Glück und Angst

1) Glück in der Mythologie

Das hat der Mensch immer gemacht, nämlich  sich eine zweite Welt zu  basteln, in der, abgehoben auf eine andere Ebene, nur Glück und Zufriedenheit herrscht. Herausragend in diesem Geschäft waren die alten Griechen mit Epikur an ihrer Spitze. Es wurde eine Sage von den glücklichen Göttern geschaffen, eine so genannte Mythologie, die dann bis in die Zahlen-Mythologie reichte. Wieso ist 7 eine heilige Zahl? Oder wie kommt es zu den griechischen Göttern in menschlicher Gestalt?  „Sie  essen und trinken, arbeiten nicht, sorgen sich um nichts, altern nicht, leben in beständiger Muße und Heiterkeit“. So beschreibt mein früherer Kollege  Maximilian Forschner in seinem Büchlein  „Über das Glück des Menschen“  (S.31) die Götterwelt der alten Griechen. Friedrich Hölderlin hat das in seinem Gedicht „Hyperions Schicksalslied“ wundervoll beschrieben. Das ist Dichtung oder Verdichtung. Der Abstieg in die Welt der  Angst aus einer Welt des unbegrenzten Glücks wird dichterisch gefasst.

Die  Treppenform ist ein Symbol für einen Abstieg, nach Hölderlin in die Welt der leidenden Menschen.   Die Vorstellung von zwei Ebenen, hier die Erde mit den armen Menschen und  dort das Paradies als Garten Eden   gibt es auch in der christlich-jüdischen Überlieferung.  Und in der Mitte des Gartens steht der Baum der Erkenntnisse mit seiner verbotenen Frucht zwecks der Unterscheidung von Gut und Böse.

2) Angst und Widerfahrnis

Angst und Widerfahrnis gehören zusammen wie Leben und Tod, d.h. gäbe es kein Widerfahrnis, so gäbe es auch keine Angst, oder umgekehrt , man hat Angst, weil man ein Widerfahrnis fürchtet, und zwar als ein unerwartetes Ereignis, das wir als Bedrohung empfinden. Bei einen Widerfahrnis, das sich mir ereignet, weiß ich nicht, was mir geschieht. Es kommt über mich. Angst z.B. vor Krieg, Pandemie, Energiekollaps bleibt im Gegensatz zu einer Furcht allgemein und unspezifiziert. Bei Angst ist der Dunstkreis groß. Mut ist das Gegensteil von Angst. Mut wird aufgebaut und ist so kein Widerfahrnis.

Wir treten im Tode, bildlich gesprochen,  durch ein großes Tor. Vom Meinen, Glauben und Wissen des Menschen  bleibt vor dem Tor nur Glauben als ein Bedürfnis des Menschen.  Die „Frohe Botschaft“, nicht nur  der christlich-jüdischen Tradition, sagt, es gäbe noch etwas danach. Das ist Offenbarungsglaube. Wir müssen mit dem Wort  „gäbe“ den Konjunktiv wählen.  Das ist die Sprachform des Möglichen, nicht des Indikativen, eines zur Aussage befähigten Modus des Sprechens. Aussagen machen über ein Jenseits des Tores, können wir nicht. Insofern ist der Tod ein echtes Widerfahrnis. Könnten wir Aussagen machen, wäre der Tod kein Widerfahrnis mehr. Ein Wesen des Widerfahrnis ist   sein  mögliches Eintreffen.

Vernunftglaube (Kant) ist der Glaube an die eigene Vernunft, eine Fähigkeit zur Transsubjektivität,  oder eine Fähigkeit, das Eigene zu übersteigen und den Anderen sehen. Vernunftglaube ist etwas Eigenes und nicht objektivierbar,  enthält  aber die Fähigkeit zum Übersteigen des Eigenen. Vernunft ist ein Wesensmerkmal des Menschen,  das ihn vom Tier unterscheidet. Tiere haben somit auch keinen Vernunftglauben. Der Mensch muss in seiner Entwicklung aus dem Tierischen herauswachen. In der kantischen Lesart geht der Vernunftglaube dem Offenbarungsglauben voraus, d.h. erst der Vernunftglaube, dann der Offenbarungsglaube. Ohne einen Vernunftglauben ist ein Offenbarungsglauben nicht möglich.

Unsere Vernunft ist spekulativ (vom Lateinischen „speculum“ = Spiegel).  Sie  sieht die Welt nur durch einen Spiegel. Unser Verstand hat Zugang zur Erfahrung dieser Welt und sieht so auch das Sterben unserer Mitmenschen. Unsere Vernunft bedient sich unseres Verstandes im kantischen Bild als Angestellter und wir führen im Glauben an unsere Vernunft  den Schluss durch „ Weil unsere Mitmenschen sterben, werden wir auch sterben“, was auch gerontologisch bewiesen werden kann. Der Tod widerfährt uns. Und weil wir nicht wissen, was danach kommt, haben wir Angst. Es gibt natürlich auch abartige Fälle, die nicht in dieses Schema passen und einer Sonderbehandlung bedürfen.  Unsere Vernunft mit dem Glauben an sie kann aber auch über den Tellerrand der Erfahrung hinausblicken. Die Vernunft kann sich selber Regeln geben, die in der Erfahrung nicht vorzufinden sind. Sie ist reflexiv, rückbezüglich. Ohne Vernuftglauben könnten wir auch den Raub allgemein akzeptieren. Das führt aber  zum allgemeinen Ruin, weil jeder jeden berauben kann. Mit dem Glauben an die Vernunft  kommen wir einigermaßen  geregelt durchs Leben. Das ist wichtig. Wer an seinem Leben nicht mehr interessiert ist, braucht keinen Vernunftglauben. Das Am-Leben-Bleiben-Wollen ist eine Basis für den Venunftglauben.

Die Vernunft und der Glaube an sie braucht  häufig ein Korrektiv durch einen Anderen, sonst läuft sie leicht in die Irre. Ich muss anderen mitteilen, was ich denke und wie ich meine Vernunft bilde. Ich brauche den Dialog und muss auch veröffentlichen. Ich bin nicht autark oder selbstgenügsam. Ich brauche einen Mitwisser, eine „conscientia“, wie es Lateinisch heißt. Im Englischen ist mit „conscience“  für Mitwissen erhalten geblieben.  Aus dem Mitwissen wurde dann sprachlich im Deutschen das berühmte Gewissen, das ein Gewissenloser bekanntlich nicht hat. Der kann alles selber besser. Wenn die Besserwisser in der Politik am zentralen Steuerrad auftreten, wird es schlimm; ist aber nicht unüblich. Man hat Angst vor einem  Ereignis als (schlimmes) Widerfahrnis.

Das bedeutungsvollste Widerfahrnis im eigenen Leben ist (nach der Geburt) der eigene Tod.

Das Vorhersehen eines bösen Ereignisses wird Bedrohung genannt. Tiere kennen das auch. Eine Antilope, die einen Löwen in freier Wildbahn sieht, fühlt sich bedroht und geht laufen, wie Flüchtlinge aktuell, die ein Bombardement fürchten müssen.