Digitalisierung und Bildung

1) Das große Durcheinander

Ich versetze mich in meine Jugendzeit und stelle mir vor, die IT-Welt würde über mich einbrechen und ich stünde in einer modernen Schlagwörter-Wolke. Wie würde ich reagieren? Ich bin mir ziemlich sicher: verwirrt. Dem durchschnittlichen Erwachsenen von heute geht es  sicher genauso. Sind alle digital ungebildet? Das bestreite ich.

Bild 1:  Eine moderne Schlagwörter-Wolke

Das Durcheinander geht ja noch weiter, wenn noch mehr Schlagwörter hinzukommen, als da sind: Interpreter, abstrakte Datentypen, Algorithmen, Protokolle, Netz-Partition, Cloud,  Compiler, BigData, Smart Grid, Künstliche Intelligenz, OO-Programmierung, BPMN, Workflow,  Abstraktions-Schichten, Meta-Sprache, Interrupt Handling, usw., usw.

Die FAZ vom 13.2.18 schreibt im kleinen Leitartikel von Rainer Müller: „Die Digitalisierung  schmückt Ministerien, Institute und Kommissionen. Doch zugleich ist der Begriff  zu einem Blähwort geworden, zu einer Floskel wie der, jeder müsse sich dem unausweichlichen digitalen Wandel stellen. Doch handelt es sich dabei, ähnlich wie bei der Globalisierung, nicht um ein Naturgesetz – sondern um einen  Prozess, den man steuern kann und muss“.

Und mit dem Steuern sollte man früh im Leben anfangen, ganz harmlos und leicht bis einem dann später alles selbstverständlich wird.

Der von der Gesellschaft für Informatik (GI) schon 2008  dargestellte Weg  in den Bildungsstandards ist viel zu kompliziert und an viel zu viele Voraussetzungen geknüpft, so dass ein  Erfolg fraglich ist. Warum nicht im Sinne der „Logischen Propädeutik“ von Kamlah/ Lorenzen  einfach und möglichst voraussetzungslos anfangen. Schwierigkeiten wird es später noch genug geben. „Wessen Lebenswelt so sehr wissenschaftlich kolonialisiert ist, dass er sich nicht traut, einfache Sachverhalte einfach auszudrücken und zu sagen, wie ihm zumute ist, der ist nicht gebildet“ schreibt Spaemann in seinem unten zitierten Artikel.

2) Der Spaemannsche Bildungsbegriff

Robert Spaemann (*1927) ist ein sehr bekannter Münchener Philosoph, der uns auf einfachste Art und Weise darstellt, was Bildung ist und wie sie zustande kommt. Seine launige Schrift von 2006 mit dem Titel „ Wer ist ein gebildeter Mensch?“, verfasst anlässlich einer Promotionsfeier, ist es wert, mehrmals gelesen zu werden. Schon sein Introitus ist ein „Hammer“. Er macht nicht nur „Bumbum“, er trifft hoffentlich auch.

„Gebildete Menschen sind nicht nützlicher als ungebildete und ihre Karrierechancen sind nicht besser. Die öffentlichen Schulen sind nicht daran interessiert, gebildete Mensche hervorzubringen. Für gebildete Menschen ist das kein Einwand. Warum nicht? Was ist ein gebildeter Mensch?“.

Und dann beschreibt uns Spaemann auf einer Schreibmaschinenseite in einem 10-Punkte- Programm, was ein gebildeter Mensch ist. Wir picken nur den für uns hier wichtigen Punkt 3) heraus:

„3. Das Wissen des gebildeten Menschen ist strukturiert. Was er weiß, hängt miteinander zusammen. Und wo es nicht zusammenhängt, da versucht er, einen Zusammenhang herzustellen, oder wenigstens zu verstehen, warum dies schwer gelingt. Er lebt nicht so in verschiedenen Welten, dass er bewusstlos von der einen in die andere hinübergleitet. Er kann verschiedene Rollen spielen, aber es ist immer er, der sie spielt.“

Uns kommt es auf die Strukturierung des Wissens an.

3) Wie bekommt man eine Struktur in das Durcheinander „Digitalisierung“?

