Was ist eine Aporie?
Einer Klimafalle, die wir bereits im Blog behandelt haben, kann man entgehen, einer Klima-Aporie nicht. Seit den platonischen Dialogen sind wir vertraut mit dem Begriff „Aporie“. Es bedeutet „Ausweglosigkeit“. Die Auseinandersetzungen, die sich mit Aporien befassen, nennt man Aporetik. Figuren wie wir es sind, die sich mit Aporetik befassen, nennt man Aporetiker. Diverse platonische Dialoge enden in einer Aporie. Am eindrucksvollsten für uns ist der aporetische Dialog „Theaitetos“. Sokrates sagt nach Feststellung einer Aporie, einer Ausweglosigkeit zum Schluss: „Jetzt aber muss ich mich zu der Königshalle begeben wegen der Anklageschrift, die Meletos gegen mich eingereicht hat. Doch morgen früh Theaitetos, wollen wir uns hier wieder treffen“.
Auch in einer Aporie, in einer Ausweglosigkeit, gibt es für Sokrates noch einen Morgen. Aporie bedeutet, sokratisch gesehen, ein vollständiges Neudurchdenken (reassessment) und dann vielleicht ein Wiederholen der Handlungen aber mit Fehlervermeidung. Das ist philosophisch möglich, politisch leider nicht. Der Politiker macht qua Dogma keine Fehler.
Vier Einflüsse auf die CO2- Emission
Bild 1: Die vier Sektoren der Einflussnahme auf die CO2-Emissionen
A) Die wenig beeinflussbaren Sektoren
Oben im Bild 1 werden die Sektoren aufgeführt, die wir kaum verändern können (-): Wachstum der Weltbevölkerung und Wirtschaftswachstum , letztendlich auch bedingt durch das wirtschaftstragende Verbrennen fossiler Energieträger. Die Weltbevölkerung wächst z. Z. jährlich rund um 80 Millionen Menschen. Das entspricht der Bevölkerung Deutschlands. „Ein Deutschland“ kommt also jährlich dazu, mit Menschen, die ernährt, gekleidet und ausgebildet werden wollen, und die auch höheren Bildungsbedürfnisse haben. Die Menschen klettern die bekannte Maslowsche Bedürfnispyramide hoch. Bei Tieren ist das alles einfacher, was die Menschen offensichtlich in großen Landstrichen der Welt zu vergessen scheinen.
B) Die beeinflussbaren Sektoren
1) Das Verhalten der Menschen, erzwungen durch eine CO2-Steuer.
Wir wenden uns den unteren Sektoren in Bild 1 zu, Sektoren, in denen wir etwas verändern können (+), nicht nur für uns, sondern auch als technische Nation vorbildlich für die Welt, die gerne sehen möchte, wie man so etwas seit der Industrialisierung vor rund 200 Jahren macht, über das konventionelle CO2-Erzeugen in technischen Prozessen hinaus.
Da ist zunächst mal der Sektor Verhalten der Menschen, das sicherlich über eine Bepreisung der CO2- Emissionen beeinflusst werden kann. Wir sind also im Bereich der Ökonomie.
Quelle: Spiegel Online 13.11.2017
Bild 2: Statistik der CO2- Emissionen
Wir lesen im Klimareport: Jede ausgestoßene Tonne CO2 verursacht Umweltschäden von € 180. Wir rechnen mit dieser Angabe für Deutschland:
80 x 106 (Bevölkerung) x 9,8 (Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr) x 180 (€ pro Tonne CO2) = 141 x 109 (€ pro Jahr), das sind also 141 Milliarden € pro Jahr. Unglaublich! Das verschlägt einem den Atem. Der Bundeshaushalt 2019 umfasst 356 Milliarden €. Knapp 40 % des Haushaltes müssten zwecks Kompensation der Schäden über eine CO2-Steuer aufgebracht werden, um die CO2-Schäden pro Jahr zu beseitigen. In einer aporetischen Schrift, in der man vor lauter Mauern rennt, darf man solch unglaubliche Zahlen nennen und auch kritisieren. Ist die Angabe von € 180 Schäden pro Tonne CO2 eine wilde Schätzung, „wild guess“, wie die Amerikaner sagen, oder handelt es sich tatsächlich um eine „educated guess“, eine Schätzung mit wissenschaftlichem Hintergrund, die überprüfbar ist?
