Hört sich toll an, nicht wahr? Superfood! Ich ess‘ ein Super-Nahrungsmittel – und schon geht es mir besser, ich bleibe gesund und fit und fühle mich gut! Ich trinke zum Beispiel jeden Morgen einen grünen Smoothie mit Chia-Samen und komme deshalb ohne Grippe durch den Winter! Oder: Ich esse jeden Tag eine Handvoll Acai-Beeren und nehme ab, bleibe gesund und fit. Das denken nicht nur trendsettende Menschen mit alternativem Lebensstil in den angesagten Vierteln der Metropolen.
Das denken inzwischen so viele, dass mittlerweile schon die Dorfbäckereien Chia-Brote anbieten. Weil es in ist. Weil es im Trend ist. Ist es auch sinnvoll? Das heißt: Halten die Super-Nahrungsmittel, was sie versprechen?
Teils, teils. Einige bringen tatsächlich gesundheitliche Vorteile, bei anderen kann die versprochene Wirkung wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Der Unterschied ist nicht immer leicht und schnell erkennbar. So galt Cranberry-Saft lange Zeit als wirksame Therapie und Vorbeugung von Blasen- und Harnwegsentzündungen. Vor allem, weil eine Meta-Studie des renommierten, neutralen Cochrane-Instituts eine schwache Wirkung bestätigte. Inzwischen gilt die Erkenntnis als widerlegt: In einer aktuellen Meta-Studie nahmen tausende Probanden einen Monat lang täglich in ausreichender Dosis die Wunderbeere als Saft, Extrakt oder Kapsel zu sich, ohne dass sie von einer akuten Erkrankung schneller genesen oder die nächste Entzündung verhindern konnten.
Trotzdem erfreut sich die Cranberry immer noch starker Beliebtheit: Gutes Marketing. Wenn schon nicht die Cranberry wirkt, so doch die Werbung. Und zwar hoch effektiv. Wenn unsere Medizin oder auch nur die Superfoods so gut wirken würden, wir könnten jeden Tag Wunderheilungen erleben. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Superfood stellt sich jedoch noch aus einem andern Grund.
Viele der Superfoods kommen von ganz weit weg. Die Acai-Beere aus dem Amazonas-Gebiet, der Chia-Samen aus Lateinamerika, Quinoa wird besonders in Peru und Bolivien angebaut. Und schon sind wir wieder bei der Logistik. Und bei der Nachhaltigkeit. Nicht nur der ökologischen Nachhaltigkeit eines so langen Transportwegs.
Sondern auch bei der sozialen Nachhaltigkeit: In den Ländern, aus denen diese Superfoods stammen, sollten diese Lebensmittel doch sinnvollerweise eher zur Bekämpfung des dort herrschenden Hungers und der Mangelernährung vor allem der ärmeren Bevölkerung dienen – und nicht den Exporterlösen der reicheren Schichten. Das Gegenteil passiert.
Durch unsere stürmische Nachfrage aus dem Westen haben wir die Preise für diese Nahrungsmittel derart in die Höhe getrieben, dass sich die einfachen Menschen diese Lebensmittel gar nicht mehr leisten können. Das gilt nicht nur auf der Nachfrage-, sondern auch auf der Produzenten-Seite: Die kleinen Bauern, die diese Nahrungsmittel früher erzeugten, werden häufig von Großbetrieben verdrängt, die sich die satten Gewinne sichern wollen. Der Export nach Amerika und Europa ist schlicht gewinnbringender als die Ernährung der eigenen Nachbarn im Herstellerland. Super ist das nicht.
Es ist vielmehr so, wie es oft in Zeiten der Globalisierung ist: Uns geht es gut, weil es anderen schlecht geht. Das ist insoweit peinlich als Menschen, die solche Superfoods konsumieren, häufig ein besonders intensives Bewusstsein für das Wohl der Welt und ihrer eigenen, persönlichen Welt pflegen. Sie wollen Gutes tun, sich und der Welt. Dass sie das erreichen, indem sie Menschen in fernen Ländern in Armut, Hunger und sozialen Abstieg stürzen, ist den meisten noch nicht einmal bekannt. Denn für diesen Zusammenhang macht natürlich niemand millionenschwer Werbung.
Ein Glück, dass sich das Dilemma doch so einfach lösen ließe: Es gibt auch heimisches Superfood. Dessen Namen klingen vielleicht nicht so exotisch wie Acai oder Cranberry. Doch statt Chia können Sie und ich auch Leinsamen ins Müsli rühren – kostet ungefähr ein Zehntel, kommt aus heimischen Landen und nimmt keinem Job und Lebensmittel weg. Wer nur auf die Werbung und nicht auf Ernährungsberater hört, weiß nicht, dass Broccoli, Grünkohl, Spinat, Feldsalat, Kräuter, Wahlnüsse und viele andere Nahrungsmittel von heimischen Experten bereits seit Jahrzehnten als Superfood empfohlen werden. Schon Großmutter wusste das und bereitete diese Lebensmittel zu. Vielleicht, weil damals die Werbung noch nicht so gut war.
Natürlich kann Grünkohl einer Cranberry nicht das Wasser reichen – was Branding, Exotik und Trendwertigkeit angeht. Grünkohl – wie sich das schon anhört! Trotzdem ersetzt ein Trend kein Gewissen und Marketing ist kein gleichwertiger Ersatz für Moral. Selber zu denken, ist im Zweifelsfalle immer besser, als der Mode hinterher zu laufen. Selber denken und sich informieren – was Sie offensichtlich gerade tun. Das freut mich!
Nicht der Clique und dem Trend zu folgen, kann Statusverlustangst und soziale Sanktionen auslösen. Kurzfristig. Langfristig ist es immer besser, mit dem eigenen Kopf zu denken und eigene Entscheidungen zu treffen. Fühlt sich besser an. Und ist besser.
Word!
„Selber zu denken, ist im Zweifelsfalle immer besser, als der Mode hinterher zu laufen.“