Disruptive Technologie aus logischer Sicht

Disruptive Technologie ist ein Modewort aus dem Silicon Valley. Disruption heißt auf Deutsch: Abriss, Unterbrechung, Zerstörung, u. a. m. Zum Beleg eines technologischen Abrisses gegenüber dem, was vor dem Erscheinen einer Disruption war, werden z.B. herangezogen: Digitalkamera, Flash-Speicher, MP3-Player, also lauter umwälzende Technologien, die den Markt in kurzer Zeit umgepflügt haben. Im Buch von Christoph Keese „Silicon Valley“ (2014) wird der Begriff „Disruption“ ausgiebig behandelt. Eine Disruption zieht wie apokalyptische Reiter durchs Land, mehr befürchtet als begehrt. Der Ökonom Schumpeter sprach noch 1942 von einer „schöpferischen Zerstörung“. Umgangssprachlich wird auch gerne der sanftere Begriff von Thomas Kuhn „Paradigmawechsel“ herangezogen. Begehrt werden solche Unstetigkeiten nur von denen, die eine Disruption finden oder besser erfinden und dann auch vermarkten können; gefürchtet aber von jenen, deren ökonomische Basis verschwindet oder zu verschwinden droht.

Wie kann man eine solche Disruption mit logischen Mitteln beschreiben, damit präziser herausgestellt werden kann, was gemeint ist? Wir ziehen dazu den Begriff „logische Unabhängigkeit“ heran und interpretieren diesen Begriff als Abriss auf einen andere Art und Weise. Wir bezeichnen das disruptive Neue mit P und das bekannte Wissen mit A. P ist dann disruptiv neu, wenn es weder aus bekanntem Wissen A gefolgert werden kann, noch wir imstande sind zu zeigen, dass das P überhaupt nicht gehen kann. Sogar eine Nichtexistenz von P können wir nicht erkennen. Niemand kann dann sagen: „P geht gar nicht, weil….“ Wir sind mit unserem A völlig „blind“ in Bezug auf P.

Das „weder – noch“ ist in logischer Sprache die bekannte NOR-Operation, bzw. ¬(a ∨ b) oder ¬a ∧ ¬b, die man auf das nicht mögliche Herstellen von P aus A und (∧) auf das nicht mögliche Aufzeigen eines nicht P (symbolisch ¬P) aus A zu definieren hat.

Disruptiv P in Anbetracht von A lautet: Disruptiv (P, A) =def ¬ (A く P) ∧ ¬ ( A く ¬P).

‘く’ ist das Folgerungszeichen, das besagt: Wenn die Hypothese A zutrifft, dann ist auch die These P bzw. im rechten Teil der Konjunktion (∧) auch die These ¬P verbürgt. Disruptiv (P, A), so hingeschrieben, ist eine zweistellige Relation zwischen dem Unerwarteten P und dem Bekannten A.

Nun heißt es bekanntlich: Wer A sagt, muss auch B sagen. Oder auf Englisch: „You must finish what you start.” Oder anders ausgedrückt: Wie kommt es zu einem P aus einem nun unbekannten B? Ist P ein „deus ex machina“, wobei P der Gott und B die Maschine ist? Oder ist P eine Idee aus einem Nichts. Das Nichts wird B genannt, aus dem P dann folgt? So tut man häufig, wenn man statt B „Genie“ meint und Nobelpreise vergibt.

Oder anders formuliert: Gibt es ein B und ein Nicht-Disruptives (P, B), ein P also, das aus einem B systematisch entwickelt werden kann?

Jeder merkt sofort, dass das eine Frage an eine systematische Forschungsstrategie und -politik ist. Denn B, falls es so etwas als nicht-leere Menge oder als Zauberei aus dem Hut überhaupt gibt, ist ein Konstruktionsvorgang, bei dem man wissen muss, was man will, also z.B. ein P in die Welt setzen. Konstruktionen (Naturwissenschaftler sagen Synthese) und Ziele ersetzen dann eine Disruption. Statt „Konstruktion“ wäre der Ausdruck „Rekonstruktion“ besser, denn es war ja schon jemand da, der P erzeugt hat. Wie findet man einen Übergang von P nach B. Dass der Übergang nicht risikolos sein kann, ergibt sich schon daraus, dass es kein logischer Schluss ist. Seit C.S. Peirce (1839-1914) nennt man einen solchen Übergang von P nach B Abduktion und grenzt ihn von einer Deduktion als einem logischen Schluss ab. Man schwimmt bei einer Abduktion so zu sagen gegen einen Folgerungs-Strom; und das tut man häufig im Leben, so dass man zuweilen hören kann, eine Abduktion sei wichtiger als eine Deduktion. Nur das Ergebnis P steht fest und man will mit B wissen, wie es dazu kam. Wir sind als „Abdukteure“ auch deshalb Rekonstrukteure, weil wir neugierig sind. Wir ermitteln wie im Kriminalfall.

In Erlangen brauchen wir gar nicht weit zu gehen, um die Rekonstruktion oder Abduktion eines B aus einem P in Angriff nehmen zu können. Wurden doch als ein P die Grundlagen gelegt für eine neue Audiokompressionstechnik, die den disruptiven MP3-Player ausmacht. Das geschah von der Forschungsgruppe um Karlheinz Brandenburg am Erlanger Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltkreise (IIS) um 1990. Die Rekonstruktion eines B als ein MP3-Player kann als eine Rekonstruktion des wissenschaftlichen Werdegangs des Karlheinz Brandenburg vorgeführt werden. Was kommt dabei heraus? Ein Vorbild! (role model). Der Podcast mit einem hübschen Lied sagt über die einfachen Anfänge von MP3 sehr viel aus. Der Podcast ist ein Plädoyer für eine Einfachheit, die für eine Rekonstruktion von B gelernt werden kann. „Keep things simple“ lautet der Wahlspruch,

Zum Begriff „Rekonstruktion“ sagt Friedrich Kambartel (1980) in seinem Aufsatz „Rekonstruktion und Rationalität“: „Wer Geschichte und Gegenwart wissenschaftlichen Orientierungsbemühens rational rekonstruiert, will das Wesentliche und Einsichtige aus einer Mischung von Vernunft und Unvernunft herausarbeiten, die auch das wissenschaftliche Menschenwerk vorderhand darstellt“. Rekonstruktionen aus Biografien heraus sind eine bewährte Methode. Biografien großer Naturwissenschaftler sind sehr lehrreich.

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