Krieg im Handy

Was tobt in Ihrem Handy? Ein unsichtbarer Krieg. Der Euphemismus dafür lautet „Konfliktmineralien“.

Handy, Laptop, Notebook, Smartphone, Fernseher, Digitalkameras, in Leuchtmitteln, Flugzeugen und Autos sind jede Menge Zinn, Tantal, Wolfram und Gold verbaut.  

Wolfram zum Beispiel sorgt für den Vibrationsalarm im Handy. Zinn ist für die Elektrizität im Handy verantwortlich. Tantal wird für die Leiterplatten gebraucht und Gold für die Verkabelung in vielen elektronischen Geräten. Diese Mineralien sind nützlich, nötig – und Konfliktmineralien.

Bei Diamanten gibt es ein ähnliches Phänomen und den ehrlicheren Begriff dafür: Blutdiamanten. Diese werden von Rebellen und Milizen illegal geschürft, geschmuggelt, exportiert und gehandelt, um mit den Erlösen noch mehr Kalaschnikows und Landminen zu kaufen, um damit mehr Leute umzubringen. Daher der zutreffendere Name. Es klebt Blut dran. Auch im Handy. Gleich in doppelter Hinsicht.

Zum einen pressen Rebellen-, Terrorgruppen und Milizen oft unter Waffengewalt und nach Massenvergewaltigungen und Hinrichtungen Männer, Frauen und Kinder zur Sklavenarbeit in den Blutminen. Die auf diese Weise erbeuteten Mineralien werden dann auf dem Schwarzmarkt verkauft, was frisches Geld für neue Waffen bringt, mit denen dann auch wieder Blut vergossen wird. Die meisten Whatsapper, Facebooker und Youtuber haben keine Ahnung, welches Blutvergießen hinter der glatten Bedieneroberfläche ihres Endgerätes stattfindet.  

Und wenn sie es wissen, kocht natürlich die gerechte Empörung hoch und Forderungen nach besserer Transparenz und Zertifizierung in den Supply Chains. Kennen wir. Was ich bis vor kurzem nicht kannte, war ein überraschender, aber unmittelbar einleuchtender Moralaspekt, den eine Bekannte vorbrachte. Als sie von den Blutmineralien erfuhr, schnaubte sie: „Wie können … (sie nannte einige Handy-Hersteller) es wagen, mich als Konsumentin in so eine üble Lage zu bringen? Ich mache mich doch der Mittäterschaft schuldig! Wie können die von mir verlangen, etwas so Unanständiges zu kaufen? Wie können die Hersteller uns Endverbraucher in so eine Zwangslage bringen?“ Tja, wie?

Im Grunde einfach: Konfliktmineralien aus fragwürdigen Quellen sind meist deutlich preisgünstiger als Mineralien mit überprüfter, zertifizierter und glaubwürdiger Herkunft. Also kauft der Supply Chain Manager günstig ein – andernfalls würde er sein Unternehmen schädigen. Und schon ist er im selben Dilemma wie wir auch: Macht er es richtig, schadet er seinem Unternehmen und das ist falsch – Dilemma. Macht er es falsch, klebt Blut an seinen Händen, aber er verdient seinen Jahresbonus – Dilemma. Natürlich sind Reputationsverlust und Umsatzeinbruch, wenn die Sauerei mit dem nächsten Shitstorm auffliegt, extrem viel größer. Aber wenn ich meinen Bonus im Dezember bekomme und der Shitstorm vielleicht erst im darauffolgenden Jahr ausbricht? Oder erst in drei Jahren? Langfristiges Denken tut kurzfristig oft ganz schön weh.

Natürlich können wir als Nutzer dem Dilemma entkommen, indem wir ein Fairphone 2 kaufen. Das mag nicht hundertprozentig ohne Blutvergießen, Sklaven- und Kinderarbeit hergestellt sein – aber doch unvergleichlich viel weitgehender als „handelsübliche“ Endgeräte. Wenn alle Nutzer das machen würden, wäre der Spuk in einem halben Jahr beendet. Was bei dieser vielbemühten Argumentation mit der „Macht des Konsumenten“ übersehen wird, ist jedoch: Wie komme ich dazu?

Die Sache mit den Blutmineralien kann ich inzwischen überall im Internet (schön, dass es Online-Medien gibt) nachlesen – aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. In den internationalen Wertschöpfungsketten läuft viel Gutes und Schönes, aber auch viel Grausiges, Schlimmes und Menschenverachtendes ab – wie soll ich denn dem allem auf die Schliche kommen?

Jeder Supply Chain Manager, jeder Einkäufer, CPO, Einkaufsleiter und jedes halbwegs propere Unternehmen hat dank seiner internationalen Lieferbeziehungen, Netzwerke und Kontakte hundertfach mehr und bessere Informationen als jeder durchschnittliche Konsument. Transparenz in der Supply Chain ist ein eklatant asymmetrisches Geschäft. Da reicht es eben nicht, mantra-artig auf die Macht der Konsumenten hinzuweisen.

Wie soll ein Konsument denn Macht anwenden, wenn er nicht genügend Information hat? Wenn die Unternehmen mit riesigem Informationsvorsprung vorauseilen? Um damit Gewinn zu machen? Das ist eine Möglichkeit, um einen Informationsvorsprung zu nutzen. Wenn wir mal scharf nachdenken, fällt uns sicher eine andere ein.