Jetzt also der Brexit. Wir sind im Supply Chain Management. Was heißt das eine für das andere?
Zunächst einmal heißt es: Achterbahnfahrt. Wie immer, wenn die Ungewissheit mächtig und relativ kurzfristig zuschlägt. Auf der Achterbahn, Sie verzeihen mir den Metaphernsprung, trennt sich bereits jetzt die Spreu vom Weizen, wie in allen Krisensituationen: In guten Zeiten geht es allen gut, in schlechten nur den Guten. Die Guten sind in diesem Falle die hoch flexiblen Supply Chain Manager.
Flexibilität ist erste Krisenpflicht. Bei sprunghaften Veränderungen der Rahmenbedingungen, ganz gleich ob nun Vulkanausbruch, Eisenbahner- oder Luftfrachtstreik oder eben Brexit, schneiden die Agilen und Flexiblen einfach besser ab. Weil flexibel krisenresilient macht. Wie das chinesische Sprichwort sagt: „Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm, aber er bricht nicht.“ Wie zum Beispiel die stolze, aber relativ rigide Eiche.
Diese Flexibilität verleiht einer Supply Chain zum Beispiel Multi Sourcing: Statt ein Gut aus einer einzigen Quelle zu beziehen, sourct man es – schon vor einer etwaigen Krise – aus mehreren alternativen Bezugsquellen. Wird dann die eine Quelle unsicher oder unattraktiv, weil zum Beispiel die rechtlichen Rahmenbedingungen zwischenstaatlich neu verhandelt werden müssen, kann man flexibel auf die bereits gut gepflegten alternativen Lieferanten ausweichen. Und nicht etwa panikartig und meist zeitaufwändig und nicht selten vergeblich erst in der Krise, sondern weil man bereits lange vor der Krise sich mehrere Optionen offen gehalten hat. Wer seine Supply Chain derart multioptional aufgestellt hat, fährt bereits heute gut damit. Und morgen? Was passiert langfristig mit Europa und seinen Versorgungsnetzwerken?
Zwei grundlegende Szenarien sind denkbar. Wie so oft beim Szenarieren: (mindestens) ein positives und ein negatives. Erst das positive: Alles bleibt mehr oder weniger beim Alten. Man arrangiert sich. Großbritannien bekommt einen Status ähnlich der Schweiz. Die Logistik bleibt sich mehr oder minder gleich. Allfällige Veränderungen lassen sich mit etwas Flexibilität und Agilität kompensieren. Plus ça change, plus c’est la même chose, wie die Franzosen sagen: Je mehr sich etwas ändert, desto mehr bleibt es dasselbe. Das zweite Szenario bestreitet das. Heftig.
Im zweiten Szenario rollt die Referenden-Welle. Es kommt der Öxit, der Denxit, der Porxit … Viele Länder steigen aus der EU aus. Damit wären dann nicht nur die EU-Rahmenverträge hinfällig, sondern auch ähnliche Abkommen wie TTIP, die früher mal mit der EU abgeschlossen wurden, die es als einheitlichen Handelsraum nach den vielen Austritten dann ja nicht mehr gibt. In Folge dessen würden sich die logistischen Prozesse verkomplizieren, verteuern und verlangsamen. Wer schon mal in der deutschen Niederlassung eines kleinen asiatischen oder afrikanischen Land saß und auf ein dringend benötigtes Ersatzteil wartete, das jedoch auf buchstäblich unabsehbare Zeit im Zoll hängen bleibt (wobei zunächst niemand so genau weiß oder sagen kann, welches Formular denn nun für eine zügige Verzollung fehlt), der weiß auch, was dieses Szenario androht. Just in Time, E-Commerce, die weltweiten Liefernetzwerke und die Globalisierung an sich würden einen Schlag der Marke „Hulk Smash“ erleiden. Die inzwischen sehr schnellen logistischen Prozesse würden (wieder) durch Zoll-, tarifäre und bürokratische Hemmnisse sondergleichen ausgebremst.
Das Gute vom Schlechten und die gemeinsame Komponente von unmittelbarer Gegenwart und dieser dystopischen Zukunft: Den Guten geht’s immer noch gut. Wenn man gut, das heißt agil und flexibel ist, kann man mit den Tremeloes (ist schon lange her) singen: Even the bad times are good. Wenn eine Supply Chain für viele Eventualitäten ausgelegt ist, die Supply Chain Manager „im Gehen denken“ können (Kompetenzentwicklung!), schnelle Entscheidungen getroffen werden (Prozesseffizienz!) und die Firmenkultur eine Kultur der Veränderung statt der Fehlervermeidung (Cultural Change!) ist, dann kann viel passieren, ohne dass was passiert.
Je wechselhafter die Zeiten, desto wichtiger werden Fähigkeiten wie Agilität, Flexibilität, Krisenresilienz, Stressresistenz und Risikostabilität auf individueller und organisatorischer Ebene. Das hört sich banal an, ist es aber (noch) nicht: In vielen Unternehmen regiert noch das Primat der Kosteneffizienz: „Flexibilität ist ja schön und gut“, höre ich noch oft. „Aber das kostet Geld!“ Stimmt – nicht ganz: Sehr viel mehr Geld kostet es, unflexibel zu bleiben und deshalb Geschäft zu verlieren. Was früher die Kosteneffizienzprojekte waren, sind heute in führenden Unternehmen und Köpfen die Flexibilitäts- und Agilitätsprojekte. Und bei Ihnen ?