Kann die KI den Klimawandel stoppen?

Ein Beitrag von Prof. Erich Ortner (TU Darmstadt)

Vorbemerkung  von H. Wedekind

Seit Dezember 2022 gibt es eine neue Sparte im Journalismus, den sogenannten KI-Journalismus. Wenn man seit dieser Zeit eine beliebige  Tageszeitung aufschlägt, kommt einem eine Belehrung zum Thema ChatGPT entgegen, womit die moderne subsymbolische KI  des ChatGPT der  Firma Open AI gemeint ist. Unser Blog heißt „Unsere Zeit in Gedanken fassen“. Und die neue subsymbolische KI  a la ChatGPT scheint in unsere Zeit zu gehören.

Wir erleben  offensichtlich, der Presse folgend, ein Phänomen der Zeitgeschichte.

Schauen wir auf ChatGPT, so sehen wir  ein Phänomen der Sprachwissenschaft. Wir sehen eine neue Version der Phraseologie als Fortentwicklung zu einer statistischen Phraseologie. Denn die einfache Phraseologie arbeitet nur mit festen Wortverbindungen. Wir haben es aber bei ChatGPT mit wahrscheinlichen Wortverbindungen zu tun. Und das ist das Neue. Ob das umwälzend ist, wie die KI- Presse meint, oder nur ein Strohfeuer, weiß ich nicht. Dass es sich bei ChatGPT um eine statistische Phraseologie handelt, kann man aus dem Büchlein von Stephen Wolfram  entnehmen, „ What is ChatGPT Doing… and Why Does It Work?“. In der Fortsetzung eines Satzes, der zu generieren ist, wird ein Wort gesucht und ausgewählt nach Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeiten werden  dem System mit Hilfe  einer Unmenge von  seriösen Texten als Textkorpus im Milliardenbereich`(Big Data) antrainiert. Wikipedia ist z.B. nur ein Teil des Trainingsmaterials. So etwas kann ein Volltreffer sein, kann aber auch in die Hose gehen, was auch zugegeben wird. Das ganze Unterfangen der Phraseologie  kann auch  in einem elenden Phrasendreschen landen. Man nennt das Müll.

Es ist einen Versuch wert, wie Ortner meint, ChatGPT bei dem Weltproblem „Klimawandel“  auch in erzieherischer Absicht einzusetzen.

 

Nun zum Thema von Ortner:

Kann die KI den Klimawandel stoppen?

Ja, indem sie uns Menschen vernünftiger macht, als wir es heute sind. Dazu gilt es ChatGPT als Tool zu benutzen, das uns von unserer eigenen Sprachkompetenz und Redeperformanz aus hilft, begriffliche Zusammenhänge klarer zu erkennen und in Debatten selbstbewusst zur Sprache zu bringen.

Wir wissen seit Immanuel Kant, der Verstand ist bei uns Menschen der Sitz der Begriffe und was ChatGPT generiert, sind nur Worte. Die Begriffe zu den Worten müssen wir uns erst vom Verstand aus (über Denkprozesse) ins Bewusstsein holen, um das vom ChatGPT Generierte richtig zu verstehen.

Ein gedankenloses Benutzen vom ChatGPT darf nicht geschehen. Ein Beispiel für gedankenlos vom ChatGPT generierte Werke ist beispielsweise der NZZ-Artikel vom 13.09.2023: „KI müllt den Buchmarkt zu“. Es fehlt eine Qualitätskontrolle, genauer eine durch Begriffsrekonstruktion und hermeneutische Arbeit erfolgte Überprüfung der ChatGPT generierten Texte.

Eine nicht qualitätsgesicherte Benutzung vom ChatGPT sollte es angesichts des aktuellen Entwicklungsstands dieser Software, in keiner Interaktionssituation zwischen Menschen und generativer KI geben. Nur dann ist ChatGPT „nur ein Tool“ und kein selbständiger Autor von Texten.

Hier liegt auch der Unterschied zwischen einem impliziten oder intuitiven und einem expliziten oder die begriffliche Basis des Generierten exakt rekonstruierenden Gebrauch vom ChatGPT begründet.

