Anthropozän

1. Entstehung des Begriffs

Es ist relativ einfach, über die Entstehung des Begriffs „ Anthropozän“ zu berichten, weil  die Lebensleistung eines Mannes unmittelbar angesprochen wird.  Es handelt sich um Paul Crutzen (*1933 in Amsterdam), Atmosphärenchemiker,  Nobelpreisträger für Chemie (1995). Im Verleihungsprotokoll des Nobelpreiskomitees heißt es: Er brachte es fertig „ uns vor einem globalen Umweltproblem zu retten, das katastrophale Ausmaße hätte annehmen können“. Eine Klärung, wie das Ozonloch über die Antarktis kam und wie Fluor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) daran beteiligt sind, war enorm wichtig für die Erkenntnis, dass der Mensch mit seinen Mitteln unseren Planeten Erde in seinem Aufbau massiv beeinflussen kann. Es waren die beiden Aufsätze:

  • Paul Crutzen/Eugene Stroemer, The Anthropocene, in: Global Change Newsletter, 41/2000, S.17.
  • Paul Crutzen, Geology of Mankind, in: Nature 415/2002, S. 23,

die eine epochale Bedeutung erringen sollten und im Sinne von Thomas Kuhn  (1922-1996) einen Paradigmenwechsel im geologisch-klimatologischen Denken hervorgerufen haben.

Man muss sich das mal vorstellen: Der kleine Mensch, der Anthropos, dieser Winzling ist in der Lage, ein ganzes, neues geologisches Erdzeitalter zu bestimmen. Das Anthropozän löst das Holozän im Quartär ab. Eigentlich unglaublich! Aber das ist so bei Paradigmenwechseln . Man denke an Kopernikus (1473-1543), seinen Wechsel vom geozentrischen zu einem heliozentrischen Weltbild. Die Erde dreht sich um die Sonne und nicht umgekehrt. Das war atemberaubend, und die Kirche stand daneben und bekämpfte das Paradigma. Es dauert halt, bis Kleriker Naturwissenschaftliches begreifen. Es gibt heute noch viele Kleriker in der Politik. Anthropozän bedeutet ein anthropozentrisches Erdzeitalter. Ist das eine „Kopernikanische Wende“? Dreht sich das Klima nunmehr um den Menschen und nicht umgekehrt? Wenn ja, dann ist für die Menschen ein grundlegendes Umdenken fällig. Wie soll das aussehen? Die Natur, die wir massiv beeinflussen, mit ihrer Kausalität ist nicht vom Menschen gemacht. Unsere Kultur, die durch absichtsvolles Handeln entstand, steht der Natur gegenüber. Es war mein Kollege Hubert Markl (1938-2015), der Biologe und bedeutende  Wissenschaftsmanager (DFG Präsident, Präsident der Max Planck-Gesellschaft), damals mit mir noch an der TH Darmstadt (1968-1973), der in seinem Buch „Natur als Kulturaufgabe – Über die Beziehungen des Menschen zur lebendigen Natur“ (1986) das anthropozäne Problem erkannt hatte. Er erfand den Ausdruck „Anthropozoikum“ (S.324) und hob deutlich die Verantwortung des Menschen für die Geschehnisse in der Natur hervor. Markl und ich waren damals die jüngsten Professoren an der TH Darmstadt. Er war mit 30 Jahren der allerjüngste. Es war immer ein Gewinn, sich mit ihm zu unterhalten.

Anthropozän ist ein geologischer Terminus, den wir geologisch einzuordnen haben (Bild1):

Bild1:  Das Anthropozän als geologische Schicht

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Holoz%C3%A4n

Wie wir aus dem Buch „Das Anthropozän“ (2017) von Jürgen Renn und Bernd Scherer (Hg) in dem Beitrag von Jan Zalasiewicz erfahren, kann die Frage, wann das Anthropozän genauer begonnen hat, noch nicht endgültig beantwortet werden.  Es ist eine breite geologisch-wissenschaftliche  Debatte im Gange (siehe:  die Geological Society von England), um den Beginn auch im Sinne einer Vereinbarung innerhalb der Wissenschaft normierend  festzulegen. Die Hypothese von Crutzen, dass das Anthropozän mit der Industrialisierung Anfang des 18.Jh. und dem Verbrennen fossiler Brennstoffe zu CO2 begann, wird von den Geologen in Zweifel gezogen. Wir können aber von dieser Gesellschaft demnächst mit einer Präzisierung rechnen. Gabriele Dürbeck von der Universität Vechta, Leiterin eines DFG-Projektes: „Narrative des Anthropozän in Wissenschaft und Literatur. Strukturen, Themen, Poetik (2017-2019)“    bemerkt zum Abschluss ihres Beitrages:

Zunächst dürfte es wohl gegen Ende des Jahrzehnts spannend werden – dann will die Geological Society bekannt geben, ob das Anthropozän tatsächlich als neue Erdepoche anerkannt und das Holozän abgelöst wird, so dass Fachbücher und die Geschichte der Menschheit und der Natur neu erzählt werden müsste“.

 

2. Fünf Aspekte zum Thema

In ihren Forschungen hat Gabriele Dürbeck in Sachen Aufarbeitung der riesigen Literatur zum Thema “Anthropozän“ vortreffliches geleistet. Sie hat Ordnung in das Gebirge der Veröffentlichungen gebracht, weil sie die verschiedenen Aspekte sieht, unter denen man das Thema behandeln kann. Sie nennt die Aspekte Narrative , das sind sinnstiftende Erzählungen, die uns schon in der Bibel vorgetragen werden. Man schaue auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas, 10,29). Jesus wird gefragt: „Wer ist mein Nächster?“ Nach dem Erzählen der Geschichte vom Samariter weiß jeder in der Runde, wer sein Nächster ist. Eine exemplarische Bestimmung von Wortbedeutungen nennt Lorenzen in seinem „Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie“ (S.179)  das Geschichtenerzählen. Das „Nächsten-Narrativ“ in der Bibel wird in Dürbecks Darstellung zum „Katastrophen-Narrativ“. Und dann in vier weiteren Erzählungen zum „Gerichts- Narrativ“, zum „Narrativ der großen Transformation“, zum „(bio-) technologischen Narrativ“ und schließlich zum „Interdependenz-Narrativ“. In dem lesenswerten Buch „Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen“ (2018) von Harald Lesch, dem bekannten Astro-Physiker aus dem Fernsehen, sind in den vielen Interviews, die er führte, alle fünf Narrative vertreten.

 

              Das Katastrophen- Narrativ

Zum ersten Mal stieß  ich 2016 bei der Lektüre des Buches von Harald Lesch (*1960) „Die Menschheit schafft sich ab“ auf das Katastrophen- Narrativ. Thema: Wenn wir so weiter-machen, folgt die Apokalypse (der Weltuntergang). Ins Katastrophen-Narrativ gehört auch der Kulturphilosoph Peter Sloterdijk mit seiner Schrift „Das Anthropozän – Ein Prozess-Zustand  am Rande der Erdgeschichte“ (In Renn /Scherer: „Das Anthropozän“, Berlin 1915). Das ist Prophetie wie wir es aus dem Altertum kennen.  Was kann man dazu sagen?

Wir antworten mit Friedrich Hölderlin (1770-1843), der in seiner Dichtung Patmos sagte:

„Nah ist
und schwer zu fassen der Gott.

Wo aber Gefahr ist, wächst
das Rettende auch
.“        (fett von mir)

Gefahr: das sind beim Klimawandel die Naturgesetze, die nach Ursache und Wirkung ablaufen.

Das Rettende:  das sind menschliche Handlungen zur Stabilisierung des Klimas. Die Gesetze der Natur sind präzise, menschliche Handlungen hingegen diffus.  Das ist unser Problem, nämlich die Präzisierung menschlicher Handlungen. Das geht nur durch Wissenschaft. Deshalb Markls „Natur als Kulturaufgabe und die Beziehungen des Menschen zur lebendeigen Natur.“

 