Hier ist aber nicht der Ort, um das Schätzmodell für die € 180 pro Tonne CO2 zu analysieren. Feststeht aber, dass die Zahlen für den unmittelbaren Nachbarn Frankreich (Bevölkerung 67 Millionen, CO2 Emissionen 5,3 Tonnen pro Kopf) wesentlich günstiger sind. Dass Frankreich wegen seiner Kernenergie nur etwas mehr als die Hälfte an CO2 emittiert, ist für einen anständigen deutschen Atomkraftgegner mit oder ohne militante Neigung kein Argument. Dass Deutschland aus Klimagründen einen gewaltigen methodischen Kardinalfehler begangen hat mit seinem „erst raus aus der Kernenergie, dann raus aus der Kohle“, ist aber für einen, der mit German-Angst befallen ist, nicht einsehbar. Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Das Umgekehrte „erst raus aus der Kohle, dann raus aus der Kernenergie“ wäre richtig gewesen. Gegen einen gleichzeitigen zügigen Ausbau der Erneuerbaren kann niemand ein Argument von Gewicht vortragen. Mit nur 2,1% der Weltemission ist Deutschland bedeutungslos. Man will aber Vorbild sein, was eine gute Sache ist, wenn die Energiewende auch klappt. Wenn nicht, trifft uns die „Sokratische Lache“, die bekannte Sokratische Ironie. Von einem „deutschen Wesen“ hat man eigentlich international die Nase voll. Einmal reicht, wird man sagen. Darüber hinaus sind die Gefahren der zivilen Kernernergie lokalisierbar. Wo die Kernkraftwerke mit ihrem Abfall stehen, weiß man sehr genau. Die Gefahren von Klimaexzessen sind aber überall, sie sind ubiquitär, nicht lokalisierbar. Die Exzesse schlagen ein wie „ein Blitz aus heiterem Himmel“. Monotones Denken taugt nichts, dichotomes auch nicht . Das hat aber auch schon Helmut Kohl (1930-2017) gewusst, der in Sachen „Energie“ immer ein „model mix“ gepredigt hat,
Der prominente Kommentator der FAZ Jasper von Altenbockum schrieb am 10. 04. 2019 in seiner Zeitung unter dem Thema „Wie viel Klimastaat?“: „Denn wenn wirklich alles getan werden muss, warum wird nur alles getan, was in ein bestimmtes ordnungspolitisches Raster passt? Warum nicht wirklich alles? Der wunde Punkt ist die Kernkraft. Wenn wirklich alles getan werden müsste, um den Untergang der Zivilisation zu verhindern, wäre die Kernkraft das einfachste Mittel, den deutschen Beitrag zu einer Reduktion der Treibhausgase schnell zu erreichen und im Ausland dafür zu sorgen, mit europäischer Technik den Planeten zu retten“ Und dann später: „Entweder ist es mit dem Weltuntergang dann doch nicht so weit her, oder aber die ideologisch korrekte Ordnungspolitik ist wichtiger als die effektive Bekämpfung des Klimawandels.“
Besser wäre statt „korrekte Ordnungspolitik“ der Ausdruck „korrekte Gesinnung“ (englisch „attitude“). Eine „Attitude“ sich zu zulegen, ist leicht, eine Urteilskraft zu erwerben, ist schwierig, mühselig und verlangt in der Regel ein intensives Studium. Das geht nicht so mit Links, hektisch und unbedacht, sondern mit Fleiß und mit der Kardinaltugend der Besonnenheit (temperantia).
Wo gibt es solide Schätzmodelle (educated guesses) für einen CO2- Preis:
Wir erfahren in dem Beitrag „Preis für CO2 und Wetterextreme“ die folgenden Schätzungen :„Um das Zwei-Grad Ziel zu erreichen, ermittelte die High-level Commission on Carbon Pricing unter der Leitung von Nikolas Stern und Nobelpreisträger Josef Stiglitz einen erforderlichen CO2-Preis von 35 bis 70 Euro je Tonne CO2 bis 2020 und von 44 bis 88 Euro pro Tonne bis 2030“.
