freisetzung schützende Bildung und Ausbildung in Gang zu setzen. Heute ist der Fachkräftemangel exorbitant. Bildung und Ausbildung sind zum Teil trostlos. Wie kommt das?
2) Einfluss des Arbeitsablaufs auf die Arbeitsproduktivität.
Ein Arbeitsablauf hat in unserer Kulturgeschichte schon immer interessiert, weil wir wissen, dass unser Wohlstand davon abhängt. Klassisch wird an dieser Stelle Adam Smith (1723-1790, ein Zeitgenosse Kants) zitiert mit seinem weltberühmten Buch „Über den Wohlstand der Nationen“ (On the wealth of the nations). An seinem Stecknadelbespiel konnte er zeigen, wie sich durch Verbesserung des Arbeitsablaufs die Arbeitsproduktivität vervielfacht. Arbeitsteilung (division of labor) war das Thema des großen Mannes, den selbst Karl Marx (1818 -1883) als Klassiker der Ökonomie bewunderte. Eigentlich erstaunlich, weil erst sein weltanschaulicher Gegenspieler, nämlich der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856-1915) sich mit seinem Scientific Management (wissenschaftliche Betriebsführung) wieder mit dem Thema „Arbeitsablauf“ sorgfältig befasst hat. Marx wollte Klassenkampf, Taylor Wohlstand für alle. Für konstruktiv denkende Ingenieure ist die im Umfang gewaltige Lektüre von Karl Marx entbehrlich. Taylor führte ein Trennungsprinzip von ausführender und planender Arbeit ein. Auf dieses Trennungsprinzip im Allgemeinen in unserer digitalen Zeit kommen wir gleich zu sprechen, wenn wir den schon im Blog dargestellten „Process Driven Approach (PDA)“ behandeln. Wir sind natürlich „Tayloristen“. Das ist eine Beschimpfungsvokabel von ideologischen Marxisten, die uns aber wenig stört, bis auf eine verbissene Engstirnigkeit, die sich dahinter verbirgt, die stört.
Mit der Arbeitsproduktivität, die uns interessiert, sind beachtliche Strukturfragen verbunden. Das haben wir mit unseren großen Vorgängern Smith und Taylor gemeinsam. Es ist völlig klar, dass wir erst die Strukturfragen klären müssen, bevor wir Arbeitsproduktivität messen können. Arbeitsproduktivität ist eine empirische Größe, die empirisch festgestellt werden muss. Unsere volkswirtschaftlichen Kollegen haben es offensichtlich einfacher. Aber „labor productivity in the Large versus labor productivity in the Small“ könnte im Digitalen ein eigenständiges Thema werden. Bevor wir später einmal zu Zahlen kommen, haben wir erst gewaltige Aufgaben des schematisierten „Workflow Management“ im Planerischen zu bewältigen, wie es im Blog schon angerissen wurden. Für uns gilt auch eine Version des Taylorschen Trennungsprinzips. Digitalisiert haben wir ganz andere Arbeitsabläufe als vor einer Digitalisierung. Das dürfte wohl schon jeder bemerkt haben, der in einem Arbeitsablauf vor einem Bildschirm gesessen hat.
Wir entnehmen ein Bild aus unserem Blog:
Bild 1: Entwurf eines exemplarischen Arbeitsablaufs für einen Auftrag (order)
Wir brauchen uns nur die gelb unterlegten Teilprozesse anzuschauen. Die Verknüpfungen sind in BPMN-Schreibweise schon intuitiv zu verstehen. (BPMN= Business Process Model and Notation). Es muss vermerkt werden, dass eine BPMN-Darstellung für alle Arbeitsabläufe geeignet ist. Geschäftsabläufe (Business Processes) sind nur ein erstes Anwendungsgebiet.
