Derzeit heiß diskutiert: Reverse Factoring. Die Idee dahinter ist nichts weniger als genial.
Mehr oder minder alle Lieferanten leiden unter der schleichenden Zahlungszielinflation. Die Ziele werden immer weiter nach hinten geschoben. Wer keine Krösus-Hausbank hat, bekommt irgendwann fast automatisch Probleme bei der Vorfinanzierung der Aufträge – und gerät möglicherweise deshalb in die Krise. Das kann kein Hersteller wollen.
Exakt hier setzt Reverse Factoring an. Es ermöglicht dem kleinen Lieferanten, seine Forderung liquiditätsfreundlich zu verkaufen – und jetzt kommt der Clou: nicht zu den eigenen, sondern zu den besseren Konditionen des großen Herstellers. Beim Reverse Factoring wird nämlich die Bonität des Herstellers angesetzt und die ist meist besser als die des Lieferanten.
Reverse Factoring ist deutlich günstiger als das klassische Factoring. Es verleiht große Stabilität in unsicheren Zeiten. Auf diese Weise kann Reverse Factoring ganze Supply Chains vor dem überraschenden Kollaps retten. Es verhindert, dass wichtige aber wackelige Partner in der Supply Chain Probleme bekommen. Und gleichzeitig kann der Hersteller weiter seine Zahlungsziele ausweiten. Auf diese Weise gewinnen alle dabei. Wenn das so genial ist, warum machen das dann nicht alle längst?
Dafür gibt es eine vordergründige und einige tiefgründige Ursachen. Die Vordergründige: Die EZB überflutet gerade den Finanzmarkt mit billigem Geld. Rätselhafterweise setzen selbst viele Unternehmen, die Reverse Factoring trotz Niedrigzinsphase dringend gebrauchen könnten, nicht auf dieses Instrument. Aus einem einfachen Grund: Sie haben keinen, der sich damit auskennt.
Die Finanzabteilung hat keine Zeit dafür und im Einkauf ist noch kein Financial Supply Chain Manager vorhanden. Wann wird einer eingestellt? Natürlich könnte man auch einen hellen Einkäufer auf dem Weg der betrieblichen Weiterbildung mit dem nötigen Know-how versehen. Aber warum sollte ein Einkäufer, der hauptsächlich für Savings incentiviert wird, ein Seminar zum Thema „Instrumente des modernen Financial Supply Chain Managements“ besuchen? Gemacht wird, was incentiviert wird.
Selbst wenn ein Einkäufer, eine Einkäuferin fit im Thema ist: Viele Lieferanten fürchten, in Abhängigkeit vom „großen Bruder“ zu geraten. Dazu lässt sich sagen: Sie sind doch schon abhängig! Das zeigt sich allein schon darin, dass der Hersteller immer später bezahlt. Mit Reverse Factoring ist man immer noch abhängig – aber wenigstens bekommt man sein Geld früher. Die Frage ist nicht: abhängig oder nicht? Sie lautet vielmehr: Wann entscheiden wir uns für die intelligentere Art der Abhängigkeit?
Das ist das Stichwort: Intelligenz. Genauer: Intelligente Supply Chain. Wagen wir eine Prognose: In fünf bis acht Jahren benutzen alle Partner in einer Supply Chain so selbstverständlich wie sie heute einen Kredit aufnehmen dann auch die intelligenten Instrumente des Financial Supply Chain Managements wie eben das Reverse Factoring. Weil die Welt rund ist und sich weiterdreht.
Täglich kommt etwas Neues hinzu. Und wie wir alle wissen: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wer darauf wartet, bis es alle machen, verschafft sich nicht nur keinen frühen Vorteil, sondern einen Nachteil. Denn in jeder Minute, in der wir solche neuen, innovativen Instrumente des Financial Supply Chain Managements nicht nutzen, verlieren wir im Grunde Geld.
Wer kann sich das schon leisten?