Das Imperium erobert

Die Chinesen kaufen Kuka, Daimler kaufte damals Chrysler –beides typische Symptome der Globalisierung: sogenannte FDI, Foreign Direct Investments. Auf gut Globalesisch: Jeder kann in jedem Land alles kaufen (wenn er das Geld hat).

Warum macht man sowas? Warum kaufen wir? Aber genau hier liegt schon der Unterschied: Wenn ich mir ein neues Tablet kaufe, dann möchte ich es benutzen. Wenn dagegen ein Investor Produktivvermögen im Ausland erwirbt, will er was?

Kontrolle. Unter anderem. Was er sonst noch möchte, ist das, was jeder Global Player möchte: Neue Märkte erschließen oder günstige Produktionsstandorte, Innovationen oder Innovationskraft einkaufen, ohne sie selbst mühsam entwickeln zu müssen, einen unbequemen internationalen Mitbewerber eliminieren, Steuervorteile nutzen (deshalb ist Irland so beliebt bei IT-Firmen). Manchmal vermeidet man mit einer FDI auch Wechselkursrisiken. Alles in allem: lauter Vorteile. FDI ist eine gute Sache. Und was haben gute Sachen?

Einen Haken. Immer. Grundsätzlich ist es schön, wenn, sagen wir, ein deutscher Konzern eine Fabrik in Bangladesch kauft oder aufbaut. Man denkt sofort an Know-how-Transfer, Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen und dringend benötigter Infrastruktur, mehr Wohlstand für die Region durch den Trickle-down-Effekt. Manchmal auch Multiplikatorwirkung: Der Konzern investiert 8 Mio., doch am Ende der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung steigert sich das regionale Inlandsprodukt um 20 Mio. Und jetzt der Haken.

Der große, moderne, potente Investor mit seiner überragenden Technologie macht lokale Konkurrenten platt. Mähdrescher gegen Dreschflegel, CNC-Drehbank gegen Amboss, Rundstrickmaschine gegen Webstuhl, Mammutplantagen gegen bäuerliche Kleinbetriebe – das hoch moderne FDI verdrängt „rückständige“ lokale Anbieter. Bekannt als Crowding-out, Verdrängung. Das Land hat dann zwar, zum Beispiel, eine hoch moderne Geflügelfarm mit 50.000 Puten, aber trotzdem hungern die Menschen, weil die Kleinbauern ihre Puten nicht so industriell preisgünstig anbieten können, deshalb in Konkurs gehen, ihre Produktion fällt aus, die Menschen hungern – und die Preise der Fleischfabrik steigen.  Man fühlt sich an die frühen Tage des Imperialismus erinnert: Die Conquistadores marschieren ein und machen alles platt. Schlimm. Noch ein Haken?

Ja. Zweiter Haken: Das Race to the Bottom. Viele Länder sind natürlich an FDI interessiert. Sie wissen: Investoren investieren umso eher, je niedriger die Steuern, je deftiger die Subventionen, je geringer der Mindestlohn und je lockerer die Arbeitsschutzbedingungen sind. Also senkt man alle diese Disincentives to Invest. Leider kriegt dies das Nachbarland mit – und senkt noch heftiger. Und eh‘ man sich’s versieht, unterbieten sich die Länder gegenseitig im Rennen um die Abschaffung jeder Vernunft. So entstehen Sweat Shops, Kindersklaverei und Hungerlöhne. Sehen die Länder nicht, was sie anrichten?

Doch, natürlich. Aber was soll man machen, wenn man weder das Kapital noch das Know-how hat, um international wettbewerbsfähig zu werden oder auch nur seiner Bevölkerung Arbeitsplätze, Kleidung, Behausung und Nahrung zur Verfügung zu stellen? Wer arm ist, entscheidet nicht immer klug. Und doch ist genau dies das Stichwort: klug entscheiden.

Zum Beispiel für eine Spill-over-Strategie. Wenn ich mir einen Investor raussuche, der meiner eigenen Branche in Technologie, Innovation und Management um 20 Jahre voraus ist, dann macht der die Branche platt. Wenn ich jedoch einen Investor wähle, der „nur“, sagen wir, fünf Jahre Vorsprung hat, dann können meine einheimischen Konkurrenten von ihm lernen, abgucken im besten Sinne. Ihre eigenen Mitarbeiter entsprechend schulen. Seine erfahrenen Mitarbeiter abwerben. Dem Investor tut das nicht sonderlich weh, weil er sich seinen Vorsprung natürlich erhält. Und jedes Mal, wenn er eine neue Innovation in seinen Innovations-Pool füllt, fließt ein wenig über zu den lokalen Konkurrenten: Spill-over. Wenn die Regierung des Landes also klug ist, dann lässt sie nicht jeden rein, sondern vor allem Investoren mit reichlich Spill-over-Potential.

Und wieder erkennen wir: Das moderne Supply Chain Management und die vielgepriesene und vielgescholtene Globalisierung sind für sich genommen weder gut noch böse. Beide können beides sein. Aber im Grunde kommt es nicht auf beides an. Sondern auf uns. Die Menschen, die beides steuern. Es kommt nicht darauf an, was es ist. Es kommt drauf an, was wir draus machen. Machen wir.