Infrastrukturen und methodische Digitalisierung

1 )  Infrastrukturen

Es ist gar nicht so einfach, den Begriff „Infrastruktur“ festzulegen. Am einfachsten macht man es sich, wenn man sagt, „Infrastruktur“ ist das, was unterentwickelte oder schlecht entwickelte Länder nicht haben. Negativ-Festlegungen  wie diese haben den Vorteil, dass sie im Wesentlichen risikolos geäußert werden können.  Ähnliches gilt für den Gebrauch   des negativen All-Quantors „Nicht Alle“, im Politischen sehr beliebt. „Nicht alle Deutschen sind ordentlich“ oder „Nicht alle Flüchtlinge sind ungebildet“. Man sagt dazu Blabla, die Amerikaner sagen „motherhood“, wenn Plattitüden und Gemeinplätze  verbreitet werden sollen.  Geht man solide ans Werk, so bleibt einem eigentlich nur der historische  Weg, und den ist der Leipziger Historiker Dirk van Laak in seinem Buch gegangen: „ Alles im Fluss, Die Lebensadern unserer Gesellschaft – Geschichte und Zukunft der Infrastruktur“. Es ist atemberaubend zu lesen, wie sich in Europa und Nordamerika im 19. Jahrh. das Straßen- und Eisenbahnnetz rapide entwickelt haben. Strom und Telegrafennetze folgten. Und dann  der Fortschritt in der Hygiene, gemeint ist die Wasserversorgung und das Abwassersystem, ohne die wir insbesondere in städtischen  Gebieten bei dem Bevölkerungswachstum  an Epidemien  zugrunde gehen würden. Versorgung und Entsorgung hängen eng miteinander zusammen. Der historische Ansatz lässt uns nachdenken und macht uns klar, dass wir von morgens bis abends gewaltig von unserer Infrastruktur hochempfindlich  abhängig sind. Man macht sich das klar, wenn man die Infrastruktur, wie z.B. bei einem Blackout, einfach mal wegfallen lässt. Was passiert dann? Alles darf passieren, nur nicht ein Versagen unserer Lebensadern, von denen wir immer mehr  abhängen. Wir müssen noch hinzufügen, dass der Begriff „Infrastruktur“ in seinem Gebrauch noch relativ jung ist. Bei Dirk van Laak erfahren wir auf Seite 85, dass der Begriff intensiv erst im militärischen Pionierwesen der NATO um 1950 auftaucht. Das ist überraschend.

Es ist eine Grundsatzfrage zu klären: Ist eine Infrastruktur eine Struktur des Ablaufs oder des Aufbaus? Im Rahmen einer Organisationslehre, wie sie im Blog behandelt wurde, soll seit Fritz Nordsieck (1906-1984) zwischen einer Ablauf-und Aufbauorganisation unterschieden werden, wobei Organisationen als soziale Strukturen zu verstehen sind. Ganz im Sinne von Dirk van Laak  mit seinem „Alles fließt“ (gr. panta rhei) interpretieren wir Infrastrukturen als Ablaufstrukturen (engl. process structures) und die neue Lebensader unserer Gesellschaft, die gerade umfassend  entsteht, ist das Internet, das World Wide Web  (WWW) als digitale Infrastruktur. Als Infrastruktur gesehen ist es ein Netz des Ablaufs. So gehen gesehen  interessiert  das WWW im Aufbau nur wenig. Man kann auch sagen, der Aufbau wird schlicht vorausgesetzt. Denn gäbe es keinen Aufbau, dann bräuchten wir uns über den Ablauf keine Gedanken zu machen. Der Aufbau als „enabling technology“ ermöglicht ja erst einen Ablauf.

Die Abläufe (engl .processes) sind es also, die eine Methodische Digitalisierung begründen und als Basis dienen.