Andere Fächer lehren uns, dass nur mit einer ausgereiften Strukturierung die Lehrbarkeit und Bildungsfähigkeit eines Faches gegeben ist. Strukturlosigkeit bedeutet Chaos. In das Chaos unserer chemischen  Stoffe kam erst eine Struktur, als das periodische System der Elemente durch Mendelejew  (1834-1907) eingeführt wurde. Man braucht Ordnungsgedanken, um eine Struktur in ein Durcheinander zu bringen. Auch im Schulunterricht erleben wir das Phänomen eines Ordnungsgedankens, wenn z. B. „Kreis“, „Ellipse“ und „Parabel“ auf den Ordnungsgedanken „Kegelschnitte“ zurückgeführt werden. Man muss halt reflektieren, ein prüfendes, vergleichendes Nachdenken, um zu einer Ordnung zu gelangen. Das Phänomen „Refexion“ gibt es sogar in der  Programmierung, wenn Eigenschaften eines Programms, das ist ein Ablauf-Schema, während der Laufzeit, das ist die Bildung einer Ausprägung dieses Schemas, ermittelt werden. Eine Art von Ablaufschemata mit besonderen Eigenschaften sind die viel zitierten Algorithmen.

Mit dem Begriffspaar „ Schema (Typ) und Ausprägung (Instanz)“ werden wir auf einen ersten wichtigen Ordnungsgedanken der Digitalisierung hingewiesen.  Das wird ausführlicher in der Aufsatzreihe „ Informatik als Grundbildung“ (pdf) dargestellt. Ohne eine Schematisierung ist eine Digitalisierung nicht durchführbar. Sie ist überall zu finden und bringt Struktur und Verständnis in unser Durcheinander.

Ganz wichtig ist im Digitalen ist, dass wir Gegenstände mit einem Eigenamen benennen können, um dem Gegenstand eine Eigenschaft zuzuschreiben, oder um zu erfahren, welche Eigenschaften der Gegenstand hat. Man spricht auch vom Adressieren. Name des Gegenstandes und seine Eigenschaften spielen mit Blick auf die Naturwissenschaften eine große Rolle im Logischen Atomismus.  Auch das ist unter dem Thema „Elementarsätze“ in der Artikelserie ausführlich beschrieben. Mit der Unterscheidung von Name und Eigenschaft (name/value) gewinnen wir eine Strukturierungsmöglichkeit von Daten z.B. in einer Datenbank.

Dann die wichtige Abstraktion, die wir schon im letzten Blogbeitrag als wesentlich herausgestellt haben. Es geht immer darum, zur Überwindung einer unübersehbaren Komplexität das herauszuheben, was unverändert (invariant) bleibt. Wir abstrahieren unaufhörlich, auch unbemerkt und unbewusst, so  wie wir atmen. Bloß: das Abstrahieren  muss man lernen, das Atmen nicht. Ohne eine systematische Abstraktion ist ein Internet nicht möglich und die ganze  WWW-Schlagwörter-Wolke in Bild 1 klappt zusammen oder verdunstet ins Unsichtbare.

Wer die Literatur der Digitalisierung und der Informatik durchforstet, wird feststellen, dass das Wort „Meta-“ als Präfix sehr, sehr häufig vorkommt. Man wird sich dann bewusst, dass Informatik zu einem erheblichen Teil eine Sprachwissenschaft ist. Denn in Meta-Sprachen, z.B. in unserer Grammatik des Deutschen, wird in erläuternder Absicht, nicht im Gebrauch, über (gr. meta) Sprache   geredet. Das ist fundamental und auch in der Artikelserie beschrieben, dass man die WWW- Schlagwörterwolke unbedingt um das Wort „Grammatik“ erweitern sollte.

Dass die WWW- Wolke durch Logik und ihre Geltungssicherungs-Absicht  zusammen gehalten wird, verrät uns schon die Digitalbasis  „00101…“.  ‚0‘ und ‚1‘ nennt man in der Logik seit alters her die Wahrheitswerte. Ohne Logik fällt der ganze Digitalladen zusammen wie ein Kartenhaus.

 

 

Ein Kommentar zu „Digitalisierung und Bildung

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