Man weiß zwischen Worten und Begriffen zu unterscheiden und verwendet weiter Freges Definition für einen Begriff: „Ein Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist.“ (Funktion und Begriff, 1891), sowohl auf Seiten der IT als auch der Menschen – von ihrer frühesten Jugend an. Denkprozesse lassen sich dann in der Fregeschen Sprachlogik (Prädikatenlogik 1. Stufe) – und heute in dem weltweiten Sprachstandard „BPMN 2.0“ – auch exakt modellieren.

Als zweiten Aspekt zur Beantwortung obiger Frage, gilt es den prozesszentrischen Ansatz (engl. Process-Driven Approach) zur Entwicklung von Prozessanwendungen – auf Basis von BPMN 2.0 – weltweit einzusetzen. Hierüber wurde von Volker Stiehl in diesem Blog bereits ausführlich berichtet.

Auf die am Anfang gestellte Frage kann man dann vollständig wie folgt antworten:

Ja, die KI kann den Klimawandel stoppen, wenn wir generative KI (z. B. ChatGPT) als Tool verwenden, um in Verbindung mit dem prozesszentrischen Ansatz unsere Sprachkompetenz und Redeperformanz in Debatten um den Klimawandel „transsubjektiv“ (die eigene Subjektivität überschreitend) zur Geltung zu bringen.

Vor dem Hintergrund der heutigen ChatGPT-Debatten kann man sich dann noch fragen, ob die in BPMN 2.0 modellierten Gebrauchsprozesse vom ChatGPT, z. B. für den Unterricht an Schulen, für unser durch Gottlob Frege revolutioniertes begriffsgestütztes Lernen, mit dem von Klaus Mainzer postulierten „Bayessche Lernen“ (ein Ansatz zur statistischen Inferenz bzw. maschinellem Lernen) kompatibel sind oder sogar mit diesen übereinstimmen.

In den 1990er Jahren horchte man in Informations- und Wissensmanagement-Kreisen einmal mit dem Sinnspruch auf: Wenn Siemens immer wüsste, was Siemens alles weiß. Generative KI hält das Wissen eines jeden Einzelnen von uns, eines Unternehmens, einer Behörde, eines Staatswesens und schließlich der ganzen Menschheit, über alle Zeiten „aktuell“ (d. h. immer wieder auf den neuesten Stand bringend) und stets zugriffsbereit für jedwede Mensch-Technik-Interaktionen parat.

Wir können es auch auf die Kurzformel bringen: generative KI macht in Kommunikationsprozessen Wikipedia Beine. Wobei eben davon ausgegangen werden kann, dass von Wikipedia begrifflich explizit rekonstruiertes Wissen auf Schema-Ebene global gemanagt wird.

Und noch etwas: Deutschland ist auf Schema-Ebene – von einer 3-Schema Architektur für Daten ausgehend – heute im politischen und administrative Bereich überkomplex. Eine prozesszentrisch-sprachkritische Rekonstruktion in diesen Bereichen würde zu bedeutenden Effizienzsteigerungen bei den Prozessen führen. Warum wissen das in diesem Land heute, z.B.  nach „Informatik als Grundbildung (2004/5)“, noch so viele Menschen nicht?

Im Zusammenhang mit der KI und dem Klimawandel kann jedenfalls konstatiert werden, sprachkritische Prozessdigitalisierung und generative KI sind auch im Hinblick auf einen Stopp des Klimawandels für die Menschheit von Belang. Generative KI, als Tool eingesetzt, macht die Menschen klüger und global digitalisierte Prozesse, führen zu einem nachhaltigeren Leben von uns allen. Sie bilden eine Chance, die zur Vernunft aufrufende Mahnung von Albert Einstein, für das Überleben auf diesem Planeten, positiv umzusetzen.

„Liebe Nachwelt! Wenn ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger sein werdet, als wir sind bzw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen.“

(Zitiert nach Albrecht Fölsing, Albert Einstein – Eine Biographie, 2. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993)

Bezogen auf das Erdklima geht es dabei um den menschenverursachten Klimawandel, den auch nur wir Menschen wieder begrenzen können. Den geologischen Klimawandel zu manipulieren, liegt jedoch (noch) nicht in unserer Hand.