               Das Gerichts-Narrativ 

Das Gerichts-Narrativ ist ein Mythos, weil der Klimawandel im Großen gar nicht justiziable, gar nicht gerichtsfähig ist. Was sollen arme Richter dazu sagen, auch wenn sie Völkerrechtler sind. Völkerrecht ist wachsweich und nur ganz selten durchsetzbar. Häufig bleibt es politisch eine Farce. In der marxistisch angehauchten Literatur zum Gerichts-Narrativ ist der weiße westliche Mann am Klimawandel schuld, die Armen in den südlichen Ländern Lebenden sind die klagenden Opfer, die zu entschädigen sind.  Der Westen sitzt auf der Anklagebank. Peter Sloterdijk geht in seinem oben zitierten Beitrag sogar so weit, von einem Eurozän und einen von Europäern initiierten Technozän zu sprechen. Hier wörtlich:“ Wenn Crutzens von „Anthropozän“ spricht, hat man es mit einer Geste niederländischer Höflichkeit – oder Konfliktscheue – zu tun. In der Sache wäre eher von einem Eurozän oder einem von Europäer initiierten „Technozän“ zu sprechen“ (S.27)

Wir verlassen die Gerichtsalternative sehr schnell, weil nicht justiziable. Das Narrativ ist angegraut, stark vereinfachend, unfruchtbar und würde im Klassenkampf enden.

 

                    Das Narrativ von der Großen Technologie

Im Zentrum steht des Narrativs der Großen Technologie  steht in Deutschland die Person des Joachim Schellnhuber  (*1950), bis 2018 Leiter des angesehenen Potsdam-Instituts für Klimaforschung  (PIK) und Mitglied des Weltklimarates (IPCC). Schellnhuber ist ein konstruktiver Kopf. Man muss schrittweise vorgehen, sich nicht im Kreise drehen und alles explizit machen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.

 

                   Das (bio-) technologische Narrativ

Hier wird die Geschichte von einer Landwirtschaft erzählt, die völlig umgestaltet werden sollte, um die Menschenmassen überhaupt noch ernähren zu können. Der Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel ist erheblich. Mit dem Schlagwort „Grüne Revolution 2.0“ wird auch der Name des bedeutenden Agrarwissenschaftlers  Norman Borlaug  (1914-2009) erwähnt, der enorm viel zur Mais- und Weizenveredlung beigetragen hat. Gentechnisch  verändertes Saatgut, vor dem vor allen Dingen die Deutschen Angst haben, spielt eine große Rolle, ist aber aus der Weltlandwirtschaft nicht wegzudenken. Man denke nur an das Artensterben, Massensterben oder Fauenschnitt genannt. Schon Hubert Markl (S. 319, in seinem Buch) hatte 1986 erkannt, dass Massensterben von Insekten auch vom Menschen zu verantworten ist.

 

                   Das Interdependenz- Narrativ

Das Interdependenz- Narrativ ist das phantastischste von allen. „Der Mensch ist als ein Teil von Netzwerken verteilter Handlungsträger zu verstehen, die auch Tiere, Pflanzen, Substanzen und Gegenstände einschließen“ heißt es bei Dürbeck. Nachempfunden wird hier der Aristotelische Aufbau der Welt, wie er unter dem Aspekt des Internets der Dinge (IoT) im Blog beschrieben wird. Es sind die vier Ebenen unseres Lebens, die verbunden werden: Die Sphäre der Somata, der unbelebten Dinge (Steine), die Bio- Sphäre der belebten Körper (Pflanzen), die Psycho-Sphäre der beseelten Körper (Tiere) und schließlich die Noo-Sphäre (Mensch) der beseelten Körper mit Sprache und Geist.

 

3. Anthropozänes Denken

Durch den Aufsatz  „ Wir müssen lernen, die Welt neu zusehen“ (FAZ_Online.04.01.2020) von Bernd Scherer bin ich darauf hingewiesen worden, dass neues Denken, ein anthropozänes Denken stattzufinden hat. Mir wurde sofort klar, dass unser Denken abstrakter werden wird. Im Anthropozän wird nach Scherer, am Beispiel gesprochen, aus Auto der abstrakte Begriff „Mobilität“, weil man unverändert (invariant) spricht gegenüber den Verkehrsmitteln         (Fahrrad, Auto, Motorrad. etc.), die beim abstrakten Reden über Mobilität gleichgültig sind. In den Naturwissenschaften und in der Informatik  ist invariantes Denken fundamental. In der Mathematik hat sich die weltberühmte Erlanger Mathematikerin Emmy Noether  (1882-1935) in der Invariantentheorie hervorgetan. Ich habe einige Zeit neben ihrem Geburtshaus in der Erlanger Hauptstraße gewohnt.