Rechnen wir bei Stern und Stiglitz bis 2030 mit eine Mittelwert von ca. 60 € pro Tonne, um eine Erwärmung um 2° C zu erzielen, so sind das immerhin noch ein Drittel der zuvor behandelten 180 € pro Tonne, also insgesamt 47 Milliarden € pro Jahr. Das entspricht ungefähr der veranlagten Einkommensteuer, und die trifft bekanntlich das Verhalten der Menschen mitten ins Herz. Das ist wichtig, wenn CO2-Emissionen vermieden werden sollen. Man unternimmt einiges, um Einkommensteuern zu vermeiden; warum nicht auch ein ähnliches Bestreben, wenn es um die CO2-Steuer geht. Genau das ist ihr Sinn. Man müsste natürlich bei genauerem Hinsehen die Preiselastizität kennen. Bei Starrheit, wenn man also annähernd beliebige Preise wirkungslos auf Mengen packen kann, nützt die Bepreisung des CO2 nichts. Eine weitere Mauer, vor die wir in unserer Aporie rennen. So einfach ist das alles. Der Sektor „Verhalten der Menschen“ hat unter Umständen eine beachtliche Möglichkeit der Beeinflussung. Politiker werden mir sagen, das sei alles gar nicht so einfach. Ich werde ihnen antworten: Das kindliche Gemüt einer Greta Thunberg wird euch schon lehren. „ Friday for Future an die Front“. So tief sind wir politisch gesunken. Das sind natürlich typische Merkmale einer Aporie. „Man weiß nicht ein und nicht aus“, heißt die bekannte deutsche Redensart. Eigentlich ein trostloser Zustand, eine Aporie.
2) Technologie
Mit seinem Wort vom Klimastaat weist Jasper von Altenbockum schon in eine administrative Richtung. Gemeint ist das neu gebildete Klimakabinett mit seinen Vorgaben. Man kann das nachlesen im Klimaschutzplan 2050 (pdf) des Bundesministeriums für Umwelt. Das technologische Ziel wird auf Seite 33 dieser Schrift herausgestellt.
Bild 3: Die Handlungsfelder des Klimakabinetts (Seite 33 des Klimaschutzplans)
Erzeugung und Vermeidung von CO2-Emissionen sind technologische Vorgänge. Die Aktivitäten der fünf Ministerien in Bild 3 sind somit technologisch bedingt. Es braucht viel Ingenieurkompetenz um die gesteckten Ziele zu verwirklichen. Mit dem altbekannten Ansatz „engineers on tap (zum Anzapfen), but not on top“ wird man in einer technologischen Mission sehr schnell Schiffbruch erleiden, weil man allzu schnell im Paradies des politischen „wishful thinking“ untergeht. Normen und Vorschriften im Jahrestakt zu erlassen, die dann nicht implementierbar sind, macht keinen Sinn; unsere politische Klasse ist halt technisch gesehen verbonzt. Das Klimaziel für 2020 wurde ja bereits gerissen. Was ist da noch zu erwarten? Eine Lektüre des Essays vom bekannten Hermann Lübbe „Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft“ (1987) ist mal wieder dringend erforderlich.
Eines sollte in den Handlungsfeldern „Energiewirtschaft“ und „Industrie“ nicht unerwähnt bleiben. Es ist eine sehr lobenswerte, altbekannte ökonomische Maßnahme, über deren Wirksamkeit aber in unserem Zusammenhang gestritten wird. Es sind die CO2- Emissionszertifikate, die zugeteilt oder in einer Versteigerung erworben werden können. Die Zertifikate sind frei handelbar. Wer ohne Zertifikate CO2 emittiert, wird bestraft.
Die Idee der Zertifikate stammt vom sehr bekannten Prof. Eugen Schmalenbach, 1873-1955, (Uni Köln). Er entwickelte seine Gedanken in Rahmen der Theorie einer pretialen Wirtschaftslenkung. Schmalenbach wurde in den 20-er Jahren vom Kaufhausbesitzer Hermann Tietz das Problem der Zuteilung von Schaufensterflächen zu Abteilungen vorgetragen. Schmalenbach empfahl, die gesamte Fensterfläche eines Kaufhauses in sinnvolle Einheiten zu parzellieren und sie den Abteilungsleitern wie Zertifikate zum Verrechnungspreis anzubieten. Ob Schaufensterflächen eines Kaufhauses oder zu verteilende CO2-Tonnen zur Debatte stehen, ist kein prinzipieller Unterschied.
Was sagt die Wissenschaft?
