„Du ruinierst den lokalen Einzelhandel!“, wirft eine gute Bekannte häufig ihrer munter online-bestellenden Tochter vor. „Dafür schone ich die Umwelt!“ kontert die Tochter unbeeindruckt. Gutes Argument. Aber stimmt es?
Wer ist der schlimmere Umwelt-Killer? Mutter oder Tochter? Die Mutter pustet beim Einkaufen mit dem Auto Schadstoffe in die Luft, die Tochter via Paketboten. Wer macht es richtig (im Sinne der Umwelt)? Diese Frage tobt nicht nur im Internet, sie wird auch unter Experten heiß diskutiert. Mit dem üblichen Ergebnis: Man liest nur wenige Zeilen der neuesten Studie und ist bereits vollständig verwirrt. Nach eingehender Datensichtung versuche ich, etwas Klarheit zu schaffen:
Erste Klarheit: Es gibt keinen Sieger. Nicht a priori. „Online ist umweltfreundlicher!“ Nein, eben nicht kategorisch, nicht von vorne herein und nicht einmal häufig.
Zweite Klarheit: „Online One-Way“ ist der Sieger. Wer beim ersten Besuch des Paketbotens die Tür aufmacht, nicht von der Paketstation abholt und auch nicht retourniert, ist der klare Sieger. Im Einzelfall. Als Normalfall gibt es diesen Sieger nicht: Die Hälfte bis im Extremfall zu zwei Dritteln der Online-Bestellungen werden retourniert, was die Öko-Bilanz versaut.
Drittens: One-Stop-Shopping ist der Sieger. Also genau umgekehrt: Die Mutter fährt einmal die Woche ins Einkaufszentrum, schiebt den Einkaufswagen vor sich her und kauft alles ein, was die Familie eine Woche lang braucht. Die Tochter dagegen ist ein echter Digital Native und bestellt mehrfach die Woche bei zwei, drei, vielen Online-Händlern jeweils einen, höchstens zwei Artikel – und mit jeder Bagatellbestellung tuckert der Paketbote dann 15 Kilometer raus aufs Land. Arme Bäume.
Viertens: Der Sieger aller Sieger jedoch ist – auf wen tippen Sie? Natürlich. Logisch. Aber darauf muss man im Automobil-Zeitalter erst einmal kommen: der Per-Pedes- und der Bike-Shopper. Null Emission (bis auf die Luft beim Ausatmen – aber die ist circa ceteris paribus). Wer mit dem Rad unterwegs ist, ist Nature’s Darling.
Fünftens: Auch die Paketstation ist Sieger – falls die Abholer sie zu Fuß erreichen oder mit dem Rad.
Aber im Grunde ist das kein Thema. Sieger? Verlierer? Geschenkt. Die echte Überlebensfrage für Natur, Moral und eine lebenswerte Welt ist: Was tun wir?
Wir können sowohl mit dem direkten als auch mit dem Online-Einkauf uns und die Welt schädigen. Wir tun es doch schon jetzt zig-millionenfach! Jeden Tag. Mit jeder schon beim Bestellen absehbaren Retoure („Nur mal anfassen!“), mit jeder unnötigen Fahrt Samstagnacht um halb zwölf wegen einer Tüte Chips und einem Sixpack. Sieger oder Verlierer? Wir sind alle längst Verlierer. Schluss damit. Everyone’s a winner! Jede(r) kann mitmachen:
- Immer mehrere Artikel zusammen bestellen oder direkt einkaufen. (Stichwort: Bündeln!)
- Retouren auf das Nötigste beschränken!
- Zu Fuß oder mit dem Rad einkaufen! Nicht immer, aber immer öfter.
- Melden Sie sich zur Paketstation an!
- Wie grün ist die Logistik Ihrer Online-Händler? Internet gibt Auskunft (und die guten Logistiker selbst).
- Instruktiv auch die Frage: Wenn alle so einkaufen/bestellen würden wie ich – wäre das gut oder schlecht für die Umwelt?
- Was ist mit der Unterstützung des örtlichen Einzelhandels für den Erhalt der kommunalen Strukturen? Sind Geisterstädte wirklich so attraktiv?
- Und noch grundlegender und trend-settiger: Nutzen statt Besitzen, Shareconomy, E-Book statt Printausgabe online bestellen, Qualität statt Quantität, Minimalistischer Lebensstil, mehr Genuss jenseits von Kauf und Konsum …
Shopping ist schön – aber nicht das eigentliche Thema. Umweltschutz ist wichtig, aber nicht der springende Punkt. Worum es wirklich geht ist: unser Verhalten. Wie verhalten wir uns beim Einkaufen, gegenüber der Umwelt, beim Bestellen, Wohnen, Anziehen, Reisen, Essen, Arbeiten? Wir wissen längst alles, was wir wissen müssen, um ein umweltgerechtes, moralisches, zukunftswertes, nachhaltiges Leben zu führen. Wir wissen so viel. Und tun so wenig. Um es mit Mehrabian zu sagen: „Knowledge is overrated, behaviour underrated.“