Nein, diesen Paketboten kennen Sie nicht – oder doch? Recht verwirrend, denn es ist nicht der gewohnte Paketbote eines der größeren Paketdienste, aber gleichzeitig kommt Ihnen das Gesicht seltsam bekannt vor. Und nach zwei quälenden Sekunden des Nachdenkens erhellt Sie der Blitz der Erkenntnis: Es ist ein Nachbar aus Ihrem Wohnviertel!
Nein, noch nicht in Ihrer Stadt. Aber in Berlin. Dort wird gerade Amazon Flex getestet, der neue, private Zustelldienst. Wenn Sie oder ich in Berlin etwas bei Amazon bestellen, kommt das Paket nicht mehr unbedingt mit Hermes oder DHL, sondern von einem Berliner oder einer Berlinerin, die sich etwas dazuverdienen wollen. Man kennt das in anderer Form.
Zum Beispiel von Crowd Logistics: Wer sowieso gerade von X nach Y fährt, nimmt dabei ein Paket mit, das in Y zugestellt werden soll. Bei Amazon Flex ist ebenfalls ein Privatmann, eine Privatfrau unterwegs mit dem Paket, der oder die jedoch ohne das Paket nicht von X nach Y gefahren wäre. Die Fahrt wird rein zum Zweck der Auslieferung der Sendung unternommen. Das ist das Prinzip Uber: Was vorher ein Beruf war, nämlich Auslieferfahrer, wird jetzt zur Teilzeitbeschäftigung für Selbstständige und Privatleute. Warum?
Weil Amazon insbesondere jetzt, also vor Weihnachten, oder auch vor Ostern oder in der Cyber-Woche mit dem Ausliefern kaum hinterher kommt. Nicht in der gewünschten Menge und in der gewünschten, schnellen Lieferzeit. Also aktiviert Amazon das Heer der Freiwilligen, die sich etwas dazu verdienen möchten. In sogenannten Lieferblöcken.
Jeder Lieferblock hat vier Stunden, die man sich aussuchen kann, wenn man interessiert ist. Die Hausfrau und Mutter meldet sich zum Beispiel zwischen 8 und 12 Uhr an, wenn die Kinder in der Schule sind. Studierende mit lockerem Stundenplan machen dagegen beispielsweise zwischen 14 und 18 Uhr Auslieferdienst. Pro Block gibt es 64 Euro, also 16 Euro Stundenlohn. Klingt nicht übel. Doch davon muss man natürlich auch Benzin und Auto bezahlen, das Voraussetzung für den (Neben)Job ist. Amazon achtet darauf, dass das Auto kein Kleinwagen ist, damit auch sperrige Pakete gut untergebracht werden können.
18 Jahre alt, Führerschein, größeres Auto plus Hintergrundprüfung – mehr Voraussetzungen sind nicht nötig für den Job. Bei 20 Tagen Vollauslastung kommt man rein theoretisch dabei auf 1280 Euro – ein schönes Sümmchen dazuverdient. Das natürlich versteuert werden muss. Und von dem man die diversen Versicherungen bezahlen muss. Ob zum Beispiel die Vollkasko-Versicherung bei Unfall einspringt, ist mehr als fraglich: Man ist ja im Sinne einer engen Auslegung der Versicherungspolice nicht mehr rein privat unterwegs. Das ist typisch für die New Economy.
Sie killt nicht nur Jobs, sie schafft auch völlig neue Berufsbilder mit geringen Zugangsvoraussetzungen, aber unklarer Rechtslage. Dass das in den USA funktioniert, überrascht keinen.
Dort gibt es „Uber für Pakete“ seit zwei Jahren in 25 Städten. Mit anhaltendem Erfolg. Und mit geringem Diebstahlrisiko: Wer klaut, kriegt keine Aufträge mehr. So weit die Sachlage. Jetzt die Implikationen.
Könnte das Heer der privaten Paketfahrer zur ernsthaften Konkurrenz der großen Paketdienste werden? Potenziell: Ja. Potenziell sogar eher als Uber. Denn um ein Paket durch die Gegend zu fahren braucht man keine Personenbeförderungserlaubnis. Auf dem flachen Land wird sich das wohl weder für Amazon noch für Lieferfahrer lohnen. Doch in den großen deutschen Städten könnte bald eine Armada privater PKW mit Paketladung unterwegs sein. Mit gravierenden Folgen.
Zum einen für uns Besteller: Wir kriegen’s schneller. Zum andern für die Innenstädte: Sie werden noch heftiger mit Abgasen vermieft und mit rollendem Blech zugestaut und zugeparkt. Wenn Amazon wenigstens Lasten-Fahrräder einsetzen würde!
Der private Lieferdienst steht in guter Tradition von Service-Leistungen, die Unternehmen an Privatleute delegieren: Avon, Tupperware, Uber, AirBnB und jetzt eben Amazon Flex. Es gibt kaum eine Dienstleistung rund um den Konsumbereich, den ein Heer von Amateuren nicht auch übernehmen könnte. Und das entspricht nicht nur der New Economy, sondern auch der sich wandelnden Erwartung vieler Menschen an ihre Arbeit: weniger, flexibler, selbstbestimmter arbeiten. Wird sich das durchsetzen? Wir werden sehen. Das ist das Spannende an der Zeit, in der wir leben: Wir bekommen derzeit jede Menge zu sehen.
keine schlechte Idee. Für mich als Rentner ideal, allerdings würde ich nur mit meinem Elektro-Roller ausliefern. Ob da Amazon mitmachen würde ? Aber mit dem Auto durch die Gegend zur Auslieferung fahren, würde ich nicht.
Ja, Herr Trebing, das ist ein guter Gedanke und ein schönes Potenzial für Rentnerinnen und Rentner. Die Idee mit dem Elektroroller ist natürlich apart. Warum kam da Amazon nicht drauf? Wenn schon private Auslieferung, dann aber nachhaltig. Richtig so!