Hört auf zu meckern!

Jade-Weser-Port? Da war doch was! Ist das nicht der Dritte im Bunde der drei aktuell größten deutschen Bau-Unfälle, zusammen mit der Elbphilharmonie und dem „neuen“ Berliner Flughafen? In der Tat.

„Millionengrab“, „Pleitehafen“ und „Investitionsruine“ spotteten die Medien, noch bevor der Hafen 2012 offiziell eröffnet wurde. Und in den Jahren danach schien das Mega-Bauprojekt den Ruf zu bestätigen: Für den jährlichen Umschlag von 2,7 Mio. Containern (TEU) war der Hafen konzipiert worden, 2013 lag deren Zahl gerade mal bei 85.000; das war noch nicht einmal ein Zehntel der vorgesehenen Menge. Also ein Flop auf der ganzen Linie. Sagten jene, die es schon immer besser wussten. Diese meinungsgebende Minderheit verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Denn sie demonstriert, wie „Meinungsmache“ hierzulande funktioniert: Weitaus subtiler als Trumps brachiale und leicht zu durchschauende Twittergewitter.

Einem Hafen im ersten Jahr seiner Neueröffnung eine Zielverfehlung von über 90 Prozent vorzuwerfen – dieser Kritiktrick ist nicht leicht zu durchschauen: Häfen werden sozusagen für die Ewigkeit gebaut. Ein Jahr, zumal das erste, zählt da nichts. Das Jahr lag zudem noch mitten in der letzten Weltfinanzkrise, der Welthandel ging zurück, in der Nordsee sank der Container-Umschlag. Außerdem ging es dem neuen Hafen wie jeder neuen Kneipe oder jedem neu eröffneten Einzelhandelsgeschäft: Bis sich das etabliert, dauert es eine Weile.

Vor allem, weil die Klientel ja vorher in anderen Kneipen/Häfen ganz gut bedient war und erst ihre Linienschifffahrtspläne ändern musste. Und weil der neue Hafen am Anfang tatsächlich Probleme mit der Hinterlandanbindung hatte: Die Infrastruktur ins Umland war nicht derart sprungartig gewachsen wie der Hafen. All das muss man wissen.

All das hätte man wissen können – wenn man sich ein wenig informiert hätte. Die Fakten waren und sind frei zugänglich. Die Fakten. Die Vision dahinter erfordert dann noch etwas mehr Hirnschmalz als zum Texten einer schmissigen Spott-Überschrift nötig ist: Der Jade-Weser-Port ist Deutschlands erster und einziger Tiefwasserhafen.

Hier können jetzt auch die ganz großen Pötte anlegen: mit bis zu 18 m Tiefgang. Deshalb hat in diesen Tagen auch das weltgrößte Containerschiff in Bremerhaven angelegt: mit 21.413 Container-Plätzen, 400 m lang, die „OOCL Hong Kong“. Nach Hamburg wäre die Hong Kong vollbeladen nie gekommen. Und das wird keine Ausnahme bleiben. Denn wegen des Verfalls der Frachtraten (schuld daran ist die Hyper-Konkurrenz auf den Meeren) bauen die Reedereien immer größere Schiffe, die immer weniger Lust haben, vor Cuxhaven Stunden darauf zu warten, bis Hamburg bei Tiden-Hochwasser die lange Elbe hoch erreichbar wird.

Natürlich hätten wir auch weiterhin unsere Bananen und Flachbildfernseher via Rotterdam beziehen können – nicht im Ernst! Europas irrste Konsumnation hat nicht mal einen eigenen Tiefwasserhafen? Bei dem Wahnsinnsex- und -import, den wir betreiben? Das wäre so, als ob der Aldi in Ihrer Stadt die Anlieferrampe vom Edeka benutzt, weil er keine eigene bauen möchte. Grober Unfug. Wer derart konsumiert, produziert und handelt wie wir, braucht einen eigenen Tiefwasserhafen. Wir sind eine Handelsnation. Aber wir meckern, wenn der Bau des einzigen Tiefwasserhafens in Schwierigkeiten gerät? Das zeugt von wenig Verständnis, Investitionsfreude und Zukunftskompetenz. Und langsam kommt diese Zukunft.

Der Containerumschlag in Wilhelmshaven ist inzwischen deutlich auf 482.000 Stück (2016) gestiegen. Die Hinterlandanbindung ist gewachsen. Die großen Reedereien haben den Jade-Weser-Port in ihre „Fahrpläne“ aufgenommen. Die 300 Hafen-Mitarbeiter, die während der Durststrecke auf Teilzeit gesetzt wurden und deren Familien sicher kein leichtes Brot hatten, kehren in die Vollzeit zurück.

Der Jade-Weser-Port ist von mutigen und innovationsfreudigen Menschen, Gesellschaften, Bundesländern und Regierungsämtern für die nächsten Hundert Jahre entworfen und gebaut worden. Und wir mosern und meckern rum, bekritteln dies und bespötteln jenes? Wir haben sie ja nicht alle! Wir sollten dankbar und froh sein, dass es in diesen innovationsfeindlichen Tagen noch genügend (?) Menschen und Institutionen gibt, die weiter als bis zum Tweet-Tellerrand denken. Und sich von Dünnbrettkrittelnden nicht beirren lassen. Seit wann gilt der Meckerer in diesem Lande mehr als der Macher?

Das muss sich schleunigst ändern.