Heute fahr‘n wir Fahrrad

Weil wir radelnd das Klima retten, die Umwelt schonen, die Luft reinhalten und uns zweier oder dreier überschüssiger Kilo entledigen wollen. Das Wetter ist schön, fast 20 Grad und trocken, das Rad hat 27 Gänge oder einen E-Motor, also was hält uns davon ab?

Das Radwegenetz; wobei „Netz“ euphemistisch zu verstehen ist. Wir hier am Standort haben dabei noch Glück, wir sind die Ausnahme. Erlangen erringt im ministeriell geförderten Fahrradklima-Test 2022 des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC tatsächlich den 1. Platz unter den deutschen Städten mit über 100.000 Einwohnern; Nürnberg schafft es in der Kategorie über 500.000 Einwohner immerhin auf Platz 10. Doch Platzierungen sind ein fragwürdiges Kriterium, da sie nichts über die eigentliche Qualität der Platzierten aussagen. Das tun Schulnoten besser.

Also hat der ADFC sie vergeben. Erlangen schafft nur die Note 3,2; Nürnberg lediglich eine 4,2. Wissen wir auch warum?

Wer in Nürnberg wohnt: ja. Wir können uns denken, warum: zu wenig Radwege, zu viele in schlechtem Zustand und viele zu schmal. Beispiel: der Nürnberger Ring. Da ist der Radweg gerade mal 1,5m breit. Schon als Erwachsener erfordert das einige Lenkerkünste. Wie Kinder das meistern sollen, möchte man sich nicht vorstellen.

Zusätzlich zum dünnen Netz leiden Radler unter den allgegenwärtigen Konflikten mit Autofahrern, wenn diese den Radweg zuparken, den Weg schneiden, wenn sie ohne in den Außenspiegel zu schauen oder auch nur den Blinker zu setzen rechts abbiegen oder kraft Recht des Stärkeren achtlos durch den Verkehr brettern und Radler zur Notbremsung zwingen. Ganz zu schweigen von Baustellen, bei deren Abschrankung keiner an Radfahrer zu denken scheint. Das heißt nicht, dass alle Radfahrer Engel sind. Doch im Zweifelsfall ist selbst der schlimmste Rad-Rabauke bei einer Kollision mit PKW oder LKW trotz Helm immer noch das weichere Ziel. Wer also das Rad lieber stehen lässt und mit dem PKW weiter das Klima killt, handelt durchaus individuell rational.

Nichtsdestotrotz ist das Rad eines der wichtigsten Verkehrsmittel. Eine Studie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr von 2021 zeigt, dass sich 38 Prozent der Deutschen regelmäßig mehrmals die Woche aufs Rad schwingen. Wobei auch hier die Handy-Regel gilt: Jüngere nutzen beides häufiger als Ältere. Ebenfalls klar und logisch: In der Großstadt radelt man häufiger als auf dem Land. Trotzdem überrascht die Statistik: Im Schnitt verfügt jeder deutsche Haushalt über 2,2 Räder, jedoch nur über 1,5 Autos.

Auch ein schöner Trend: Lastenräder. Im Jahr 2021 wurden davon 167.000 Stück verkauft; ein Wachstum gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent. Das liegt vor allem an der kommerziellen Nutzung: Lieferdienste, aber auch Handwerker befahren die letzte Meile zunehmend mit dem Rad. Die Utensilien eines Malermeisters zum Beispiel passen für einen Maler-Job in einer Wohnung gut in den Stauraum eines Lastenrads – und der Meister hat mit dem Rad kein Parkplatzproblem in zugeparkten Innenstädten.

Wir sind hierzulande Rad-Diaspora, die Niederlande dagegen das gelobte Land. Allein in Utrecht treten täglich 125.000 Menschen in der Innenstadt in die Pedale. Dort steht auch das größte Radparkhaus der Welt mit – was schätzen Sie?

Mit 12.500 Stellplätzen. Utrecht hat 245 Kilometer geschützter Radwege, 90 Kilometer Radfahrstreifen und 18 Kilometer Fahrradstraße, wo grundsätzlich die Radler Vorfahrt haben. Das ist in kargen Zahlen das Geheimnis der Radnation: Netz und Nutzung verhalten sich komplementär. Mehr Wege, mehr Räder. Das ist trivial, doch diese Trivialität übersehen Sonntagsredner, die mehr Räder auf deutschen Straßen fordern und dabei geflissentlich übersehen, dass es an den Straßen, nicht an den Rädern liegt. Doch Radwege kosten bekanntlich Geld, das im Föderalismus zuweilen eine seltsame Eigenschaft annimmt: Keiner will es.

Natürlich will unsere Ampelregierung mehr Radwege und stellt dafür auch Millionen bereit. Doch Länder und Kommunen schöpfen die Fördermillionen nicht aus, weil sie diese um eigene Mittel ergänzen müssten, die sie nicht haben – entweder weil sie sie nicht haben oder weil sie ihr knappes Geld für andere Zwecke ausgeben müssen; wir alle ahnen, wofür. Der zuständige Bundesminister ermuntert die Kommunen zwar regelmäßig, die Gelder abzurufen, doch Moral Suasion ist ein schwacher Hebel, wenn ein Stadtkämmerer mit den konkreten Restriktionen eines kommunalen Haushalts kämpfen muss. Das fein ziselierte Konzeptionelle holt sich halt zuverlässig die blutige Nase am unerbittlich Konkreten.

Es ist derart immer wieder dasselbe, dass man es kaum mehr ertragen kann, weil es intellektuell so ermüdend und auch erniedrigend ist; eine Art Deutscher Dreikampf:

Erst werden hochfliegende Ziele nach den Gesetzen der Attention Economy mit Pauken und Trompeten proklamiert, danach hochkomplexe Konzepte mit schon deutlich weniger öffentlichem Interesse präsentiert, während konkrete Maßnahmen dann entweder komplett fehlen, bis ans Absurde grenzend unrealistisch sind oder enden wie das Hornberger Schießen. Was effektives Handeln angeht, eine echte Macher-Mentalität, kriegen wir noch immer nicht den Allerwertesten hoch.

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