Logistik hat was Magisches. Ganz im Gegensatz zum normalen Leben. Stellen Sie sich vor, Sie schieben das Erledigen Ihrer Steuererklärung hinaus oder ein wichtiges Gespräch, eine Planung, das Schreiben Ihrer Master-Arbeit. Wie wir alle aus leidvoller Erfahrung wissen: Vom Hinausschieben wird’s nicht besser. Psychologen bezeichnen das als Postponement, der Volksmund als Aufschieberitis. Das gibt es auch im Supply Chain Management. Und, oh Wunder: Hier ist Postponement ein Erfolgsrezept. Auch für Benetton.
Benetton schob früher nicht auf. Wenn die Firma ein grünes T-Shirt herstellen wollte, dann kaufte sie Garn ein, färbte es grün, wob es, schnitt den Stoff zu, nähte ihn zusammen – und stellte am Ende fest: Grün ist leider out. Das ging in der Textil- und anderen Industrien so lange, bis jemand auf die Idee kam: Schieben wir das Ganze einfach auf!
Natürlich nicht „das Ganze“, sondern exakt jene Elemente (wie die aktuelle Modefarbe), über deren Nachfrage am Ende der Produktionsdauer Unsicherheit herrscht. Seither wird das komplett fertige T-Shirt sozusagen erst kurz vor der Ladentheke marktfertig gemacht. Seine Farbgebung und damit die Fertigstellung wird „ganz nach hinten“ verschoben. Das nennt man Postponement.
Streng genommen nennt man diese Variante „Assembly Postponement“, weil eine traditionelle Prozessreihenfolge der Produktion so verändert wird, dass die nötigen Varianten des Produkts erst möglichst spät generiert werden. Der Imperativ lautet: Verschieb alles, was Unsicherheit oder schnellem Wandel unterworfen ist, möglichst ans Ende der Supply Chain. Wie sinnvoll das ist, zeigt sich rein gedanklich an seinem anderen Extrem: Leg sämtliche Varianten eines Angebots auf Lager – irgendeine Variante wird sich schon verkaufen. Das wäre SCS – Supply Chain Suicide. So ein Ansatz der megalomanen Lagerhaltung funktioniert bestenfalls für weiße T-Shirts oder ähnlich gut prognostizierbare Güter.
Es gibt nicht nur Assembly Postponement. Man unterscheidet generell zwischen Wertschöpfungs-Postponement und Logistik-Postponement. Ich kann in der Produktion die Variantenvielfalt nach hinten schieben oder in der Distribution. Wenn ich innerhalb der Produktion aufschiebe, kann ich Assembly Postponement betreiben wie Benetton. Oder ich kann Labeling Postponement und Packaging Postponement machen.
Wenn Miele zum Beispiel eine Waschmaschine ausliefert, erwartet der Kunde in Italien natürlich, dass vorne am Bedienfeld „Schonwaschgang“ auf Italienisch draufsteht (italophile LeserInnen dürfen uns hier gerne übersetzerisch weiterhelfen). Das steht dann auch drauf. Aber nicht, weil die Maschine so vom Band läuft, sondern weil im Auslieferungslager der SCM-Mitarbeiter das korrekte, landessprachliche Bedienfeld anbringt. Das ist Labeling Postponement. Das heißt so, weil die Variantengenerierung quasi lediglich durch Aufkleben eines Etiketts erledigt wird. Und nicht nur für Italien, sondern für sämtliche Lieferländer. Das ist sehr viel günstiger als beispielsweise 500 Varianten für jedes Land auf Lager zu halten – und plötzlich sorgt ein unerwarteter Boom in Rumänien für eine Nachfrage von 700 und Miele kann 200 Stück nicht liefern. Aber Miele kann, denn Miele postponed.
Das meinen wir, wenn wir sagen: Nicht das bessere Produkt gewinnt in Zukunft, sondern die bessere Supply Chain. Wer heute noch wie gestern produziert, liefert sicher Qualität. Aber eben nicht mehr die nötige Rendite, weil seine Supply Chain so moderne Instrumente wie das Postponement nicht drauf hat. Das kann sich heutzutage keiner mehr leisten. Deshalb braucht es Menschen, die etwas von modernem Supply Chain Management verstehen und dessen Instrumente beherrschen. Menschen, die jeden Tag neue Möglichkeiten entdecken, andenken, konzipieren und dann auch einführen, um noch einige Produktteile, noch ein Feature oder ein Angebotselement nach ganz hinten zu verschieben. Porsche hat solche Leute. Natürlich.
Porsche betreibt (unter anderem) Logistik-Postponement. Der Autobauer weiß aus Erfahrung, dass zum Beispiel für den 911er, Baujahr 78, jedes Jahr X Ersatzteile der Artikelnummer Sowieso auf der ganzen Welt nachgefragt werden. Porsche garantiert 30, für manche Modelle 50 Jahre weltweite Ersatzteilliefersicherheit. Und nun stellen wir uns vor, dass in jedem Land der Welt jedes Ersatzteil für jedes Modell und jede Baureihe auf Lager liegt. Porsche wäre schon lange bankrott. Oder die Ersatzteile wären unbezahlbar.
Deshalb betreibt Porsche Logistik-Postponement. Man lagert die meisten Ersatzteile eben nicht auf Vorrat allen Ländern ein. Sondern man schiebt die Belieferung der Länder bis zum spätestmöglichen Zeitpunkt hinaus: Bis eine Werkstatt das Teil ordert. Erst dann wird geliefert. Per Hochleistungslogistik. Luftfracht binnen 72 Stunden in jedes Land der Welt. Sagt Porsche. Das müssen Sie und ich nicht ohne weiteres glauben.
Sie und ich können das bei den Leuten von Porsche auch selber en detail nachfragen. Nämlich morgen, Dienstag, 28.6., um 15 Uhr in der Porsche Gastvorlesung im H6.
Ein Kommentar zu „Porsche, Postponement“
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