Können sich chinesische Autofahrer eigentlich noch deutsche Autos mit deutschen Teilen leisten? Also mit Teilen, die aus Deutschland angeliefert, importiert, verzollt werden und dafür um die halbe Welt reisen? Und wenn wir gerade bei der Welt und der damit verbundenen Umwelt- und Klimaproblematik sind: Können wir uns das denn noch leisten? Nein.
Ein in Deutschland gefertigter und nach Asien exportierter Klein- oder Mittelklassewagen wäre dort schlicht unverkäuflich. Deshalb hat zum Beispiel Volkswagen in China inzwischen einen Lokalisierungsgrad von 90 Prozent erreicht – Tendenz steigend. Das heißt 90 Prozent eines chinesischen Volkswagens werden in China selbst gefertigt. Das ist nach Meinung der Volkswagen-Konzernlenker der zentrale Faktor ihres Erfolgs in China. Also nicht nur eine Frage von Umwelt, Klima, Logistikkosten und Marktakzeptanz im Zielmarkt.
Es ist auch eine Antwort auf die immer heftigere Komplexität von Liefernetzwerken und auf die steigende Bedeutung des Supply Chain Risk Managements: Wir können uns, ausgenommen Luxus- und Prestigegüter, den Teile-Tourismus doch gar nicht mehr leisten. Zu riskant. Anders ausgedrückt: Es gibt einen klar zu beobachtenden Trend zu vereinfachten, überschaubaren Supply Chains. Das stellt die Supply (Chain) Manager vor neue Herausforderungen.
Sie müssen in den Zielländern viele neue Lieferanten finden – und oft erst einmal eine entsprechende Einkaufsorganisation dort auf- oder ausbauen. Dadurch steigen zunächst die Einkaufskosten – aber die Produktionskosten und Lieferzeiten sinken und JIT oder Just in Sequence rücken in greifbare Nähe. Sofern das Unterfangen denn gelingt. Das ist nicht sicher.
Denn wie Studien zum Global Sourcing zeigen, sind gewisse globale Beschaffungsvorhaben oft nur in 20 Prozent der Fälle von Erfolg gekrönt. Die überwiegenden 80 Prozent sind vergebene Liebesmüh‘. Umso beeindruckender sind die Erfolge jener Unternehmen, die ihre Supply Chains bereits erfolgreich regionalisiert und lokalisiert haben: Think global, act local. Ist dies das Ende der Globalisierung?
Nein. Es ist eher ihr nächster logischer Schritt. Wir haben in den Ländern der Welt eingekauft, jetzt produzieren wir dort auch und bald schon siedeln wir sämtliche Funktionen von Einkauf über Marketing bis Vertrieb dort an: Alle Funktionen werden jetzt erst richtig global – nicht nur die Logistikströme. Die Logistikströme werden im Zuge der Lokalisierung der Globalisierung zurückgehen. Doch sie waren und sind auch nicht der eigentliche Kern der Globalisierung. Auch wenn das manchmal so scheinen mag.
Es mag leicht paradox klingen, doch es passt zur durchaus charakteristischen Paradoxität der Globalisierung: Wirklich global ist die Globalisierung erst dann, wenn alle Funktionen so global geworden sind, dass sie weltweit lokal vorhanden sind.
Sehr geehre Frau Prof. Hartmann,
vielen Dank für Ihren Blogeintrag!
Ich stimme Ihnen zu, dass der nächste Schritt der Globalisierung auch die Verschiebung aller Aktivitäten auf die globale Ebene beinhalten muss.
Ob dies nun paradox ist oder nicht hängt meiner Meinung nach grundlegend von der Sichtweise ab. Insbesondere in einem Land mit einer langen Industrietradition wie Deutschland, müssen wir erst verstehen was Globalisierung bedeutet. „Wirkliche“ Globalisierung beginnt also im Kopf und geht weit über Global Sourcing etc. hinaus.
Danke für Ihren aufmerksamen Hinweis auf die Bedeutung der Perspektive für die Betrachtung des Themas. Da kann ich Ihnen nur aus vollem Herzen beipflichten: ‚Globalisierung beginnt im Kopf‘. Wie Sie sagen: Das ist das Problem – und die Lösung.