Sieben stramme Sünden

Rana Plaza – erinnern Sie sich? 1.100 Näherinnen kamen beim Einsturz des Fabrikgebäudes ums Leben. Das Gebäude war auditiert.

Rana Plaza ist eines von vielen „geprüften Supply Chain-Desastern“. Kein Wunder, dass inzwischen selbst neutrale Experten meinen: „Audits bringen nichts!“ Die Polemik lautet: Just for show – not for safety! Mehr Schein als Sein. Audits würden nicht der Nachhaltigkeit von Lieferketten, sondern lediglich dem Greenwashing dienen.

Nota bene: Es gibt einwandfreie, scharfe Audits, bei denen drin steckt, was drauf steht. Wir reden hier jedoch über die anderen, welche die Gesamtheit der Audits und Zertifikate in Verruf bringen. Wie machen die das?

Ein kleines Beispiel. Nehmen wir an, der Brandschutzstandard beträgt „1 Feuerlöscher pro X qm Fertigungsfläche“. Der Auditor kommt, zählt die Feuerlöscher durch, macht den Haken – und die Arbeiter lachen sich schlapp. Solche Beispiele werden in Procurement und SCM gehäuft kolportiert. Die Arbeiter lachen, weil: „Der Chef hat die Feuerlöscher gestern von einer seiner anderen Firmen geholt und bei uns reingestellt. Morgen sind die wieder weg!“ Das ist krass? Nein, das ist der Sündenfall. Terra Choice hat die „7 Sins of Greenwashing“ kategorisiert:

  1. Sünde: Lüge! Bezeichnenderweise die seltenste Sünde. Denn im Zeitalter von Internet und moralbewussten Kunden fliegen Lügen zu schnell auf: Shitstorm droht!
  2. Sünde: Fälsche Zertifikate! Indem man behauptet, man besitze ein Zertifikat, das man nicht hat. Die zertifizierende Stelle kann unmöglich sämtliche Produkte und Hersteller überprüfen.
  3. Sünde: Nimm das kleinere Übel! Man listet zum Beispiel mit großem PR-Trara Lieferanten aus, die Kindersklaven halten: „Ohne Kinderarbeit hergestellt!“ Und ordert dafür stillschweigend bei welchen, die Erwachsene für 50 Cent am Tag schuften lassen. Was denn? Die Supply Chain kommt doch immerhin ohne Kinderarbeit aus!
  4. Sünde: Versteck den Trade-off! Man verlautbart beispielsweise stolz, dass für ein Produkt nur zertifizierte Rohstoffe eingesetzt werden – dafür verschleudert die völlig ineffiziente Produktion Megawattstunden an Elektrizität.
  5. Sünde: Behaupte das Unzertifizierbare! Nachhaltigkeit folgt definierten Kriterien. Verletzt die Supply Chain diese, behauptet man einfach, dass man andere Kriterien mit Bravour erfüllt. Kriterien, die nicht zertifiziert werden können. Woher soll der Kunde wissen, was alles auf der Auditliste steht – und was nicht?
  6. Sünde: Sprich vage! Man verwendet gut klingende, aber unverbindliche Ausdrücke wie „aus natürlichen Rohstoffen“. Auch Uran ist ein natürlicher Rohstoff …
  7. Sünde: Behaupte Bedeutungsloses! Ein regionaler Lieferservice wird zum Beispiel als „besonders schonend für unsere heimischen Gewässer“ beworben. Dabei kommt der Serviceprozess höchstens dann mit Wasser in Berührung, wenn der LKW-Fahrer zur Sprudelflasche greift …

Das klingt zynisch? Das klingt nicht nur so. So wird das auch praktiziert. Und jeder von uns nutzt jeden Tag Dutzende solcher sündiger Produkte und Dienstleistungen. Wie fühlen Sie sich damit?

„Aber dafür kann ich doch nichts!“ Nicht dafür, aber dagegen. Vielleicht können wir den Sündenfall nicht verhindern. Doch wir können uns weigern, zu Passivsündern gemacht zu werden. Wir können uns weigern, Produkte und Services zu nutzen, die zur Passivsünde verführen. Und wir können Sündenfälle aufdecken, darüber reden und sie nicht länger tabuieren. Ein junger Mitarbeiter geht weiter.

Er und seine Kolleginnen und Kollegen haben ein Bürospiel daraus gemacht. Sie gehen auf die Jagd. Im Internet. Eine aufregende, eine lohnende Jagd im Sinne der guten Sache. Eine Jagd, bei der die Gejagten nicht auf der Strecke bleiben. Im Gegenteil. Viele „Sünder“ warten geradezu darauf, „entdeckt“ zu werden, denn: „Ohne Druck von außen ändert sich bei uns nichts! Im Grunde müssten wir Ihnen noch dankbar sein.“ Gern geschehen

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