Wer hat die Macht?

Die Welt ist nicht, was sie zu sein scheint. Wenn eine(r) zum Beispiel „Supply Chain ManagerIn“ heißt, heißt das nicht automatisch, dass er oder sie ausschließlich Supply Chain Management macht. Oft machen er und sie (auch, noch) etwas ganz anderes, beispielsweise Lieferanten im Preis herunterhandeln und Zahlungsziele ausdehnen. Das ist nichts Anrüchiges! Das Problem ist: Wer beides kann, ignoriert oft den Grund dafür, warum er oder sie es kann. Macht.

Wer Macht hat, kann herunterhandeln und ausdehnen. Warum sollte er nicht? Weil er damit unter Umständen erst der Supply Chain und dann sich selbst schädigt. Dem Kunden nämlich ist es egal, wie groß das Kostenpotenzial ist, das zum Beispiel ein mächtiger Hersteller dadurch gehoben hat, dass er seine Nachfragemacht gegenüber Lieferanten ausgespielt hat. Der Kunde interessiert sich lediglich dafür, ob er für seinen Preis eine entsprechende Leistung bekommt. Und wenn der Hersteller zum Beispiel einen altgedienten Lieferanten Dank Marktmacht und genügend Auswahl durch einen Lieferanten ersetzt, der 30 Prozent günstiger liefert, aber wegen der günstigeren Kosten nicht innovativ ist – Innovation kostet Geld – dann erhält der Endkunde ein preisgünstiges Produkt, das heute noch en vogue und morgen dann, wegen fehlender Innovation, veraltet ist. Spätestens dann schädigt der Hersteller sich selbst. Wer seine Macht nur für den Kostenpoker einsetzt, riskiert die Zukunft seines Erfolgs. Hier besteht ein Missverständnis.

Viele verbinden mit Supply Chain Management das Bild: Alle Wertschöpfungspartner sitzen um den runden Tisch und reden auf Augenhöhe miteinander. Das wäre schön und vielleicht ist es irgendwann so weit (vielleicht jetzt schon in einigen Supply Chains – wer hebt die Hand?). Wer jedoch zum heutigen Datum pauschal von dieser egalitären Sachlage ausgeht, abstrahiert von einer, wenn nicht der dominierenden Determinante menschlichen Zusammenlebens. Macht.

Machtverhältnisse werden eben nicht egalitär(er), indem man einen kompetenten Einkäufer zum Supply Chain Manager ernennt (dasselbe gilt für seine Kollegin). Supply Chain Management schafft Macht nicht ab. Darum kann es beim Supply Chain Management auch gar nicht gehen. Es kann nur darum gehen, die heute fast überall herrschenden asymmetrischen Machtverhältnisse entlang von Wertschöpfungsketten so zu gestalten, dass die Mächtigen nicht sich und der Supply Chain schaden, indem sie mit all ihrer Macht ein schlagseitiges lokales Optimum verfolgen anstatt eines supply-chain-übergreifenden Optimums.

Es gibt in jeder Supply Chain mit asymmetrischem Machtverhältnis einen Mächtigen. Oft freut sich dieser Mächtige mächtig, wenn er Preise und Konditionen fast nach Belieben bestimmen kann. Dabei übersieht der Mächtige regelmäßig: Es gibt in keiner Supply Chain einen noch so Mächtigen, der auf Dauer mächtiger wäre als – der Kunde. Nur wer seine Macht so klug einsetzt, dass am Ende die ganze Supply Chain diesem mächtigsten Partner in der Supply Chain dient, kassiert die ganze Macht-Rendite. Für Staatenlenker wie für Supply Chain Manager gilt: Macht ist nicht per se schlecht. Es kommt drauf an, was man draus macht.