Kein Thema ist internationaler als das Thema „Klima“. Aus diesem Grunde ist der Weltklimarat oder der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen)“ aus wissenschaftlicher Sicht die zentrale Anlaufstelle auch in Sachen „ Organisation von Weltklimakonferenzen“. Hauptaufgabe des Ausschusses ist es, die naturwissenschaftlichen Grundlagen und den weltweiten Forschungsstand über die Auswirkungen des Klimawandels zu ergründen. Aktuell für uns heute sind die Ergebnisse der Pariser UN – Klimakonferenz von 2015 . Eine globale Erwärmung deutlich unter 2 ° C gegenüber dem vorindustriellen Niveau um 1800 war das ehrgeizige beschlossene Ziel dieser Konferenz. Man wollte die Teilnehmer der Konferenz auch irgendwie verpflichten und führte den Begriff eines beabsichtigten National bestimmten Beitrags ein (Intended Nationally Determined Contribution, INDC). Es gibt also nach Paris keine konkreten, sanktionierbaren Reduktionsverpflichtungen. Man kommt nur an einen „Klima-Pranger“, wenn man seiner Selbstverpflichtung nicht nachkommt. Es ist halt so: Die internationale Politik ist der Internationalität des Themas „Klimawandel“ bei weitem nicht gewachsen. Erst bittere Schäden, die viele Ressourcen und Menschenleben kosten, werden auch politisch Wirkung zeigen. Man muss die Schäden sehen, wie das bei naiven Kindern so ist, nicht prognostizieren. „Erst durch (sichtbaren) Schaden wird man klug“, heißt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Auch Klugheit (prudentia) ist eine Kardinaltugend. Statt Tugend (wortgeschichtlich abgeleitet von Tüchtigkeit) spricht man heute verwässert von Werten, die wie „attitudes“ in einem Discount-Shop zu haben sind. Man braucht nichts veritabel zu können, man muss nur im Jargon sich bewegen.
In einer sehr instruktiven Monografie von Christian Schönwiese, Prof. für Klimatologie in Frankfurt, mit dem Thema „Klimawandel kompakt. Ein globales Problem wissenschaftlich erklärt“ (2019) führt Schönwiese als Gutachter des IPCC auf Seite 114 aus, dass es einen Schwachpunkt in dem Ansatz des IPCC gibt. In meinen Worten seiner klimatologischen Darstellung muss man sich das Vollpumpen der Atmosphäre mit anthropogenen CO2-Gasen wie das Erregen eines schwingenden Pendels vorstellen. Was wir erleben ist eine Momentaufnahme des Pendels. Ein Gleichgewichtszustand, wenn die Pendelerregung durch die anthropogenen Emissionen abrupt aufhören würde, tritt aber erst mit erheblicher Zeitverzögerung ein. Wenn man den Gleichgewichtzustand mit dem üblichen Modell der Klimaforschung berechnet, so Schönwiese auf Seite 115, kommt man auf 2,5 ° C Temperaturerhöhung.
Das abrupte Stoppen aller CO2- Emissionen ist aber real gesehen eine Illusion. Illusionen und Aporien sind Geschwisterpaare. Man macht sich etwas vor (wishful thinking) und verdrängt, psychologisch leicht erklärbar.
„Der Klimawandel schreit danach zu handeln“ (Schönwiese auf Seite 110)
Das Wissenschaftstheoretische an Naturwissenschaften ist, dass man ihre Ergebnisse im Popperschen Sinne falsifizieren (widerlegen) muss. Beweisen kann man sie nicht. Das ist auch gar nicht ihr Anspruch. Den Skeptikern der modernen Klimaforschung kann man nur zurufen: Dann falsifiziert mal schön! Das ist, wenn man es kann, gar nicht so einfach, und setzt enorme Fähigkeiten voraus. Politik ist beim Falsifizieren entbehrlich.
Wir leben schließlich in einem neuen Erdzeitalter, das Anthropozän genannt wird.
Eins muss man laut einer Studie des Gottlob Duttweiler Instituts „Die neue Energiewelt: Vom Mangel zum Überfluss“ (Rüschlikon/Zürich, 2018) noch sagen:
Nur die methodisch durchdigitalisierten Staaten haben überhaupt die Chance, diesen Übergang (Morgen) von einer industriellen Welt des Öls und Mangels (Heute) zu einer digitalen Welt der Elektrifizierung und des Überflusses (Übermorgen) auch zu schaffen. Der ganze Plan ist nur erfüllbar mit der Informatik und aufgrund der unerschöpflichen Ressource digitalisierbaren Wissens (Software).