Wie wir verführt werden

Weihnachten ist vorüber – wie sieht es für Ostern aus? Gut schaut es aus. Echt jetzt?

Für jedes der beiden Feste und deren eigentlichen Bedeutungsgehalt sieht es seit Jahren zunehmend weniger gut aus. Gleichzeitig tobt der Konsumrausch zu beiden und anderen Festen. Beide Entwicklungen mögen miteinander zusammenhängen, woraus sich die Frage erhebt: Warum um Himmels willen kaufen wir denn so viel? Und das nicht nur zu Festen?

Es gibt viele Gründe für Konsum: Status, Kompensation, Ablenkung, ständig steigende Ansprüche, gewandelte Werte. Ein Grund jedoch hat in den letzten Jahren geradezu Quantensprünge gemacht: die Verführung des Verbrauchers.

Händler und Hersteller, Marketing und Werbung setzen immer stärker auf die Arbeit von Psychologen, Hirnforschern und Verhaltensökonomen. Mit deren Hilfe werden wir – viele ahnen es seit Jahren – auf wissenschaftlicher Basis zum Kaufen regelrecht verführt. Das Arsenal der Käuferbeeinflussung ist immens.

Wer öfter einkauft, dem/der wird zum Beispiel aufgefallen sein, dass viele Ladengeschäfte und Supermärkte sogenannte Gastro-Elemente einsetzen: Ein kleiner Stand ist im Markt aufgebaut, an dem Gebäck, Schnitten, Käse, Wurst oder andere wohlriechende Lebensmittel in offener Form zum Verkosten oder zum Kauf angeboten werden. Geruch und Geschmack der Waren führen zum Jetzt-auch-egal-Effekt. Das fanden Verhaltensökonomen heraus. Wer nicht nur hört und sieht, sondern auch riecht und schmeckt, kauft eher und mehr. Und nicht nur die Produkte, die er oder sie riecht und schmeckt, sondern auch andere Waren: Mehr Sinne werden angesprochen, mehr Ware wird gekauft. Man riecht den leckeren gerauchten Schinken und kauft dann zwei Paar Socken, die man eigentlich nicht braucht, aber: „Jetzt-auch-egal!“

Nimmt man noch den Tastsinn herein, ist die 5-Sinne-Verführung perfekt: Früher lagen hochpreisige Produkte oft hinter Glas, unerreichbar. Bis Forscher herausfanden: Wenn wir erst einmal ein Produkt in der Hand halten, kaufen wir es auch häufiger, als wenn wir es bloß anschauen dürfen. Denn wir möchten es buchstäblich und unterbewusst „nicht mehr aus der Hand geben“. Weil unser Besitz-Reflex getriggert wurde. Man identifiziert sich bereits mit dem, was man in Händen hält.

Supermärkte sind meist auf 19 Grad temperiert. Warum? Weil Messreihen zeigten: Ist es kälter, will der Käufer schneller wieder nach Hause. Ist es wärmer, wird er zu träge fürs Kaufen. Bei 19 Grad geben wir im Schnitt am meisten Geld für den Einkauf aus. Wohlgemerkt: Wir kaufen dann auch in Abhängigkeit von der Ladentemperatur und nicht ausschließlich abhängig von unseren „eigentlichen“ Bedürfnissen. Wir werden verführt.

Manchem ist schon aufgefallen: Die Einkaufswägen sind in den letzten Jahren deutlich größer geworden. Das kennen wir vom Essen (es ist ein sogenannter Nudge): Je kleiner der Teller, desto weniger essen wir. Sein Mittagessen vom Frühstückseller zu essen, ist eine der wirksamsten „Diäten“ überhaupt. Umgekehrt beim Einkaufswagen. Je größer er ausfällt, desto eher erscheint uns unterbewusst: „Och, so viel habe ich doch noch gar nicht eingekauft.“ Und wir kaufen mehr. Oft sind auch die Gitterböden der Wägen abgeschrägt, damit die bereits eingekaufte Ware aus dem unmittelbaren Blickfeld des Kunden rutscht und er ebenfalls das Gefühl bekommt, noch kräftig zulangen zu können, weil er ja noch gar nicht so viel eingekauft hat …

Vieles verführt uns: Das Gedudel im Hintergrund, aber auch die Farbe Rot. Wir assoziieren sie mit „Sonderangebot! Rabatt!“. Auch dann, wenn es gar keine Rabatte gibt. Das gilt nicht nur für einzelne Artikel, sondern auch für ganze Sales, saisonale Verkaufsaktionen, den Cyber Monday und die Black Week: Wir kaufen, weil man uns sagt, dass es jetzt – und schon bald nicht mehr! – ganz günstig sei. Rechnen Verbraucherverbände nach der Aktion das Angebot durch, stellt sich oft heraus, dass lediglich ein kleiner Prozentsatz der Artikel wirklich günstiger waren. Trotzdem haben wir auch die anderen wie wild gekauft. Verführt.  

Auf der anderen Seite können Statusprodukte für Geltungskonsum und Distinktionsgewinn nicht teuer genug sein: Der Preis wird durch geplante Verknappung und überhöhte Preisgestaltung künstlich so hoch gehalten, dass auch weiterhin alle zugreifen, die anderen Menschen zeigen müssen, was sie sich alles leisten können.

Wir können inzwischen bald keinen Laden mehr betreten (online ist es nicht viel anders), ohne verführt zu werden. Das Gute am Schlechten: Niemand muss einer Verführung folgen. Wenn mich auf der Familienfeier das dritte Stück Torte lecker anlächelt, zwingt mich niemand, zuzugreifen. Ich kann widerstehen. Wenn und weil ich mich daran erinnere, was wirklich wichtig für mich ist. Die Verführungskünste der Konsumwelt machen dieses Erinnern, dieses sich im Sinne des Wortes seiner selbst zu vergewissern nicht leichter. Doch umso erfüllender ist nach widerstandener Versuchung das Gefühl: Ihr legt mich nicht aufs Kreuz! Denn ich weiß, was ich will.

2 Kommentare zu „Wie wir verführt werden

  1. Bevor wir einkaufen gehen, Essen und Trinken wir zu Hause ausreichend. Der Effekt, ich lass mich nicht so einfach verführen, auch wenn’s gut riecht. Funktioniert sehr gut.

    1. Hallo Norbert! Danke für den guten Tipp – was heißt hier Tipp? Das ist bereits ein veritabler Nudge, ein kleiner Anreiz mit großer Wirkung: meine uneingeschränkte Empfehlung!

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