Man muss bloß immer eine Gleichheit, Äquivalenz feststellen, wie das gerade bei den Verkehrsmitteln geschehen ist.  Fahrrad  ~ Auto  ~ Motorrad ~  etc., mit dem Symbol  ‚~‘  für Gleichheit oder Äquivalenz.

1 Tonne CO2 äq im Lande X ~ 1 Tonne CO2 äq im Lande Y

Das Symbol  ‚~‘ heißt jetzt schadengleich. Gleichgültig, in welchem Land die Tonne CO2- Äquivalent emittiert wird, (ob in Australien, in Europa oder sonst wo), der angerichtet Schaden auf der Erde bleibt gleich, ist invariant (unverändert). Damit betrifft der Schaden alle Menschen, durch Zufall, mal den einen, dann den anderen härter. Sie, die Menschen (anthropoi), bewirken den Schaden, also müssen sie ihn auch tragen. Das ist eine schadenorientierte Deutung des Begriffs „Anthropozän“, ein hochpolitischer Begriff. Es gibt eine abstrakte Tonne emittierter CO2 äq, die in keiner Statistik auftaucht.

Das Problem: Abstraktes Denken ist bei Politikern noch nicht angekommen. Es muss alles konkret sein, und wenn bei mir im Konkreten nichts passiert, ist ja alles gut. Einfache Gemüter sind das, die so denken. Holozänes Denken nennt man das.

Es steht die Entscheidung an „Untergang oder Übergang: Natur als Kulturaufgabe“. Über die Entscheidung hat mein ehemaliger Kollege Hubert Markl in seinem Buch schon 1986 ausführlich berichtet. Das war vor 34 Jahren.

Aber das Sprichwort: „Durch Schaden wird man klug“ entstand auch im holozänen Denken. Es erinnert an den weisen chinesische Philosophen Konfuzius.

Konfuzius sprach:

Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln:

Erstens durch nachdenken, das ist der edelste,

zweitens durch nachahmen, das ist der leichteste,

und drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.

2 Kommentare zu „Anthropozän

  1. Wider den Klimawandel

    Der Mensch interagiert mit der Umwelt. Leben ist vom Standpunkt der IT-Unterstützung Interaktion. Interaktion findet auf sprachlicher Ebene (Dialog) und auf physischer Ebene (Kooperation) statt. Der Dialog (sein Resultat) steuert und überwacht beim Einsatz eines digitalen Interaktions-Management Systems das Geschehen bzw. die Kooperation in der analogen Welt.

    Die Lösung heißt: 1. Digitalisierung (Was läßt sich automatisieren?), 2. Interaktions-(Prozess-)Optimierung (z. B. gemessen am ökologischen Fussabdruck), 3. Edukation (z. B. zu mehr Bildung der Mitarbeiter in Unternehmen und im öffentlichen Bereich).

    Was zu tun bleibt ist: weltweit plattformgesteuerte interaktive Anwendungssysteme entwickeln und ausführen mit BPMN.

  2. Lieber Hartmut,
    als Nicht-Philosoph extrahiere ich aus Deiner interessanten Darstellung folgendes:
    * Der „Noo-Sphäre (Mensch)“ , „der mit dem beseelten Körper mit Sprache und Geist (Interdependenz- Narrativ)“ beeinflusst scheinbar ab einem gewissen Zeitpunkt mehr das allumfassende Weltgechehen als umgekehrt dieses bisher den Menschen beeinflusst und vor sich hergetrieben hat.; wobei die (Be)herrschung durch den Menschen für ihn selbst durch die gute bis schlechte Varianz der Seele (siehe oben) bzw. letztendlich durch die Nichtbeherrschbarkeit
    des allumfassenden Weltgeschehens zum Weltuntergang führen kann (z.B. Atombombe, Klimawandel , Satelliten-Einschlag, Virusepedemien …spätestens bis hin zum Wärmetod). „Scheinbar“ (s.o.) deshalb, weil der Mensch wohl nie das allumfassende Weltgeschen beherrschen kann bzw. wird.

    * Wo der Beginn des Anthropozän zu setzen ist ? Wie wär’s damit:
    Frühestens mit dem ersten vom Menschen entfachten Feuer .
    Das Ende des Anthropozän ist mit dem oben gesagten m.E. ebenfalls definiert.

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