Der Entwerfer hat zwei Schichten vorgesehen. Eine obere Schicht mit Namen „Order Process“ und eine untere Schicht mit der aufwendigen Bezeichnung „Service Contract Implementation Layer“. Man merkt sofort eine sorgfältige Absicht des Entwerfers: In der oberen Schicht wird die Anwendung, um die es letztendlich geht, schematisch dargestellt. Die untere, technische Schicht kann man auch die IT-Schicht nennen; da steckt das Kapital drin, in alter Lesart, auf dem in der Anwendung gearbeitet wird. Die Anwendung arbeitet konzeptionell invariant (unveränderlich) bezüglich einer unterliegenden „Maschinerie“, die sich ändern mag und die wir IT (Informationstechnologie) nennen. Das invariante Denken nennt man Abstraktion, die schon häufig im Blog behandelt wurde. Arbeitsproduktivität ist eine Anwendungsproduktivität der oberen Schicht. IT-Produktivität interessiert uns hier nicht. Man kann sie auch altväterlich Kapitalproduktivität nennen.
Wir können jetzt im Bild zur Auswertung schreiten. Wir machen das hier durch ein einfaches Zählen. Wir zählen die bearbeiteten Aufträge und dividieren die Zahl durch die geleisteten Arbeitsstunden. Dann vergleichen wir diese Arbeitsproduktivität mit der Zahl davor. Wir werden einen Anstieg zu verzeichnen haben, allein schon weil das ganze Berichtswesen (reporting system) nunmehr durchweg automatisch erfolgt. Oh wie einfach! Aber das geht in einem Blogbeitrag nur einfach und kurz. Es handelt sich hier nicht um eine Expertise.
Auch bei einem exzellenten Entwurf, aber bei miserablen Schnittstellen, keine „user friendly interfaces“, bei miserablen Handbüchern und schlechten Schulungen geht die wunderbare Arbeitsproduktiv der oberen Schicht den Bach runter. Das ist im Praktischen bekannt: Mit Digitalisierung kann die Arbeitsproduktivität auch abnehmen. Schau‘n war mal, woran das liegt.
Digital gestützte Arbeitsabläufe dürfen nicht verwechselt werden mit vielen isolierten, App- basierten Digitalisierungen, die meist in konsumtiven Bereichen anzutreffen sind. Bei Bedarf kann aber diese Art von Anwendungen eingebaut werden, wenn der Ablaufrahmen steht. Interessant für das Publikum sind natürlich auch Robotereinsätze (Zusammenspiel von Aktoren und Sensoren), weniger im Bürobereich als in der Fertigung. Das sollte aber auch in einem BPMN-Rahmen entworfen werden. Heute sagt man, es käme Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Das ist sehr oberflächlich gesehen. In Wirklichkeit sind es die enormen Leistungen der Mustererkennung (pattern recognition) und heute die schnellen Rechner. Auf Messen wird uns gerne das automatische Einfüllen einer Kaffeetasse aus einer Kaffeekanne vorgeführt. Der Betrachter mag an sich selbst beurteilen, wie hoch dabei der Anteil der Bildmuster-Erkennung (Wahrnehmungsleistung) ist im Verhältnis zur „if… then“- Logik der Einfüllung. Die „if …then“- Logik, das wurde dann „Künstliche Intelligenz“ genannt. Als ich jung war, sagten wir noch genauer „mechanical reasoning“ (mechanisches Schließen) statt „ Artificial Intelligence“. Das Wort „ Künstliche Intelligenz“ gab es noch gar nicht. Es wurde kräftig in PROLOG programmiert.
Muster (pattern), aus denen fast unser ganzes wahrnehmbares Leben besteht (was ist kein Muster?) sind Schemata. Deshalb ist das Thema „Schema und Ausprägungen“ als Grundbildung in den Schulen schon so wichtig.
Wenn Arbeitsproduktivität vor allem aufgrund des Einsatzes von mehr Kapital (Maschinen, Software) steigt, wie rechtfertigen dann Gewerkschaften ihre Forderungen? Oder anders herum, wie käme der Beitrag der Arbeiter zustande ohne mehr Kapital?
Zu bedenken: Software-Ingenineure, Business Analysts, Organisatoren, etc, sind im Allgemeinen nicht tarifgebunden, werden aslo nicht nach Tarif bezahlt.
Ihr
H.Wedekind