Die bange Frage wird uns auch separat beschäftigen müssen, ob Bildung und Ausbildung sich lohnen, als Infrastruktur gedacht zu werde. Wir erinnern dabei an den Aufsatz von Oliver Brüchert  von der GEW (2005) zu diesem Thema. Aber: Schulen und Hochschulen sind Sozialstrukturen und haben ihre Abläufe und somit Infrastrukturen, die manchmal nicht erfolgreich sind, da es um Erkenntnisse geht und nicht um Güterverkehr. Man braucht nur einmal versuchen, Programmierunterricht  auch nur in Gedanken zu erteilen, und schon ist man bedient.

 

2) Methodische Digitalisierung

„Man muss die Menschen lehren, wie sie denken sollen und nicht fortwährend, was sie denken sollen“ sagte der berühmte Lichtenberg sinngemäß. Das Methodische (ein Erkenntnisweg) ist also genauso  wichtig wie  der zu lehrende  Gegenstand selbst, das Was. Man darf es nur nicht vergessen. Beim methodischen Denken muss man in Gedanken immer  kritisch ganz von vorne anfangen und dann schrittweise und zirkelfrei  weiter marschieren. Man darf dabei nicht vergessen, alles  aufzuschreiben, um seine Gedanken  auch für Kritiker  explizit zu machen. Man nennt das heute Dokumentation. Und wenn mehrere Menschen  methodisch rational mitdenken, ist das von Vorteil.

Der sehr bekannte amerikanische Qualitätsingenieur  William Edwards Deming (1900-1993) schrieb einmal zutreffend:

If you can‘t describe what you are doing as a process, you don‘t know what you‘re doing”.

(Wenn Du das, was Du tust, nicht als Prozess beschreiben kannst, weißt du nicht, was du tust)

Im Zentrum steht das „unschuldige“ Wort „beschreiben“. Wir haben im Blog mit dem Thema „Beschreiben von Digitalisierungen“ einiges dazu gesagt. Das ist aber noch konventionell. Man kann in der Beschreibung auch mit natürlichen Sprachen, z.B. Deutsch anfangen. Weil das zu ungenau ist, wird man schnell zu standardisierten Beschreibungssprachen übergehen müssen. Es bietet sich die Uniforme Beschreibungssprache  UML (Uniform Modeling Language) der OMG  an, die mit der Business Process Modeling and Notation (BPMN) erheblich erweitert wurde. Es dürfte nicht strittig sein, dass die Methode der  schrittweisen Verfeinerung (stepwise refinement) vom allgemeinen  zum speziellen Prozess zur Anwendung kommt.

Aber mit dem Internet der Dinge werden ganz neue Räume aufgestoßen und BPMN scheint von gestern zu sein.

Der Wikipedia-Artikel zum Thema IoT (Internet of Things) ist sehr schön geschrieben. Dass RFID (Radio Freqency Identification) schon um 2000 zur Debatte stand, ist mir neu. IoT ist zunächst mal eine erhebliche Erweiterung einer „Process Driven Application“ (PDA). Wenn Geräte irgendwo auf der Welt mit anderen Geräten irgendwo auf der Welt kommunizieren, dann ist das schon eine Explosion im Process Management (PM), wobei man das B in BPM ruhig weglassen kann. Man sollte UPM (Universal Process Management) sagen. Eine Hauptfrage wird dann sein, wie man diese Explosion kontrollieren kann. IOT  heißt ja auch Internet of Everything oder Alles-Netz. Also nicht nur Menschen und tote Objekte wie Maschinen und Anlagen, sondern auch Tiere (z.B. Kühe auf der Weide, die kalben wollen) und Pflanzen (z.B. Bäume  im Wald, die vom Borkenkäfer befallen werden) sind im Prozess-Management mit drin. Das kann den Menschen überfordern, es sei denn, er wird angemessen unterstützt. Nur Menschen verstehen, Dinge können das nicht, auch wenn man das Verstehen mit einer Künstlichen Intelligenz hochgradig zu schematisieren versucht.