Das ist ein Skandal!

Alle LKW auf unseren Straßen müssen Grenzwerte einhalten, zum Beispiel bei den Stickoxiden, kurz NOX. Jetzt fand der Berufsverband Camion Pro e.V. heraus: Sage und schreibe 20 Prozent der osteuropäischen Laster auf unseren Straßen überschreiten den NOX-Grenzwert deutlich. Das ist eine Sauerei. Eine doppelte.

Denn wer den Grenzwert nicht einhält, verpestet Mensch und Umwelt. Und er verschafft sich einen illegalen Kosten- und Wettbewerbsvorteil vor allen ehrlichen Spediteuren, die sich an Gesetz und Grenzwert halten. Wie so oft steckt die Gier dahinter.

So ein LKW ist dann menschen- und umweltfreundlich, wenn er AdBlue im Tank hat. Der Liter dieses Dieselzusatzstoffes kostet 50 Cent. Bei 30 Litern Dieselverbrauch auf 100 Kilometer braucht ein LKW 1,5 Liter AdBlue für eben diese 100 Kilometer. Das macht 75 Cent Mehrkosten. Wenig? Nicht in der Summe. Das Bundesamt für Güterverkehr BAG stellt fest, dass osteuropäische LKW 8 Milliarden Kilometer auf mautpflichtigen deutschen Straßen zurücklegen. Pro Jahr. Bei dieser Kilometerleistung ergeben die eingesparten Ausgaben ein hübsches Sümmchen, jede Menge eingesparter Ausgaben und einen starken Wettbewerbsvorteil gegenüber ehrlichen Spediteuren, wenn die Kosteneinsparung teilweise per Preis an Kunden weitergereicht wird. Und das geht schon seit Jahren so!

Das ist wieder mal typisch. Ehrliche Unternehmen werden benachteiligt – aber laufen die Medien Sturm? Schlagen die Behörden Alarm? Greift die Politik rettend ein? Im Gegenteil. Der ganze Skandal wird mehr oder weniger verschwiegen. Da machen wir nicht mit. Warum wird nicht schärfer kontrolliert?

Das ist eines der Probleme, die man lösen müsste, wenn man denn wollte. Die Polizei kann NOX-Verstöße nicht so ahnden, wie sie täglich mangelhaft gesicherte Ladung ahndet: durch Augenschein. Ob ein LKW zu viele Stickoxide ausstößt, kann nur auf dem Prüfstand ermittelt werden. Heißt es. Für die Studie hingegen wurde eine mobile „Spürnase“ entwickelt, um LKW mit auffälligen Abgaswerten zu identifizieren. Für Kontrollen des BAG ist diese jedoch nicht anwendbar.

Wie heftig der Schaden ist, zeigt die Wirksamkeit von AdBlue: Der Dieselzusatz reduziert den NOX-Ausstoß von Dieselfahrzeugen um sagenhafte 90 Prozent. Wer kein AdBlue in den Tank gibt, verzehnfacht nach Adam Riese seinen NOX-Ausstoß. Warum wirkt AdBlue so stark? Was ist das für ein Zaubertrank im Tank?

Jemand, der sich mit Chemie nicht gut auskennt, würde bestimmt keine Harnstofflösung dahinter vermuten. Doch genau das ist es. Ganz grob gesprochen (Chemie-Cracks dürfen mich gerne korrigieren): Der Harnstoff nimmt per chemischer Reduktion vom NOX das O weg – und aus Stickoxid wird Wasser und ganz normaler Stickstoff, wie er auch in der Luft enthalten ist. Tankt der Spediteur kein AdBlue, dann stürzt der LKW von der derzeit geltenden Euro-6-Norm auf die Euro-3-Norm ab. Diese Norm ist lange überholt: Sie galt in den 90er-Jahren.

Damit kommt ein drittes Verbrechen hinzu: Mautbetrug. Denn ein Euro-6-LKW, der eigentlich ein Euro-3-LKW ist, müsste viel mehr Maut bezahlen. Tut er aber nicht. Konsequenz: Dem deutschen Staat, also uns allen, entgehen 110 Millionen Euro. Jährlich.

Ganz zu schweigen vom Schaden für die Umwelt: Durch den Betrug werden jährlich 14.000 Tonnen NOX zusätzlich, unnötig und illegal in unsere Atemluft geblasen. Diese Belastung entspricht dem Zweifachen dessen, was der VW-Skandal in den USA verursacht hat. Aber schreien die Medien empört auf? Echauffieren sich Politiker öffentlich in Radio und TV? Beherrscht das Thema wochenlang die Schlagzeilen? Fehlanzeige. Nix zu hören und zu lesen vom AdBlue-Skandal. Das ist der eigentliche Skandal.

Die Branchenverbände rotieren auf 180 und fordern: endlich wirksame Kontrollen, harte Geldstrafen und in letzter Konsequenz die Stilllegung ertappter LKW. Mal sehen, wie lange unsere Politiker und Medien brauchen, um diesen Skandal auch nur gebührend wahrzunehmen. Und dann wundern sich Kommentatoren quartalsweise, warum wir so politikverdrossen, demokratiemüde und medien-skeptisch geworden sind. Leute, kommt in die Gänge!