1) Einleitung
Wenn man heute versucht, gemäß einem Hegel-Wort, „die Zeit in Gedanken zu fassen“, dann darf man eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Digitalisierung“ nicht scheuen. Digitalisierung von Wissenschaft und Gesellschaft gilt in unserer Zeit weltweit als ein fundamentaler Umbruch unserer Lebenswelt. Das liegt an dem noch nie dagewesenen exponentiellen Leistungswachstum elektronischer Bauteile, was im Mooreschen Gesetz von 1965 formuliert wurde: Immer kleinere Bauteile, immer schnellere Übertragungen, immer größere Speicherkapazitäten in Rechnern und in Rechnernetzen. Unser Übergang von Analogem zu Digitalem, von kontinuierlichen Signalen zu diskreten Bitfolgen, ist aber kein Paradigmenwechsel, der wie schon im Blog geschildert abrupt geschieht und mit berühmten Namen wie z.B. Kopernikus, Gutenberg oder Einstein in Verbindung gebracht wird. Die Digitalisierung mit Moorescher Geschwindigkeit ist eine Industrieleistung ersten Ranges und keine Individualleistung. Die Geschwindigkeit kann in Zukunft nicht beibehalten werden, was die Schnelligkeit im Wandel unserer Lebenswelt aber kaum beeinflussen wird. Ohne Digitalisierung geht heute fast überhaupt nichts mehr. Man denke z.B. nur an einen zeitgerechten Änderungsdienst (file maintenance) einer Einwohnermelde-Datei in einer Gemeinde im Laufe eines Jahres; das ist „von Hand“ mit Karteien wie früher nicht mehr zu bewältigen. Das Leben ist so quirlig, so schnell bewegt, dass „Undigitalisiertes“ in Organisationen nur noch an Rändern vorstellbar ist.
Wir wollen den Begriff „Digitalisierung“ fassen, indem wir seine notwendigen und hinreichenden Bedingungen aufführen, die an ihn geknüpft werden können. Wir verfahren also ähnlich wie in unserem Blogbeitrag „rationale Theologie“.
„Wenn es regnet, dann ist eine Straße nass“. Das ist ein bekanntes Lehrbeispiel für eine nur hinreichende Bedingung; denn eine Straße kann ja auch ohne Regen mit dem Feuerwehrschlauch nass gemacht worden sein. Wäre die Bedingung notwendig, dann gäbe es nur eine Möglichkeit, die Straße nass zu bekommen, eben den Regen. Gelehrte Juristen, die noch Latein können, sprechen bei einer notwendigen Bedingung von einer „conditio sine qua non“. Logiker sagen: „ Wenn A, dann auch B1 und B2 und … und Bn“, und schreiben: „A → B1 ∧B2 ∧…. ∧ Bn“.
Eine hinreichende Bedingung heißt im Juristischen Latein „ conditio per quam“. Logiker sagen „Wenn B1 oder B2 oder… oder Bn , dann auch A“, und schreiben: „B1 ∨ B2 ∨…∨ Bn →A“. Notwendige Bedingungen werden im Sprachgebrauch als höherwertiger angesehen. Man sagt: „X ist sogar eine notwendige Bedingung“; abgesetzt davon heißt es „ X ist nur eine hinreichende Bedingung“. Ist das der Hochmut der „Notwendigen“, der dahinter steckt? In der Informatik merkt man den Hochmut schon, wenn über Anwendungen gesprochen wird. Das haben die Informatiker von den Mathematikern gelernt, in deren Bann sie immer noch stehen.
Digitalisierung, so sagt man, ist eine „Enabling Technology“. „to enable“ heißt auf Deutsch „befähigen“. „Enabling Technology“ ist kein schlichtes Prädikat in einer schlichten Aussage. Nein, das ist eine Aufforderung, nämlich seine Leute in einer neuen Welt auch zu befähigen. Und jetzt sind wir schon in unserer Einleitung beim Thema „Informatik als Grundbildung“ (pdf, siehe unten) als Befähigungslehre, und somit mitten drin in einer unverstandenen Problematik, die aber hier mittlerweile nach 14 Jahren nicht mehr zur Debatte steht.
2) Digitalisierung und ihre Bedingungen
Alles, was zur Infrastruktur einer Digitalisierung gehört, ist den notwendigen Bedingungen zu zuordnen. Ohne Infrastruktur geht nichts, oder es kollabiert sehr bald. Zur Infrastruktur gehören: ausgebautes Netz, netzfähig Rechner in Hard-und Software, Konversion analog-digital, und heute schon Kompression à la mp3, Sicherheit (Angriffssicherheit (security) und Betriebssicherheit (safety) ), Datenschutz (Schutz personenbezogener Daten (privacy) ). Die Aufzählung ist nicht vollständig.
Wir schreiben als notwendige Bedingung: Digitalisierung→Infrastruktur.
Oder detaillierter:
Digitalisierung → ausgebautes Netz ∧ netzfähige Rechner ∧ Konversion ∧ Kompression ∧ Sicherheit ∧ Datenschutz ∧ ..
Zu den hinreichenden Bedingungen gehören die Anwendungsbereiche.Wir schreiben: Anwendungsbereiche → Digitalisierung.
Oder detaillierter:
Bildung-Hochschulen ∨ Bibliothek ∨ Banken-Versicherungen ∨ Verwaltung ∨ Prozessautomatisierung.. → Digitalisierung.
Das Hauptproblem ist, Methoden zu finden, um den Übergang zur Digitalisierung zu bewerkstelligen. Das sind Wege, um von den Anwendungen zur Digitalisierung zu gelangen. Methoden, das können sein: Einfache Substitutionen oder schwierige Redefinitionen oder Rekonstruktionen mit neuen Schemata für Daten und Verfahren (Algorithmen).
Wir betrachten nun das bekannte Problem „ social implications“ (soziale Auswirkungen). Eine soziale Implikation ist ja auch eine Bedingung logisch vom Typ A → B. Ist eine „social implication“ eine notwendige oder eine hinreichende Bedingung. In concreto, unverbrämt durch schöne Worte, meinen wir aber durch Digitalisierung erzeugte Arbeitslosigkeit. Das ist das zentrale Wort.
Gilt notwendig: Digitalisierung → Arbeitslosigkeit als eine „social implication“? Oder anders: Führt Digitalisierung in die Arbeitslosigkeit?
Oder gilt hinreichend: Arbeitslosigkeit → Digitalisierung? Oder: Wenn Du arbeitslos bist, dann ist das auf die Digitalisierung zurückzuführen. Oder liegt sogar eine notwendige und hinreichende Bedingung vor. Also: Digitalisierung ↔ Arbeitslosigkeit?
Wir erinnern uns: Digitalisierung ist eine „enabling technology“, eine befähigende Technologie; eine Technologie, die mich befähigt. Die Befähigung kommt nicht von alleine, sondern wird durch Schulung und Umschulung erworben. Das ist nicht umsonst, sondern kostet persönliche Anstrengungen. In den obigen Implikationen müssen wir also Arbeitslosigkeit durch Schulung ersetzten. Denn Nicht-Schulung führt in die Arbeitslosigkeit. Die Schulung sollte schon früh in den Schulen beginnen, weil es sich um eine Grundbildung handelt: „Informatik als Grundbildung“ (pdf).
Es tut mir leid, dies sagen zu müssen. Digitalisierung und Informatik werden sich verbreiten, auch wenn ihre Nutzer ungebildet bleiben. Eine ‚enabling technology ‚ passt sich ihren Nutzern an.