Wir decarbonisieren

Mal wieder ein cooles neues Modewort: Decarbonisierung. Früher sagte man: Wir schonen die Umwelt! Heute machen wir zwar noch dasselbe, aber wir formulieren das hipper: Wir nehmen die Kohlenstoffverbrennung aus den Wirtschaftsabläufen, wir decarbonisieren. Erdgas, Benzin, Diesel und Kohle, wenn sie verbrannt werden, entstehen Treibhausgase. Wie viel?

Angesichts der galoppierenden Globalisierung und den schwindelerregenden Zuwachsraten bei E-Commerce und Online-Versand: Was meinen Sie, wie groß ist der Anteil des Transport- und Logistiksektors am weltweiten Ausstoß von menschlich erzeugten Treibhausgasen? Die Hälfte? Ein Drittel?

Es sind rund 5,5% und das überrascht, wenn man bedenkt, was wir in den Online-Shops alles so einkaufen. Nicht um es schönzureden: Damit verursachen wir immer noch 2.800 Megatonnen (Stand: 2009) reinstes Umweltgift. (Eine Megatonne sind eine Million Tonnen). Nächste Quizfrage: Wer pustet bei Transport und Logistik am meisten in die Umwelt?

Der LKW-Verkehr mit mehr als der Hälfte. Danach folgen Seefracht, Luftfracht und der Transport auf der Schiene. Wenn Transport und Logistik „bloß“ 5,5% zu den weltweiten Treibhausgasen beisteuern, wer sind dann die wirklich großen Emittenten? Es sind die Strom- und Wärmeerzeuger mit ca. 40 Prozent. Solange das Elektro-Auto also nicht mit sauberem Strom fährt, tun wir der Umwelt damit nichts Gutes. Die Industrie hat einen Anteil von 10 Prozent und der Individualverkehr verursacht ganz grob 15 Prozent. Das heißt: Unsere Paketsendungen sind weniger umweltschädlich unterwegs als wir selbst.

Das World Economic Forum hat bereits 2009 neun „Focus Areas“ identifiziert, mit denen die „Supply Chain Decarbonization“ vorangetrieben werden könnte. Gleich die erste dieser Fokus-Maßnahmen betrifft sowohl Manager als auch Konsumenten: Wer bei sauberen Herstellern einkauft, bleibt selber sauber. Auch und gerade bei der Produktion von Gütern gibt es veritable Dreckschleudern und Produzenten mit deutlich schlankem Fuß, also einem kleineren Carbon Footprint.

Und so geht es die Supply Chain runter: Wir könnten beim Transport weniger Treibhausgase in die Umwelt pusten, unsere Lagerhäuser besser isolieren, Solaranlagen aufs Dach montieren, noch mehr Gabelstapler mit Strom anstatt mit Diesel betreiben, Wärmepumpen installieren, Transportstrecken verkürzen, indem wir absatznah produzieren oder die Anzahl der Handelsstufen reduzieren (in diesem Punkt hat der Online-Handel tatsächlich einen Vorteil).

Wir können Verpackungen optimieren, damit möglichst viel Nutzgewicht und möglichst wenig Tara transportiert wird und wir könnten möglichst viele Güter recyceln, anstatt weiter des Wegwerf-Konsumrausches zu frönen und uns jedes Jahr ein neues Handy zu leisten, bloß weil die Kumpels das auch so machen.

Vieles davon wird ja auch tatsächlich schon gemacht. Vor allem, wenn es Kosten spart, wie zum Beispiel die Solaranlage auf dem Lagerhallendach: Spart gleichzeitig Emissionen und Stromkosten.

Verursacht Nachhaltigkeit dagegen selber Kosten, wird es problematisch. Bei einer Verschärfung der LKW-Abgasnorm zum Beispiel kostet ein neuer LKW gut fünf-, sechstausend Euro mehr als ein alter. Also kauft mancher Spediteur noch rasch vor dem Stichtag ein paar „alte“ Laster ein, bevor es richtig teuer wird für ihn. Das ist nicht fies, das ist rational.

Und wenn der letzte Gletscher und die Polkappen weg sind, ziehen wir das Schmelzwasser, das dann drei Meter hoch in der Kölner Innenstadt steht, auf hübsche Flaschen mit dem Etikett dieser Rationalität: Was individuell rational war, war es kollektiv schon lange nicht mehr. Wir wissen leider nur alle viel zu gut, was gemacht werden müsste. Die Forderungen, Appelle und Normative füllen Bibliotheken. Und helfen nicht weiter.

Deshalb wäre es zur Abwechslung einmal ganz hilfreich, tröstlich und Zuversicht verleihend, wenn an dieser Stelle sich nicht jene melden würden, die in den Chor der Forderungen munter mit einstimmen, sondern jene, die bereits etwas, ein wenig oder einiges für die Decarbonisierung der Welt auf jedwede Art und Weise tun. Ich erwarte keine Wunder. Aber: Jedes bisschen hilft!